Berlin. . Piratenpartei-Vizechef Bernd Schlömer spricht im DerWesten-Interview über die NRW-Wahl, das perfekte Profil für den Parteivorsitzenden, die Grenzen von Transparenz und die Attacken der politischen Konkurrenz.
Die Piratenpartei ist beliebt wie nie zu vor. Das weckt Erwartungen. Vize-Parteichef Bernd Schlömer findet, dass sich die Partei in nächster Zeit verstärkt auf Wirtschaftspolitik konzentrieren soll. Im Interview mit DerWesten fordert der 41-Jährige, der Ende April für den Parteivorsitz kandidiert, von den Mitgliedern mehr Vertrauen für den Vorstand und die Abgeordneten. Zudem sollen die Piraten mehr Präsenztreffen wie Stammtische fördern.
Die Piraten liegen bundesweit bei zwölf Prozent. Warum?
Schlömer: Wirklich erklären können wir das nicht. Wir freuen uns aber über den Zuspruch.
Überfordert der Erfolg die Partei?
Schlömer: Wir müssen den hohen Mitgliederzuwachs nun verarbeiten. Da ächzt und zittert ab und zu die Mitgliederverwaltung. Schließlich sind die Piraten ehrenamtlich organisiert. Insgesamt machen wir unsere Politik aber ruhig weiter – nur unter verstärkter öffentlicher Aufmerksamkeit.
Müssen sich Strukturen ändern?
Schlömer: Wir müssen sicherstellen, dass Menschen, die nicht sofort den technischen Zugang finden und Schwierigkeiten mit unseren Politikbildungs-Instrumenten haben, bei der politischen Debatte mitgenommen werden. Hier ist es notwendig, dass wir stärker als bisher Präsenztreffen wie etwa Stammtische fördern.
Werden die Piraten nun zum Sammelbecken für Karrieristen?
Schlömer: Früher haben wir manchmal schlechte Erfahrungen mit Karrieristen gemacht. Nun sind wir geübt darin, Trittbrettfahrer zu identifizieren. Wer bei den Piraten ein Amt haben will, muss sich den Fragen aller Mitglieder stellen. Das hilft, diejenigen herauszufiltern, die einfach nur schnell Karriere machen wollen.
Ist die NRW-Wahl die Reifeprüfung für die Piraten?
Schlömer: Nicht unbedingt. Es ist nicht tragisch, wenn wir in Schleswig-Holstein oder NRW die Fünf-Prozent-Hürde nicht erreichen. Aber ich hoffe natürlich auf den Einzug in den Landtag.
Wie ist Ihr Wahlziel für NRW?
Schlömer: Ich wünsche mir 6,5 Prozent.
Was wollen die Piraten an Rhein und Ruhr inhaltlich erreichen?
Schlömer: Da mische ich mich nicht ein.
Die Piraten wollen nun mehr konkrete Positionen beschließen. Welche Themen sollten sie in nächster Zeit anpacken?
Schlömer: Wir sollten uns jetzt auf die Wirtschaftspolitik konzentrieren. Ich denke, sie wird auf dem Parteitag Ende April ein Schwerpunkt sein. Auch in der Finanz- und Haushaltspolitik haben wir sinnvolle Ansätze, die bald beschlussfähig sein werden. Wenn wir in diesen Feldern erste Grundsätze beschließen können, werden wir uns zu Themen wie der Eurorettung konkreter positionieren können.
Wie weit ist die Partei in der Gesundheits- und Pflegepolitik?
Schlömer: Es gibt bereits erste Arbeitsgruppen. Es kann aber noch ein wenig dauern, bis wir hier abgestimmte Standpunkte vorstellen. Man darf nicht vergessen: Wir alle machen Politik in ehrenamtlicher Weise.
Politik nebenbei – das kann auf Dauer nicht gehen.
Schlömer: Wer von uns in den Landtag kommt, macht Politik beruflich. Ich finde aber, dass es sehr viel Charme hat, Politik so lange wie möglich ehrenamtlich zu betreiben. Ich halte viel davon, wenn man beruflich in einem anderen Kontext eingebettet ist. Das fördert eine bessere Entscheidungsfindung.
Befürworten Sie ein festes Gehalt für die Mitglieder des Bundesvorstandes?
