Düsseldorf. . Neue Strategien im Düsseldorfer Landtag: Rot-Grün und FDP bewegen sich aufeinander zu. Das Ende der Abneigung hat seine Gründe. Die Liberalen wollen im Umfragen-Tief mit ihrem Kooperations-Angebot unbedingt Neuwahlen vermeiden.

Ausgerechnet jetzt musste dieser eilige SMS-Ruf auf dem Handy von Hannelore Kraft eingehen. Die Ministerpräsidentin saß gerade zum vertraulichen Gespräch im schattigen Zwischengeschoss-Büro des FDP-Fraktionschefs Gerhard Papke, als sie dringend ins Plenum des Düsseldorfer Landtags zitiert wurde. Statt sich diskret zurück auf die Regierungsbank zu schleichen, schlenderte die SPD-Politikerin vor aller Augen gemeinsam mit Papke ins Abgeordnetenrund. Seht her: Die Zeiten der öffentlich gepflegten Abneigung zwischen der rot-grünen Minderheitsregierung und den Liberalen sind Vergangenheit.

Inzwischen scheint bei der FDP gar die Neigung zu wachsen, den rot-grünen Landeshaushalt Ende März zumindest per Enthaltung passieren zu lassen. In höchster Umfragen-Not ist solcher Kooperationsgeist eine Frage des parlamentarischen Überlebens. Scheitert Rot-Grün mit dem Etat, wären Neuwahlen wahrscheinlich. Zugleich kann die FDP ein weiteres Signal der strategischen Öffnung senden: Würde man SPD und Grünen kurz nach der Gauck-Kür zum Bundespräsidenten auch in NRW über die Hürde helfen, entzündeten sich daran bundesweit neue Bündnis-Fantasien.

Annäherung ist für beide Seiten schwer

Noch mauern alle Beteiligten. Die Etatgespräche stünden am Anfang, heißt es. „Haushaltskonsolidierung gehört zum Markenkern der FDP. Ein Landeshaushalt, der keinen klaren Sparwillen erkennen lässt, wäre für uns niemals akzeptabel“, stellt Papke klar. Gerade für den 50-Jährigen, den scharfzüngigen Marktliberalen und ehemaligen „Grünen-Fresser“, steht viel auf dem Spiel. Schon als er der Landesregierung überraschend die Hand für milliardenschwere Kommunalhilfen reichte und damit aus Sicht von Rot-Grün „den Schalter umlegte“, wurde er mit Häme überkübelt. Das erträgt er mit maliziösem Lächeln. Wichtiger erscheint, dass die liberale Basis nach zwei Jahren Dauerfrust über Schwarz-Gelb im Bund offener ist für strategische Lockerungen. „Ich habe die FDP nie als Beiboot der CDU betrachtet“, sagt Papke heute.

Für die andere Seite ist die Annäherung kaum leichter. Noch heute packt Grünen-Fraktionschef Reiner Priggen der Zorn, wenn er an die Landtagswahl 2000 denkt. Nach der triumphalen Rückkehr der FDP in den Landtag inspizierte Landeschef Jürgen Möllemann unangemeldet den Bürotrakt der grünen Regierungsfraktion, spazierte durch alle Räume und gab bekannt: „Hier ziehen wir wieder ein.“ Die FDP, so Priggen, sei aufgetreten „wie eine Besatzungsmacht“.

Die Kleinen reiben sich

Auch das erklärt, warum die Grünen größere Vorbehalte gegenüber den Liberalen hegen als die SPD. Stets waren sich die Kleinen in tiefer Abneigung zugetan. Wenn Priggen und Papke nun gemeinsam Kaffee trinken, blinkt deshalb nicht gleich die Ampel, sondern es spricht für gewachsenen Pragmatismus. Die Minderheitsregierung muss mit allen reden. Die FDP wiederum, beobachten Rote und Grüne, sei strategisch auf der Suche „nach neuen Ufern“.

Die Interessen treffen sich an einem Punkt. Zwar wäre die Linke beim Haushalt wohl schon mit 20 oder 30 Millionen Euro für das Sozialticket zu haben, aber perspektivisch könnte die FDP für Rot-Grün interessanter sein. Wachsender Spardruck und das Diktat der Schuldenbremse bis 2020 sind Vorgaben, die sich mit den spendierfreudigen Linken kaum umsetzen lassen. „Die können nicht sparen“, so ein Koalitionär. Dass Kraft den von CDU und FDP gepflegten Ruf der „Schuldenkönigin“ ausgerechnet im Verbund mit der Linken loswerden könnte, glaubt in Düsseldorf niemand. Noch scheint sie nicht festgelegt. Aber wenn die Regierungschefin neuerdings als Ziel ausgibt, „nachhaltige Politik zu machen und von den Schulden runterzukommen“, dann wird eine Richtung klar.

NRW ist für die Liberalen ein politisches Labor

NRW ist für die FDP ein Labor. Hier wurde 1966 die sozial-liberale Koalition mit der SPD geschmiedet, die eine Entwicklung im Bund vorweg nahm. Hier fand der zwischenzeitliche Niedergang der in Bonner Regierungsverantwortung erschöpften Liberalen 1995 mit der Abwahl aus dem Landtag seinen sichtbarsten Ausdruck. Hier begann im Jahr 2000 mit der triumphalen Rückmeldung des NRW-Spitzenkandidaten Jürgen Möllemann die Volkspartei-Hybris („Projekt 18“). Hier bestimmte die thematische Verengung auf das marktliberale Credo „Privat vor Staat“ das FDP-Regierungshandeln ab 2005. Nun eine neue Volte, ein weiteres Experiment im Polit-Labor NRW?

Nach einer Koalitionsaussage zugunsten der CDU im Landtagswahlkampf 2010 tat sich die FDP schwer, aus der Ecke der letzten aufrechten Oppositionspartei herauszufinden. Der Ärger über das Erscheinungsbild der eigenen Bundespartei und der Koalition in Berlin sowie der Umfragen-Absturz haben die Liberalen beweglich gemacht. FDP-Fraktionschef Gerhard Papke: „Es gibt bei der CDU die Neigung, eigene Verhandlungen mit Rot-Grün als große Staatskunst zu feiern, der FDP aber am liebsten eine Kontaktsperre aufzuerlegen. Aber natürlich reden wir mit der Regierung, wenn wir etwas für unser Land erreichen können.“