Freiburg. . „Wenn der Sinn von Weihnachten auf Geschenke gelegt und Kommerz reduziert wird, ist das eine Fehlentwicklung“, kritisiert der Vorsitzender der katholischen deutschen Bischofskonferenz. Ein Interview über die Folgen des Papstbesuchs, den Dialogprozess in der Kirche, Zollitschs Initiative für wiederverheiratete Geschiedene – und das kriselnde Europa.
Wahre Weihnachtsfreude statt Konsum, Antworten und Fragen nach dem Papstbesuch, ein Lob für die Kanzlerin und ein Plädoyer für Europa – NRZ-Redakteur Thomas Rünker traf den Vorsitzenden der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, den Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch, zum großen Weihnachtsinterview.
Herr Erzbischof, die Werbung sagt in diesem Jahr: „Weihnachten wird unterm Baum entschieden“ – was sagt die Kirche?
Erzbischof Robert Zollitsch:Die Werbung will verkaufen, deshalb stellt sie die Geschenke in den Mittelpunkt. Geschenke an Weihnachten haben einen tiefen Sinn, schließlich zeigt uns Weihnachten, dass Gott uns beschenkt hat: Er ist auf die Welt gekommen und lädt uns ein, die Freude darüber weiter zu schenken, und seine Liebe anderen Menschen erfahrbar zu machen. Wenn aber der Schwerpunkt oder gar der ganze Sinn von Weihnachten auf Geschenke gelegt und Kommerz reduziert wird, ist das eine Fehlentwicklung.
Warum dringt die Kirche mit ihrer eigenen Botschaft von Liebe, Frieden und dem Mensch gewordenen Gott nicht so stark durch, dass Werbung und Konsum zur Nebensache werden?
Erzbischof Zollitsch:Ich fürchte, da ist die menschliche Versuchung zu groß, mehr haben zu wollen als andere. Aber natürlich bemühen wir uns, unsere Botschaft zu vermitteln: An Weihnachten dürfen wir neu erfahren, dass Gott uns liebt und unser Leben trägt. Das gilt allen – auch denen, die materiell nicht so viel oder gar nichts geschenkt bekommen. Und dass diese Botschaft ansprechend ist, sehen wir an den gut besuchten Gottesdiensten. Für sehr viele Menschen in Deutschland gehören Weihnachten und ein Gottesdienstbesuch nach wie vor zusammen.
Nach Weihnachten sind die Kirchen trotzdem wieder leer.
Erzbischof Zollitsch:Wir freuen uns über alle, die an Weihnachten da sind – und ich bin mir sicher, dass der Besuch der Christmette für manchen Anlass ist, die eigene Beziehung zu Gott wieder zu vertiefen. Natürlich würden wir uns noch mehr freuen, wenn auch übers Jahr mehr Menschen in die Kirchen kämen.
Der Papst scheint nach seinem Besuch in diesem Jahr mehr offene Fragen als Aufbruchstimmung zurückgelassen zu haben, etwa in der Ökumene oder mit seinen Forderungen nach dem Abbau kirchlicher Privilegien. Hätte nicht gerade die deutsche Kirche klarere Botschaften nötig?
Erzbischof Zollitsch:Wenn ich hier in Freiburg mit Menschen spreche, die bei den Begegnungen mit dem Heiligen Vater dabei waren, ist da nach wie vor eine große Begeisterung. Sie spüren: Wir haben ein großes Fest des Glaubens gefeiert, der Papst ist uns in einer sehr menschlichen, schlichten und überzeugenden Weise begegnet und er hat uns eine klare Botschaft hinterlassen: In der Mitte steht die Frage nach Gott, und wie wir sie in der Gesellschaft wach halten.
Dann hat uns Papst Benedikt aber natürlich auch eine Reihe von Fragen hinterlassen, über die wir weiter diskutieren müssen. Etwa, als er hier im Freiburger Konzerthaus daran erinnert hat, dass wir „in dieser Welt, aber nicht von dieser Welt“ (nach Johannes-Evangelium 18,36, Anm. d. Red.) sind und deshalb darauf Acht geben müssen, uns nicht zu sehr an diese Welt anzupassen.
Ist der Verkauf des Weltbild-Verlags auch eine Reaktion auf diese Forderung nach einer stärkeren „Entweltlichung“?