Schlömer: Ich bin nicht der Ansicht, dass die Wahrnehmung eines Vorstandsamtes pauschal eine Vergütung rechtfertigt. Die Piraten sollten eher die Übernahme und Bearbeitung von Aufgaben honorieren, die den Grundbetrieb sicherstellen: die ehrenamtlichen Kräfte für die Mitgliederverwaltung, der Finanz- und IT-Administratoren oder der Presse. Letztlich sollte ein Vorsitzender argumentativ zu überzeugen wissen und nicht wegen seiner Tantiemen.
Braucht die Partei zur Bundestagswahl ein Vollprogramm?
Schlömer: Nein, nicht unbedingt. Wir werden die Punkte beschließen, die aus unserer Sicht wichtig sind.
Die SPD wirft den Piraten vor, dass man so nicht Politik machen kann. Beispiel Schlecker-Pleite: Da haben die Piraten keine abgestimmte Meinung und schweigen lieber. Ist das ernsthafte Politik?
Schlömer: Wenn man über kein Detailwissen verfügt, ist es besser, zu schweigen. Das ist nicht verwerflich.
Machen es sich die Piraten damit nicht sehr einfach?
Schlömer: Wir werden unser Politikmodell in der Praxis beweisen müssen. Der Bürger wird dann prüfen, ob er es für annehmbar hält.
Braucht der Vorstand nicht mehr Prokura, um zu Themen wie Schlecker rasch Position beziehen zu können?
Schlömer: Ich würde mir mehr Vertrauen von den Mitgliedern wünschen. Auch für die Abgeordneten. Sie brauchen einen Vertrauensvorschuss und können nicht alles mit der Basis rückkoppeln. Gerade bei Ad-hoc-Entscheidungen. Das wäre eine sinnvolle Ergänzung zur innerparteilichen Meinungsbildung.
Kann es totale Transparenz in der Politik geben?
Schlömer: Nein. Dann würde das politische System zusammenbrechen. Wir wollen, dass der Weg zu politischen Entscheidungen besser vermittelt wird. Transparenz endet aber dort, wo Vertraulichkeit die Basis guten Handelns ist. Ein vertrauliches Gespräch mit Politikern anderer Parteien muss möglich sein.
Das gilt dann auch für Koalitionsverhandlungen.
Schlömer: Auch hier muss es vertrauliche Gespräche geben. Aber der Verlauf und die Entscheidung über Koalitionsinhalte muss öffentlich dargelegt werden können.
Die Piraten wollen ein anderes Urheberrecht. Viele Künstler wehren sich gegen die Gratis-Kultur im Internet. Wie wollen die Piraten dafür sorgen, dass diese auf ihre Kosten kommen?
Schlömer: Wir fordern nichts umsonst und wollen eine angemessene Bezahlung für Künstler. Aber man darf die Konsumenten nicht unverhältnismäßig belasten. Die Verteilung der Tantiemen ist nicht ausgeglichen. Die Verlage und Verwerter sollten mehr an die Künstler ausschütten.
Was ist eine unverhältnismäßige Belastung des Verbrauchers?
Schlömer: Zum Beispiel die Androhung von harten Strafen in Bagatellfällen bei privatem Gebrauch. Ein Runder Tisch mit Vertretern der Musikbranche soll zusätzlich helfen, neue Finanzierungswege zu suchen. Hier können Musik- oder Kulturflatrates neben anderen Modellen zielführend sein.
Im April kandidieren Sie um den Parteivorsitz. Wie ist der optimale Piratenparteichef?
Schlömer: Er sollte wenig eigenes Sendungsbewusstsein haben, bescheiden sein, das Ohr an der Basis haben und nach innen vermittelnd wirken. Er sollte nicht zu sehr daran denken, in Talkshows zu sitzen.
Gegen Parteichef Sebastian Nerz gibt es heftige Attacken aus dem Berliner Landesverband. Wünschen Sie sich eine andere Diskussionskultur bei den Piraten?
Schlömer: Sie ist in der Partei grundsätzlich in Ordnung. Über Twitter gibt es Äußerungen, die manche erzürnen. Aber Twitter ist kein Meinungsorgan der Partei. Deshalb greife ich hier nicht ein. Im Übrigen muss man Kritik auch ertragen können.