Berlin. . Trotz neuer Durchhalte-Versprechen von Bundespräsident Christian Wulff ist die Debatte über seine Nachfolge voll entbrannt: SPD-Chef Sigmar Gabriel bot Kanzlerin Angela Merkel Gespräche über einen parteiübergreifenden Kandidaten an.

„Wulff muss weg“, rufen die Demonstranten vor dem Schloss Bellevue. Mehrere hundert Menschen haben sich am Samstag vor Wulffs Amtssitz versammelt, um den Rücktritt des Bundespräsidenten zu fordern. Viele halten Schuhe in die Höhe als Geste der Verachtung, wie man sie im arabischen Raum kennt.

Doch den Präsidenten dürfte die Kundgebung kaum erschüttern: Erst 20 Stunden zuvor hat er im Schloss Bellevue beim amtsinternen Neujahrsempfang vor Mitarbeitern eine Durchhalte-Rede gehalten, die in ihrer martialischen Rhetorik doch überrascht: Er sei zuversichtlich, dass dieses „Stahlgewitter“ bald vorbei ist, sagte Wulff in Anlehnung an den Titel eines Kriegstagebuchs von Ernst Jünger. „In einem Jahr ist das alles vergessen“, zitierte ihn „Bild am Sonntag“. Er wolle Präsident bleiben und dem Amt einen zweiten Rücktritt nach Horst Köhlers Abgang ersparen.

Druck auf Wulff lässt nicht nach

Ob Wulff das schafft, ist offen. Am Wochenende ließ der Druck nicht nach. Brisante Fragen zu seinen Krediten und Urlaubsreisen, zu möglichen Gesetzesverstößen, sind noch unbeantwortet und werden im niedersächsischen Landtag gerade erst aufgeklärt. Und auch die Details aus der Mailbox-Nachricht an „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann nähren Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Präsidenten. Seit dem Wochenende ist klar, dass Wulff auch dem Vorstandschef der Axel Springer AG, Matthias Döpfner, telefonisch mit strafrechtlichen Konsequenzen gedroht hatte. Dass Wulff auch Döpfner angerufen hatte, um die Veröffentlichung zu stoppen, war bekannt - dass der Präsident dem Verlags-Chef ebenfalls in scharfem Ton auf eine Mailbox sprach, ist so neu wie verstörend.

Es sind diese immer neuen Details, die an Wulffs Vertrauenswürdigkeit kratzen. Eine Mehrheit der Deutschen glaubt inzwischen, Wulff habe in der Affäre eher die Unwahrheit gesagt. Dass Wulff am Ende nicht zu halten ist, wenn weitere Ungereimtheiten publik werden, hat die Koalitionsführung intern längst ins Kalkül entzogen. Entsprechend sind bei Schwarz-Gelb Überlegungen für einen möglichen Nachfolger weit gediehen. Der Grund ist klar: Schwarz-Gelb kann mit einem hauchdünnen Vorsprung von nur vier Stimmen in der Bundesversammlung anders eine Mehrheit nicht mehr organisieren.

Gabriel zog Notbremse

Als mögliches Angebot an Rot-Grün wird vor allem Ex-Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) genannt. In der Union gibt es zwar auch die Hoffnung, CDU-Politiker wie Norbert Lammert oderThomas de Maiziere könnten von einem Teil der SPD und Grünen akzeptiert werden. Doch inzwischen ist klar, dass weder SPD noch Grüne auf solche Varianten eingehen werden. Stattdessen sind sie dem Vernehmen nach entschlossen, dann noch einmal Joachim Gauck vorzuschlagen - und diesmal mit guten Chancen, den fast 72jährigen Pfarrer durchzusetzen.

Bei seinem erstem öffentlichen Termin in diesem Jahr vergangenen Freitag ließ Gauck sich in Neubrandenburg als „Präsident der Herzen“ feiern. SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte Gauck im Hinterkopf, als er gestern der Kanzlerin Gespräche über einen parteiübergreifenden Kandidaten vorschlug. Sein Appell war aber auch eine Notbremse, um Äußerungen von SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles einzufangen: Die hatte für den Fall des Wulff-Rücktritts Neuwahlen verlangt. Gabriel widersprach dem ausdrücklich und versicherte treuherzig, die SPD werde nicht versuchen, aus Wulffs Rücktritt parteitaktische Vorteile zu ziehen.