Erzbischof Zollitsch:Die Entscheidung, uns von Weltbild zu trennen, haben wir schon vor vier Jahren getroffen. Wir haben damals gespürt, dass Weltbild ein so großes Unternehmen geworden ist, dass wir als Kirche eigentlich nicht mehr die richtigen Eigentümer sind. Als dann noch bekannt wurde, dass man über die Internetseiten von Weltbild Bücher beziehen kann, die nun gar nicht unseren Vorstellungen entsprechen – und dies auch nicht gleich völlig abgestellt werden konnte – war für uns klar, dass eine Trennung von Weltbild erfolgen muss. Leicht ist dieser Verkauf natürlich nicht: Wir müssen für die Beschäftigten eine gute Lösung finden. Und ob ein neuer Eigentümer von Weltbild weiter so viele religiöse Titel anbietet wie bislang, ist auch noch offen.
Gibt es noch andere kircheneigene Unternehmen, bei denen sie derzeit diese Grenzerfahrungen machen?
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Erzbischof Zollitsch:Nein. Aber wir müssen gerade bei unseren sozialen Einrichtungen immer wieder fragen, in wie weit es uns gelingt, diese von unserem christlichen Weltbild her zu prägen. Das hängt vor allem von den Mitarbeitern ab.
Für diese Mitarbeiter hat die evangelische Kirche jüngst das besondere kirchliche Arbeitsrecht, den „Dritten Weg“, inklusive des Streikverbots bekräftigt.
Erzbischof Zollitsch:Das Thema ist derzeit in der Diskussion. Ich bin deshalb dankbar für die Erklärung der Synode der EKD. Wir müssen gemeinsam auch dafür sorgen, dass möglichst alle Einrichtungen, die aus den Bestimmungen des kirchlichen Arbeitsrechts ausgeschieden sind, in den Dritten Weg zurückkehren, weil er der für die Kirchen angemessene Weg ist. Die beste Bestätigung dafür sind unserer Mitarbeiter-Vertreter, die 100-prozentig für einen Verbleib im Dritten Weg sind – wohl auch, weil die Löhne und Gehälter oft viel gerechter sind, als das was unter dem Druck der Märkte in anderen sozialen Bereichen ausgehandelt wird.
Sie waren jüngst in Lateinamerika. Dort steht die katholische Kirche seit Jahren konsequent auf der Seite der Armen – und in Deutschland?
Erzbischof Zollitsch:In Deutschland sorgen wir uns stets um die ganze Gesellschaft. Caritas und Diakonie sind die beiden großen Werke, mit denen die Kirchen nah bei den Menschen sind – vor allem bei denen, die unsere Hilfe besonders bedürfen. Sie werden jedenfalls, glaube ich, nicht erleben, dass ein Patient in einem katholischen Krankenhaus abgewiesen wird, weil er seine Behandlung nicht bezahlen kann. Selbst Menschen, die ohne gültige Papiere und Krankenversicherung bei uns leben, werden in unseren Kliniken behandelt, weil das Gebot Christi, zu helfen, höher ist als alle anderen Fragen. Mit Blick auf die ganze Gesellschaft setzen wir uns zum Beispiel für gerechte Löhne ein und mahnen etwa auch immer wieder an, dass wir unsere Gesellschaft stärker auf den demographischen Wandel vorbereiten müssen.
Warum engagieren Sie sich dann nicht für einen einheitlichen, bundesweiten Mindestlohn?
Erzbischof Zollitsch:Wir haben mit der Bundesregierung einen Mindestlohn im Pflegebereich eingeführt – der unter unseren Löhnen liegt –, um zu verhindern, dass Menschen ausgebeutet werden. Überall, wo Lohndumping droht, sollten Arbeitgeber und Arbeitnehmer solche Mindestlöhne vereinbaren. Der Staat sollte nur im Extremfall einschreiten.
In Lateinamerika haben Sie betont, lernen zu wollen – wie konkret kann das gehen? Statt immer mehr Gemeinden aus Mangel an Priestern zusammenzulegen, verzichtet etwa der argentinische Bischof Bargallo auf Fusionen und setzt stattdessen Laien als Gemeindeleiter ein – ein Modell auch für Deutschland?
