Düsseldorf. . „Hurra, wir sind drin!“: Dass die Piraten in NRW den Sprung in den Landtag schaffen würden, damit haben viele gerechnet. Dennoch ist das Ergebnis in NRW ein ganz besonderes. Euphorisch feierten die Parteimitglieder – und träumten schon vom nächsten Eroberungszug in Berlin.

Ein anderer Ausgang war gar nicht einprogrammiert: Dass die Piraten den NRW-Landtag entern würden, stand für die meisten Wahlparty-Gäste schon vorher fest. Und dennoch: Als um 18 Uhr in der ersten Prognose der Piraten-Balken auf 7,5 Prozent klettert, erzittert der Saal. Sie reißen die Arme hoch, sie machen die Welle, sie schwenken ihre Luftballon-Säbel. „Hurra, wir sind drin!“

Sie alle wissen: Das ist nicht Berlin, nicht Schleswig-Holstein, nicht das Saarland, das ist mindestens drei Nummern größer. Die Piraten werfen mit dem Einzug in den Düsseldorfer Landtag endgültig den Anker in der bundesdeutschen Politik. Denn der NRW-Wahl wird ja immer auch Signalwirkung für den Bund nachgesagt. Joachim Paul, der Spitzenkandidat der NRW-Piraten, sagt, wohin der nächste Eroberungszug führen soll: „Morgen ist der Bundestag dran“, ruft er den rund 250 Partygästen zu.

Piraten-Landeschef Michele Marsching rechnet mal schnell die Prognose schön und jubelt: „Wir sind jetzt eine Acht-Prozent-Partei. Wir haben Geschichte geschrieben!“ Und dann beeilt er sich mit der Botschaft, dass Piraten gar nicht so schlimm seien wie ihr Ruf. „Wir strecken unsere Hand aus zu den anderen Parteien. Wir werden nicht gegen, sondern mit den anderen Politik machen.“ Der Landtag dürfte also eher Schmuse-Piraten sehen als finstere Rebellen.

Wichtig: iPad im Plenarsaal

Eine bunte Party-Truppe hat sich am Wahlabend im Düsseldorfer Kulturzentrum „Zakk“ versammelt. Schräge Vögel, lustige Typen und freche Jungpolitiker. Sie tragen schwarze Klamotten, wahlweise auch orange. Piraten sagen „Du“ zueinander und zu allen anderen Menschen auch. Manche Köpfe zieren Dreispitze, andere hüllen sich in Piratenfahnen. Ja, es stimmt: Es sind viele junge Männer darunter, Leute zwischen 25 und 35 Jahren. Aber diese Piraten einfach als „Jungmännerpartei“ abzutun, würde zu kurz greifen. Auch „piratige“ Frauen feiern mit und ältere Semester. Spitzenkandidat Joachim Paul passt zum Beispiel äußerlich überhaupt nicht in das Bild von der Internet-Generation. Er ist 54, Haare und Bart werden langsam grau, Typ Erdkundelehrer.

Als um Viertel nach sechs die neuen Landtagsabgeordneten aufs Po­di­um kommen, stellt sich eine in die zweite Reihe: Simone Brand, Bochumerin und auf Listenplatz fünf bestens platziert, streckt nicht wie die anderen energisch die Faust nach oben. Sie winkt nur, sie freut sich still. Eine Stunde zuvor gestand die 44-Jährige, wie sie sich an diesem Tag fühlt. „Ich bin super-aufgeregt, ungefähr so wie ein Kind vor der Bescherung an Heiligabend.“ Angst habe sie nicht, wohl aber viel Respekt vor dem Landtag. Brand hat sich 2009 den Piraten angeschlossen (übrigens nach einer Konsultation des „Wahl-o-maten“), vorher aber „nie aktiv Politik gemacht“. Sie war „politikverdrossen hoch zehn“, sagt die Diplom-Psychologin mit den roten Haaren. Bis sie die Piraten fand. Und jetzt, was will sie im Landtag machen? „Auf jeden Fall keine Randale. Vielleicht lernen die anderen Abgeordneten ja von uns.“

In einem ersten Antrag will die Fraktion einen Wunsch formulieren, der so wohl nur von den Piraten an erste Stelle gesetzt werden kann: Abgeordnete sollen ihr iPad mit in den Plenarsaal nehmen dürfen. Der Computer ist die schärfste Waffe der Piraten. Er ersetzt den Säbel und bringt mehr Spaß als die Rumflasche.

Alleingänge unerwünscht

Draußen, auf einer Bierzelt-Bank, feiern Christina Kater (20), Alexander Dommes (28) und Benedikt Steindorf (23) aus Neuss. Sie nennen sich „Altpiraten“, weil sie schon seit 2009 an Bord sind. Dommes war mal Sozialdemokrat, zwei Jahre nur. Die SPD hat ihm nicht gefallen. „Weil neue Mitglieder sich da erst mal hinten anstellen müssen und nicht sofort mitreden dürfen wie bei den Piraten“, sagt er. Niemand auf dieser Wahlparty will behaupten, dass die Piraten eine linke Partei seien. „Wir sind nicht rechts, nicht links, sondern nur geradeaus“, versichert Christina Kater. Aber eines ist klar: Die CDU können die Piraten am wenigsten leiden. Als die ARD kurz vor sechs zur „Wahlparty“ der Union schaltet, ertönen laute Pfiffe im Piraten-Saal. Und als bekannt wird, dass die Konservativen weit unter 30 Prozent liegen, da brechen die Piraten in lautes Hohn-Gelächter aus. „Ihr könnt nach Hause geh’n“, schreit die Menge, dem sinkenden CDU-Schiff weint hier niemand eine Träne nach.

Bei aller Partylaune treibt den einen oder anderen Piraten an diesem Wahltag die Sorge um, dass die frisch gewählten Landtagsabgeordneten ihre Bodenhaftung verlieren könnten. Auf Gleichheit legen sie hier besonders großen Wert. „Nein, die heben wohl nicht ab“, meinen Christina, Alexander und Benedikt aus Neuss. „Und wenn doch, dann holen wir die ganz schnell wieder auf den Boden zurück.“ Soll heißen: Alleingänge sind gar nicht erst einprogrammiert.