Berlin. Mit ungewöhnlichen Mitteln haben Hunderte Demonstranten am Samstag in Berlin den Rücktritt von Bundespräsident Christian Wulff verlangt. Als Ausdruck ihres Unmuts über die Amtsführung und jüngsten Affären des Staatsoberhaupts reckten die Demonstranten Dutzende Schuhe in die Höhe.

Wäre Christian Wulff im Schloss Bellevue gewesen, hätte er die Protestrufe bis in sein Büro hören können. Aber der Bundespräsident war am Samstag außer Haus und verpasste deshalb den ungewöhnlichen Massenauflauf vor seinem Amtssitz. 400 empörte Demonstranten forderten aus Ärger über seine Amtsführung und die jüngsten Affären den Rücktritt des Staatsoberhaupts und reckten als Zeichen ihres Protests Dutzende Schuhe in die Höhe - eine Geste, die im arabischen Raum als besonders drastische Form des Zorns und der Verachtung gilt.

"Der Unmut der Bevölkerung steigt und entlädt sich in Kreativität", erklärt Martin Heidingsfelder das Motiv des ungewöhnlichen Protests. Kurz vor Weihnachten hatte er mit einer eigens eingerichteten Facebook-Seite zu der Aktion aufgerufen - und kaum einen Effekt erzielt. Zwei Mal sei die Demonstration "wegen fehlender Resonanz" verschoben worden.

Der entscheidende Schub kam demnach erst am Mittwochabend. Zur besten Sendezeit schwadronierte sich Wulff in seinem schon heute legendären Fernsehinterview bei ARD und ZDF endgültig ins Abseits - und das Interesse an Heidingsfelders Facebook-Gruppe "Wulff den Schuh zeigen" stieg rasant an. Bis Samstagnachmittag meldeten über 800 Sympathisanten ihre Unterstützung an. Letztlich kamen laut Polizei auch gut halb so viele, immerhin.

"Der Diekmann spielt doch mit dem Wulff!"

Und die gehen mit dem Bundespräsidenten alles andere als zimperlich um. Auf ihren Plakaten wird Wulff zum Sieger in der Disziplin des "Präsi-Dreikampf: Geschenkannahme, Nötigung, Heuchelei" und "inhaltsfreien, würdelosen Bundespräsidentendarstellerazubi" degradiert.

"Wulff muss weg" schallt es unisono aus den Kehlen der Entrüsteten. Und Jürgen Jänen weiß genau warum. "Normalerweise hätten die Parteien seinen Rücktritt erzwingen müssen, jetzt tun es die Bürger eben selbst", sagt der 43-Jährige, dessen Verein "Creative Lobby for Future" die Demonstration angemeldet hatte. Besonders die Privatfehde Wulffs mit der "Bild"-Zeitung wegen des Wutanrufs bei Chefredakteur Kai Diekmann und der daraus resultierenden Mailbox-Peinlichkeit bringt Jänen auf die Palme: "Ich möchte nicht, dass ein Bundespräsident etwas sagt und ein Boulevardblatt die Deutungshoheit darüber hat", empört er sich. "Der Diekmann spielt doch mit dem Wulff!"

Jänens Verein fördert Demokratieprojekte und will den Nachwuchs für Engagement in Parteien und gemeinnützige Organisationen begeistern. Mit seiner Amtsführung aber, sagt er und schaut säuerlich, sabotiere Wulff diese Arbeit und verschlimmere die Politikverdrossenheit. Jänen und Heidingsfelder sind selbst zwar SPD-Mitglieder, weisen parteipolitische Motive für ihren Protest aber vehement zurück: Hier gehe es um das Prinzip und nicht um Stimmenfang, lautet ihr Credo.

Auf Socken hat sich keiner vors Bellevue getraut

Etwas anders sieht das nebenan bei den pöbelnden Anhängern der rechtspopulistischen Gruppierung Die Freiheit aus. Die islamkritische Partei versucht sich als Trittbrettfahrer des Volkszorns und hat ihren Namen auf dem eigenen Plakat größer geschrieben als ihre politische Botschaft "Wulff muss weg". Einige Anhänger keifen "Komm raus, du schäbiger Lump" über den Zaun des Bellevue und noch weit weniger Zitierfähiges. Die Veranstalter reagieren mit einer distanzierenden Lautsprecherdurchsage: "Die Freiheit hat nichts mit uns zu tun."

So geht das etwa eine halbe Stunde lang: Die Demonstranten ärgern sich erst über Wulff, dann übereinander und schließlich nur noch über das Wetter. Wegen des nächtlichen Regens hat sich keiner ohne Schuhe und auf Socken vor das Schloss getraut. Das nasskalte Januarwetter lässt die Wutbürger dann doch lieber zum eigens mitgebrachten Zweitpaar greifen.

Heidingsfelder will die ausrangierten Treter später ans Bundespräsidialamt schicken. Sagt er jedenfalls. (dapd/afp)