Erzbischof Zollitsch:Bei uns in Freiburg machen wir das bereits ähnlich. Wir sind das Bistum in Deutschland mit den meisten Pfarreien – insgesamt 1080. Die lassen wir nicht in Großpfarreien aufgehen. Sie bleiben als Pfarreien bestehen und arbeiten als Seelsorgeeinheiten zusammen, für deren Pastoral ein Seelsorgeteam aus Priestern, Pastoral- und Gemeindereferenten/innen unter der Leitung des Pfarrers verantwortlich ist. In den einzelnen Gemeinden bilden wir Gemeindeteams, die sich ehrenamtlich um die Gemeinde kümmern, die Gottesdienste organisieren, die wissen, welche Kranken Hilfe brauchen, oder die für Beerdigungen ansprechbar sind. Die Tatsache, dass wir weniger Priester haben, als wir uns wünschen, ist für uns eine Herausforderung zu schauen, ob Gott nicht will, dass auch andere in der Seelsorge tätig werden.
Vielerorts in Deutschland gilt aber weiter, dass jede Gemeinde einen Priester braucht und man deshalb Gemeinden so lange zusammenlegt, bis ihre Zahl mit der der Priester wieder zusammen passt.
Erzbischof Zollitsch:Natürlich muss auch bei uns jede Gemeinde wissen, wer als Pfarrer für sie ansprechbar ist. Die priesterliche Verantwortung ist weiter gegeben. Aber wir schauen stärker, welche Aufgaben wir auch an andere Haupt- und Ehrenamtliche delegieren können.
Als Reaktion auf die große Verunsicherung nach dem Missbrauchsskandal haben Sie vor gut einem Jahr einen Dialogprozess in der Kirche gestartet. Wo steht dieser Prozess heute?
Erzbischof Zollitsch:Wir sind auf einem guten Weg. Mir war von Anfang an klar, dass ich in einem bundesweiten Dialogprozess nicht schon nach einem Jahr Ergebnisse präsentieren kann. Nach dem guten ersten Treffen im Juli in Mannheim wird ein zweites bundesweites Treffen im kommenden Jahr stattfinden. Wir sind auf einem guten gemeinsamen Weg, weil die Menschen spüren, dass wir die Fragen ansprechen, die ihnen wichtig sind und auch solche, die sie bedrängen.
Wo soll dieser Weg des Dialogs hinführen?
Erzbischof Zollitsch:Ich hoffe, dass wir in der Kirche in Deutschland wieder zu gemeinsamen Positionen finden. Der Papst hat gesagt, „die Demut ist das Öl des Dialogs.“ Wenn es uns in diesem Sinne gelingt, erst einmal auf den anderen zu hören und zu versuchen, seine Beweggründe zu verstehen, dann wird das die Kirche weiterführen.
Es geht Ihnen also nicht um konkrete, greifbare Veränderungen in der Kirche, wie sie so oft gefordert werden, sondern vor allem um eine neue Atmosphäre?
Erzbischof Zollitsch:Das würde nicht reichen. Das Grundlegende ist die Atmosphäre. Aber es geht ebenso darum, die Fragen anzusprechen, was es heißt, heute zu glauben, was uns dabei trägt und Kraft gibt. Natürlich gilt es auch Fragen anzusprechen, die in die Zukunft führen, und auch die, die uns bedrängen. Dann werden wir überlegen, welche Fragen wir als Kirche in Deutschland beantworten können und was wir etwa an die weltkirchliche Ebene weitergeben müssen. Dabei werden wir aber auch manchmal erkennen, dass wir dieses oder jenes nicht oder noch nicht klären können.
So wie die Frage, ob auch Frauen Priester werden können. Die Laien im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZDK) haben jüngst dazu aufgefordert, sich zumindest des Themas Diakoninnen noch einmal anzunehmen – und dafür von den Bischöfen einen Rüffel kassiert. Dabei hatten Sie doch immer betont, man könne über alles reden.
Erzbischof Zollitsch:Schon auf der Würzburger Synode (bundesweites Treffen von Bischöfen und Laien 1971 bis 1975, Anm. d. Red.) gab es ein Votum dafür, die Zulassung von Frauen zur Diakonenweihe zu prüfen – und natürlich darf über das Thema auch weiter gesprochen werden. Wenn jetzt aber mit einem Aktionstag Druck gemacht werden soll, dient das nicht dem Dialog – zumal bei der Frage des Diakonats der Frau tiefgreifende theologische Fragen berührt werden, die Sache der Theologie und des Lehramts und nicht des Zentralkomitees sind. (Das ZDK will künftig einmal im Jahr den „Tag der Diakonin“ feiern, Anm. d. Red.)
