Essen. Glaubt man Christian Lindner, müssten die 11.000 arbeitslosen Schlecker-Frauen schnell einen neuen Job finden. Schließlich gebe es genug offene Stellen. Bei Beckmann verteidigte er die Entscheidung der FDP gegen eine Transfergesellschaft. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles war darüber „stocksauer“, Oberpirat Sebastian Nerz fehlte mal wieder ein Parteiprogramm, um Stellung zu beziehen.
Welch‘ Glücksfall für Reinhold Beckmann: So aktuell war das Thema seiner Talkrunde im Ersten schon lange nicht mehr. Am Donnerstagnachmittag wurde bekannt, dass die FDP die geplante Transfergesellschaft für 11.000 Schlecker-Mitarbeiterinnen scheitern lässt. Am Abend schon hatte der ARD-Talker Spitzenpolitiker von CDU, SPD, FDP und der Piratenpartei zu Gast, um diese überraschende Entscheidung zu diskutieren. Das eigentliche Thema der Sendung, die Frage, ob die Landtagswahl in NRW zur Weichenstellung in Berlin wird, geriet dabei in den Hintergrund.
Christian Lindner, Spitzenkandidat der FDP in NRW, verteidigte den harten Kurs der Liberalen. Es handele sich um eine „Grundsatzentscheidung im Sinne der Steuerzahler“. Natürlich seien in seiner Partei „alle in Sorge“, was die Zukunft der „Schlecker-Frauen“ angeht. Und man sei „schockiert darüber, wie gewirtschaftet wurde“. Doch Transfergesellschaften müssten sich aus der Insolvenzmasse eines Unternehmens finanzieren und nicht aus Steuergeldern.
Andrea Nahles ist "stinksauer" auf die FDP
Nun solle eben die Bundesagentur für Arbeit ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen und den Schlecker-Frauen Umschulungen und neue Jobs verschaffen. Nicht zuletzt, da just am gleichen Tag, an dem die Transfergesellschaft scheiterte, bekannt gegeben wurde, dass es deutschlandweit 25.000 offene Stellen für Verkäuferinnen gibt. Eine simple Rechnung des liberalen Hoffnungsträgers, nach der sogar 14.000 Stellen offen blieben.
SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles nannte dies eine „maue Begründung“. Sie sei „stinksauer“, dass die FDP sich „auf dem Rücken der Schlecker-Frauen profilieren“ wolle, angesichts miserabler Umfragewerte. Erst zu Jahresbeginn habe die Regierung der Bundesagentur für Arbeit die Hälfte der Mittel für Qualifizierungsmaßnahmen gekürzt. Mit dem Nein zur Transfergesellschaft habe die FDP zudem höhere Übergangslöhne für die Beschäftigten verhindert und schrecke potenzielle Interessenten für Schlecker-Filialen ab. Vielleicht habe es die Ablehnung auch nur gegeben, weil es sich lediglich um Frauenarbeitsplätze handele, mutmaßte die linke SPD-Frontfrau.
10.000 Kündigungen werden zugestellt
Etwa 10.000 Schlecker-Beschäftigte erwarten am Freitag ihre Kündigungsschreiben. Nach Angaben von Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz wurden am Donnerstag die Briefe an 10.000 Mitarbeiter verschickt. Weitere etwa 1.000 Mitarbeiter hätten bereits gekündigt, sagte sein Sprecher.
Einem Sprecher der Deutschen Post war keine Sonderlösung zur Verteilung der 10.000 Schreiben bekannt. Große Unternehmen wie Schlecker hätten in der Regel fest vereinbarte Termine, zu denen die Post abgeholt werde. Diese werde in 95 von 100 Fällen am nächsten Tag zugestellt.
Vorausgegangen war ein zähes Ringen um die Finanzierung von Auffanggesellschaften über eine Bürgschaft der Länder für einen KfW-Kredit. In den Gesellschaften sollten die gekündigten Mitarbeiter betreut und weitervermittelt werden. Die FDP-geführten Wirtschaftsministerien aus Sachsen, Niedersachsen und Bayern verhinderten jedoch eine solche Lösung.
Auch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) zeigte sich verärgert über den harten Kurs seines Koalitionspartners FDP. Seehofer sagte am Donnerstagabend im Bayerischen Fernsehen: "Das gehört eigentlich zu uns in Bayern, dass wir die Menschen nicht alleine lassen, sondern uns um ihr Schicksal kümmern." Er fügte hinzu: "Das wäre in diesem Fall verantwortbar möglich gewesen." Aber leider habe der bayerische Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) nicht zugestimmt. (dapd)
Armutsforscher Butterwegge kritisiert Schlecker-Entscheidung
Auch der in Köln lehrende Sozialwissenschaftler und Armutsforscher Christoph Butterwegge kritisierte die Haltung der FDP als „Marktradikalismus“. „Die Arbeitnehmer müssen die Konsequenzen tragen“, so Butterwegge, der privat mit Lindner per Du und befreundet ist. Armin Laschet, Mitglied des CDU-Bundesvorstandes und früherer Integrationsminister in NRW, wollte den Koalitionspartner der Union wohl nicht ganz vergraulen, und sah in der Schlecker-Debatte „keinen Anlass für eine parteipolitische Zuspitzung“.
