Stuttgart/Berlin. 11.000 Schlecker-Mitarbeiter stehen vor der Kündigung. Drei Länder beteiligen sich nicht an der Finanzierung der Auffanggesellschaft. Sie sollte für viele Schlecker-Beschäftigte eine Übergangshilfe sein, um nicht sofort in die Arbeitslosigkeit zu rutschen.

Tausende Beschäftigte der insolventen Drogeriemarktkette Schlecker stehen aller Voraussicht nach vom kommenden Montag an auf der Straße. Nach dem endgültigen Aus von Schlecker-Hilfen hat der Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz die Kündigungsschreiben an rund 10.000 Mitarbeiter verschickt. Insgesamt müssen etwa 11.200 Mitarbeiter gehen, der Rest habe bereits von sich aus gekündigt, sagte ein Sprecher des Insolvenzverwalters am Donnerstag.

Geiwitz sagte, er bedaure die politische Entscheidung, keine Bürgschaft für den Aufbau von Transfergesellschaften zur Verfügung zu stellen. Ohne die Bürgschaft sei eine Transfergesellschaft jedoch leider definitiv nicht finanzierbar. Geiwitz wollte keine Schuldfrage stellen. Letztendlich sei die Ursache für die Situation des Unternehmens in der wirtschaftlichen Entwicklung in den letzten Jahren und nicht in Aktivitäten der letzten Wochen zu suchen.

Die Gesamtbetriebsratschefin von Schlecker, Christel Hoffmann, hat das Scheitern der Transfergesellschaft am Widerstand der FDP scharf kritisiert. "Ich fühle mich sehr allein gelassen. Mir war nicht klar, dass Frauenarbeit in Deutschland so wenig wertgeschätzt wird", sagte sie den Zeitungen der WAZ-Gruppe. Zur Blockade der Liberalen sagte sie: "Was die FDP abgeliefert hat, ist ein Armutszeugnis. Sie hat das letzte bisschen Hoffnung der Frauen zerstört." Die Frauen rechneten nun damit, morgen früh in der Post die Kündigung zu finden, sie müssten dann sofort zum Arbeitsamt gehen. Eine Welle von Kündigungsschutzklagen schloss Hoffmann nicht aus.

FDP stellt sich quer

Die Transfergesellschaft, in der der Großteil von ihnen für sechs Monate weiterbeschäftigt werden sollte, kommt wegen des Widerstands dreier Länder nicht zustande, in denen die FDP den Wirtschaftsminister stellt. "Es war leider nicht möglich, alle unter einen Hut zu bekommen", sagte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Donnerstag in Berlin. Das Vorhaben sei damit gescheitert.

Sein bayerischer Amtskollege Horst Seehofer (CSU) machte Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) dafür verantwortlich. Finanzminister Markus Söder und er hätten die Beteiligung an einer 71 Millionen Euro schweren Bürgschaft zur Finanzierung der Auffanggesellschaft für vertretbar gehalten, Zeil habe dies aber abgelehnt. Er bedauere dies ausdrücklich, betonte der Ministerpräsident.

Um die Bürgschaft war über Nacht intensiv gerungen worden, nachdem eine Lösung unter Beteiligung aller 16 Bundesländer an Niedersachsen und Sachsen gescheitert war. Insolvenzverwalter Geiwitz hatte auf die Transfergesellschaft gedrängt, weil er andernfalls Tausende von Kündigungsschutzklagen fürchtet, die die Suche nach einem Käufer für die verbliebenen 3000 Filialen von Schlecker massiv erschwerten. Geiwitz will bis Pfingsten einen neuen Eigentümer für die einst größte Drogeriekette in Deutschland gefunden haben.

Kritik an der FDP

Baden-Württembergs Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) wollte noch am Nachmittag vor die Presse treten. Er hatte 25 Millionen Euro Bürgschaft für den KfW -Kredit in Aussicht gestellt, wenn andere Länder die restlichen 45 Millionen Euro beisteuerten. Das Geld wird gebraucht, um Teile des Lohns der Schlecker-Mitarbeiter zu bezahlen, die in die Beschäftigungsgesellschaften wechseln, in denen sie für andere Jobs qualifiziert werden sollen. Schlecker selbst kann die Summe nach Angaben von Geiwitz vorerst nicht erwirtschaften. Den Rest der Löhne sollten die Arbeitsagenturen zahlen. Geplant sind rund ein Dutzend dieser Auffanggesellschaften, in denen die Beschäftigten sechs Monate vor Arbeitslosigkeit geschützt wären.

Verdi-Chef Frank Bsirske verurteilte die Blockade der FDP-Minister scharf: "Das, was diese FDP-Wirtschaftsminister machen, ist einfach verantwortungslos. Ideologie auf dem Rücken von zehntausend Kolleginnen." Die Transfergesellschaften hatten eine Debatte ausgelöst, ob der Staat mit den Bürgschaften zu sehr in den Wirtschaftskreislauf eingreife: Der niedersächsische Wirtschaftsminister Jörg Bode (FDP) hatte angezweifelt, ob der Schlecker-Insolvenzverwalter die Kredite je werde tilgen können: Es blieben "im Ergebnis sogar Zweifel, ob der Insolvenzverwalter überhaupt während der Dauer der geplanten Transfergesellschaft den Geschäftsbetrieb aufrecht erhalten kann".

Arbeitsagentur: Schlecker-Beschäftigte gut vermittelbar

FDP-Chef und Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler sagte, die Bundesagentur für Arbeit müsse den Schlecker-Beschäftigten neue Perspektiven geben. Die Lage am Arbeitsmarkt sei günstig. "Das Land Baden-Württemberg hat falsche Hoffnungen bei den Schlecker-Beschäftigten geweckt, die jetzt jäh enttäuscht werden." SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles kritisierte die Freidemokraten: "Die FDP will gnadenlos und mit allen Mitteln Profil gewinnen und nimmt dafür die Schlecker-Frauen als Geiseln." Die Grünen-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Renate Künast, äußerte sich ähnlich: "Die FDP kämpft verzweifelt um die eigene Zukunft, das Schicksal der Schlecker-Mitarbeiterinnen gerät dabei unter die Räder."

Der Handelsverband HDE und die Bundesagentur für Arbeit machen den Schlecker-Beschäftigten indes Mut. Raimund Becker aus dem Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, sagte Reuters TV, es gebe bundesweit 25.000 offene Stellen für Verkäuferinnen. "Der Markt ist aufnahmefähig." Auch der Arbeitgeberverband des deutschen Einzelhandels erwartet, dass die 11.000 Schlecker-Mitarbeiter rasch neue Stellen in der Branche finden. "Wenn sie mobil sind, werden sie schnell unterkommen", sagte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. .

Über 2000 Kündigungen in NRW erwartet

In NRW sollen 508 der 1116 Schlecker-Filialen geschlossen werden. Damit könnten nach Schätzungen der Arbeitsagentur rund 2250 Schlecker-Mitarbeiter von den Kündigungen betroffen sein. Davon arbeiten etwa 18 Prozent in Vollzeit, 77 Prozent sind Teilzeitbeschäftigte und 5 Prozent arbeiten in 400-Euro-Jobs.Bislang hätten sich 965 Schlecker-Beschäftigte arbeitsuchend gemeldet. (rtr/we)