Berlin. Dass er verliert, war abzusehen. Aber dass CDU-Spitzenkandidat Norbert Röttgen eine solch krachende Niederlage einfährt, damit hatten wohl auch die Pessimisten in der CDU nicht gerechnet. Für Angela Merkel ist das Ergebnis der NRW-Wahl sicherlich kein Wunschresultat - doch es schafft Klarheit.

Bei Landtagswahlen bleibt sie am Sonntag immer im Hintergrund. So hielt es Angela Merkel auch am Sonntagabend. Jede Abkehr von der Routine wäre als Panikreaktion gedeutet worden. Sie wird nach diesem Ergebnis, das die "schlimmsten Befürchtungen" übertrifft (Peter Altmaier), unerschütterlich weiter machen. Es hilft der Kanzlerin, dass die Niederlage der NRW-CDU so eindeutig mit Norbert Röttgen identifiziert wird.

Aber es stimmt: Es ging in NRW auch um die Kanzlerin, um ihre Koalition, um die Strahlkraft von Schwarz-Gelb. Und das Ergebnis ist wenig tröstlich. Am besten ist noch das Abschneiden der FDP. Ihr Siechtum ist zu Ende. Nun darf die Kanzlerin hoffen, dass der Koalitionspartner berechenbarer wird.

Christian Lindner steht für die Trendwende der FDP

Aber ist das wirklich berechtigt? In Wahrheit ist die FDP schwer zu durchschauen. Was wird aus Philipp Rösler, der nach dem Peter-Prinzip FDP-Chef wurde? Ihn wie einen Hund vom Hof zu jagen, würde nicht gut aussehen. Es ist eine Stilfrage. Die FDP muss mit sich und ihren Leuten schonender, nachhaltiger umgehen.

Mit Christian Lindner entsteht ein neues Kraftfeld. Er steht wie kein anderer für die Trendwende der FDP. Und diese Leistung wird er ummünzen: in Einfluss. Allzu gern wüsste man von ihm, ob er seine Bundespartei neu trimmen will.

Merkel wird auf rasche Entscheidungen in der Koalition drängen

Er könnte die Annäherung an Rot-Grün betreiben. Einige Lockerungsübungen würden reichen: Ziehen die Liberalen beim Mindestlohn mit? Lässt sich die FDP auf die Finanztransaktionssteuer ein? Das sind zwei Punkte, wo man Signale setzen kann, ohne sich gleich bei der CDU verdächtig zu machen.

Merkel wird in den nächsten Tagen auf rasche Entscheidungen in der Koalition drängen. Sie wird zeigen wollen, dass man handlungsfähig ist. Sie wird zum Beispiel alles tun, um den Streit um das Betreuungsgeld zu lösen. Sie kippt damit Salz auf Rotweinflecken. Es hilft, aber die hässlichen Flecken bleiben.

Für Norbert Röttgen ist das Ergebnis brutal

Merkel hat an Rhein und Ruhr nicht ihre Machtbasis verloren. Aber sie kommt um eine Erkenntnis nicht herum: Es reicht nicht für Schwarz-Gelb. Jede Wette, dass insbesondere die CSU der "Schwester" den Spiegel vorhalten wird.

Geradezu brutal ist das Ergebnis für Norbert Röttgen. Bisher galt der Mann in Berlin als Hoffnungsträger. Im Lichte des gestrigen Ergebnisses wirkt eine Rückkehr ins Umweltministerium wie ein Gnadenbrot. Von Röttgen lernen, heißt: aus Fehlern lernen. Und das können CDU-Politiker weit über NRW hinaus. Lektion Nummer eins: Man muss die Menschen überzeugen, ja, aber eben auch gewinnen. Mit Herz. Zweite Lektion: Man erntet immer nur die Sympathien, die man vorher gesät hat. Die Gründe für die mediale Häme, die seine Kampagne begleitete, sollte Röttgen nicht allein bei anderen suchen. Lektion Nummer drei: Wer einen Landesverband wie eine Leiter für höhere Aufgaben in Berlin nutzt, der kann sich schnell den Hals brechen.

Viel Halt für die Grünen - trotz der Piraten

Hingegen haben die Grünen viel Halt, trotz der "Piraten". In Berlin dürften all jene Oberwasser bekommen, die sich wie Jürgen Trittin rot-grün verorten. Die Piraten sind ein neuer Faktor in der Politik. Ihre Erfolge in Berlin, an der Saar oder in Schleswig-Holstein hätte man relativieren können. Aber der Einzug in den Landtag in Düsseldorf lässt nur eine Lesart zu: Man muss mit ihnen bei der Bundestagswahl 2013 rechnen. Wenn eine Partei speziell Angst vor den "Piraten" haben muss, dann die Linke. Der Grund: Es gibt ein neues Postfach für Proteststimmen.

Der SPD gibt dieser Sonntag verlorene Sicherheit zurück. Die Partei war auf und dran, ihre Strategie, ihr Auftreten, womöglich sogar den Fahrplan für die Kanzlerkandidatenfrage zu überprüfen. Die SPD hat zuletzt viele relative Siege errungen, etwa in Schleswig-Holstein. Der Erfolg von Kraft in NRW gehört nicht dazu: Er ist eindeutig. Das wird die Bundes-SPD stabilisieren. Wichtig für das Selbstwertgefühl ist auch, dass die Party bei der Linkspartei vorbei ist.

Hannelore Kraft hat sich für Höheres empfohlen

Ob es Kraft passt oder nicht: Wer im größten Bundesland fast 40 Prozent holt, kommt für Höheres in Frage. Wer die NRW-SPD führt, ist schon per se ein Königsmacher. Wer sich darüber hinaus als Menschenfischerin entpuppt, dem wird früher oder später auch die Kanzlerkandidatur angetragen werden.

Nur: Merkel wird nicht so viele Fehler wie Röttgen machen. Und was für Kraft der Etatstreit in NRW war, das wäre für die Kanzlerin die Euro-Krise: Eine Herausforderung, die sie annimmt.