Eindeutig uneindeutig positionierte sich der Bundesvorsitzende der Piratenpartei. „Wenn wir eine solche Gesellschaft brauchen, läuft etwas im System falsch“, sagte Sebastian Nerz. Eine bessere Lösung hätten die Piraten – wie bei den meisten inhaltlichen Fragen – aber auch nicht parat. Im konkreten Fall hätte es jedoch einer Auffanggesellschaft bedurft, fügte Nerz schnell noch hinzu.
Exkurs zum "spanndenden Phänomen" Piratenpartei
Das „spannende Phänomen“ (Laschet) Piratenpartei wurde nur kurz behandelt. Andrea Nahles traut den Piraten, die sich bislang nicht in das typische Links-Rechts-Schema einordnen können oder wollen, immerhin zu, die „verkrustete repräsentative Demokratie“ aufzubrechen. Der Kapitän der Piraten aber, mehrere Jahre CDU-Mitglied, blieb insgesamt blass, konnte sich kaum profilieren und zog sich bei inhaltlichen Fragen auf das (noch) fehlende Programm der Protestwähler-Partei zurück.
So auch beim Thema Mindestlohn, das Beckmann im Zuge der Schlecker-Diskussion aufgriff. Bedingungsloses Grundeinkommen? Na klar, hört sich gut an. Aber in welcher Höhe und wer das bezahlt, darüber schwieg sich Nerz aus. „Über das genaue Modell soll die Bevölkerung entscheiden“, so die lapidare Antwort. Konkreter wurde in diesem Punkt Christoph Butterwegge. Er hält einen Mindestlohn von 9,50 bis 10 Euro für angemessen, erkennt in einem Grundeinkommen „nach dem Gießkannenprinzip“ aber „keine Bedarfsgerechtigkeit“. Während Andrea Nahles sich für eine außerparlamentarische Mindestlohn-Kommission stark machte, versuchte Christian Lindner, die FDP gar als Verfechter des Mindestlohns darzustellen – aber nur in bestimmten Branchen, versteht sich.
Armin Laschet will nicht Röttgens Pressesprecher sein
Armin Laschet wiederum wurde von Reinhold Beckmann mit dem Zitat des früheren NRW-Landwirtschaftsministers Karl-Josef Laumann überrumpelt. Der hatte kürzlich gewarnt, dass die CDU ohne die Einführung eines Mindestlohns zukünftig keinen Erfolg mehr bei Wahlen haben werde. Das war der erste von zwei Momenten, an denen es dem redegewandten Laschet kurz die Sprache verschlug.
Den zweiten erlebte der Zuschauer, als Laschet mit dem Zitat des CDU-Spitzenkandidaten für die Landtagswahl am 13. Mai, Norbert Röttgen, aus der WAZ vom 19. August 2010 konfrontiert wurde. Damals hatte Röttgen gesagt, dass es selbstverständlich sei, nicht nur als Ministerpräsident, sondern auch als Oppositionsführer vor Ort zur Verfügung zu stehen. Jüngst sorgte der Bundesumweltminister jedoch für Verwirrung, weil er sich nicht mehr festlegen wollte, wo er nach der NRW-Wahl seine politische Zukunft sieht. „Das war das einzige Zitat…“, suchte Armin Laschet, der Röttgen zuvor in den höchsten Tönen lobte und verteidigte, nach einem Ausweg – und fand ihn mehr schlecht als recht, indem er betonte, er sei ja auch nicht Röttgens Pressesprecher.
FDP will "Verlust an Vertrauen" bis zur NRW-Wahl wieder wettmachen
Es war der Abschluss der Diskussion über die Aussichten von FDP und Piraten vor der so genannten Schicksalswahl in NRW. FDP-Spitzenkandidat Christian Lindner zeigte sich darin zuvor optimistisch, den „Verlust an Vertrauen“ bis zur Wahl am Muttertag wieder wettzumachen. Armin Laschet setzt dabei voll auf den neuen alten Hoffnungsträger der FDP, der vor wenigen Monaten noch den Posten als Generalsekretär aufgegeben hatte: „Wenn es einer schafft, dann Lindner.“ Für Christoph Butterwegge hingegen hat sich die FDP „als Partei überlebt“, weil sie keine Probleme löse.
Zum Schluss fragte Beckmann noch nach dem Signal, dass von der NRW-Wahl an Berlin ausgehen könnte. Für Andrea Nahles ist klar: „Die Union wird nervös bei einem Wahlerfolg“ von Rot-Grün. Sie prophezeite siegessicher: „Es wird ungemütlich für Frau Merkel.“