Aber verstehen Sie nicht die Ungeduld, wenn sich bei dem Thema rund 40 Jahre nach der Synode immer noch nichts getan hat?
Erzbischof Zollitsch:Ungeduld kann durchaus gut sein, um immer wieder an dieses Thema zu erinnern. Aber Aktionstage sind für eine inhaltliche theologische Auseinandersetzung der falsche Weg.
Mehrfach haben Sie angekündigt, sich für wiederverheirate Geschiedene einzusetzen, die ja vom Empfang der Kommunion ausgeschlossen sind. Wie kann eine Lösung aussehen?
Erzbischof Zollitsch:Wir spüren, dass diese Frage viele Menschen in unserer Kirche beschäftigt, auch weil viele davon – ob direkt oder indirekt – betroffen sind. Wenn Statistiken sagen, dass heute 40% der Ehen geschieden werden, dann zeigt dies, dass diese Frage immer drängender geworden ist. Die Seelsorge hat sich immer dieser Menschen angenommen und muss es noch mehr tun. Es geht um den Ort solcher Gläubigen in unseren Gemeinden und um die Weise, wie wir mit ihnen und über sie sprechen. Dies darf nicht allein auf die Frage des Sakramentenempfangs zugespitzt werden.
Wie sehr ärgert es dann, wenn Ihnen Amtsbrüder wie der Kölner Kardinal Meisner prompt vorwerfen, das Sakrament der Ehe infrage zu stellen?
Erzbischof Zollitsch:Die Unauflöslichkeit der Ehe steht überhaupt nicht zur Debatte, sondern es geht darum, wie wir mit dem Scheitern in der Welt umgehen.
Nach dem Missbrauchsskandal 2010 und dem Papstbesuch in diesem Jahr haben die deutschen Katholiken im neuen Jahr die Chance, wieder eigene Akzente zu setzen. Welche werden das sein?
Erzbischof Zollitsch:Da haben wir den Katholikentag in Mannheim im Blick. Unter dem Motto „Einen neuen Aufbruch wagen“ wollen wir schauen, wie wir gemeinsam als Kirche nach vorne gehen, und auch von welchen Dingen wir Abschied nehmen müssen. Darüber hinaus wird die vom Papst angeregte Neuevangelisierung ein Thema sein, aber auch die Frage, wie unsere Präsenz in der Gesellschaft aussieht. Denn natürlich besteht immer die Gefahr dass wir, wenn wir uns zu sehr mit uns selbst beschäftigen, aus dem Blick verlieren, welche Erwartungen die Gesellschaft an uns hat.
Vielleicht neue Impulse, um nach Finanz- und Schuldenkrise auch als Gesellschaft neu aufzubrechen.
Erzbischof Zollitsch:Als Kirche erinnern wir die Gesellschaft an ein nachhaltiges Wirtschaften. Die gigantischen Schuldenberge zeigen, dass wir im Moment auf Kosten der kommenden Generationen leben. Dieses Thema gehen die Politiker aber nicht genügend an, wohl, weil sie im Moment auch keine Lösung wissen.
Derzeit scheinen sie vor allem mit akuter Krisenbewältigung beschäftigt
Erzbischof Zollitsch:Ja, und das ist gut so. Ich bin der Kanzlerin jedenfalls sehr dankbar, dass sie sich, ich möchte sagen fast über ihre Kräfte hinaus, für Europa einsetzt und dafür sorgt, dass es weitergeht. Nur wer jetzt aktiv wird, hat die Chancen zu gestalten. Wer nur jammert, gibt sich und die anderen auf.
Europa darf aber nicht nur eine Frage der Euro-Rettung sein, sondern muss wieder stärker als Wertegemeinschaft wahrgenommen werden, die ganz andere Grundlagen hat – und als großes Geschenk: Seit 60 Jahren haben wir keinen Krieg mehr erleben müssen. Das ist für viele selbstverständlich geworden, aber es muss immer wieder neu gesichert werden – gerade jetzt, wo viele von Europa enttäuscht sind. Auch wenn aus Brüssel auch mal Unverständliches kommt, dürfen wir uns die Freude an Europa und die Hoffnung auf Europa nicht vermiesen lassen.