Essen. Schon die Menschen in der Antike fragten sich, wie das Leiden in der Welt mit der Gerechtigkeit, mit der Allmacht Gottes zu vereinbaren ist. Angesichts der Katastrophe in Japan stellt sich die Frage neu. DerWesten sprach mit dem Vorsitzenden der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch.
Herr Erzbischof, wo war Gott, als in Japan das Erdbeben und der Tsunami unvorstellbares Leid über die Menschen gebracht hat? Wie konnte er das zulassen?
Erzbischof Zollitsch: Wir stehen fassungslos vor der Katastrophe in Japan. Unsere Trauer verbindet sich mit der Trauer der Menschen in Asien. Ich kann nicht beantworten, warum Gott das zulässt. Aber ich bin mir sicher, dass Gott bei den Menschen ist – bei Opfern und Angehörigen und all jenen, die Angst vor der atomaren Katastrophe haben.
In früheren Jahrhunderten haben die Menschen Naturkatastrophen mit einem Strafgericht Gottes erklärt. Heute tragen solche Erklärungen nicht mehr.
Erzbischof Zollitsch: Naturkatastrophen können wir geologisch und physikalisch erklären. Ich möchte deutlich machen: Trotz aller Not und Verzweiflung lässt Gott die Menschen nicht allein. Japan ist bei aller Wirtschaftskraft ein stark religiös geprägtes Land. Die Ruhe, die viele Japaner in der fürchterlichen Lage ausstrahlen, finde ich beeindruckend.
Wir diskutieren vor allem über die Zukunft der Atomkraft in Deutschland. Halten Sie das für berechtigt oder haben wir den Blick für das Leid der Menschen in Japan aus den Augen verloren?
Erzbischof Zollitsch: Wir brauchen die Debatte um die Zukunft der Atomkraft, da die Katastrophe in Japan auch Ängste bei uns ausgelöst hat. Aber wir dürfen das Leid der Menschen nicht vergessen. Deshalb haben wir Bischöfe von unserer Vollversammlung in Paderborn eine Botschaft an unsere Mitbrüder in Japan gerichtet, in der wir deutlich machen: Ihr seid nicht allein. Wir vergessen Euer Leid nicht. Es wäre verantwortungslos, würden wir dieses Leid der Menschen jetzt übersehen oder nicht mehr wahrnehmen wollen.
Die Bilder, die uns aus Japan erreichen, ähneln den Vorstellungen aus der biblischen Apokalypse, Erzählungen vom Ende der Geschichte.
Erzbischof Zollitsch: Es sind Bilder, die sprachlos machen. Die Gewalt der Zerstörung ist nicht in Worte zu fassen. Es sind Bilder des Untergangs. Und doch gibt es auch andere Bilder, wo zum Beispiel ein Mensch mehrere Tage im Wasser treibt und gerettet wird. Trotz allem Chaos gibt es immer wieder Zeichen der Hoffnung.
Sollten wir weiter auf die Atomenergie setzen?
Erzbischof Zollitsch: Wir fordern, dass die Erde als bewohnbare und lebensdienliche Welt erhalten bleibt. Die deutschen Bischöfe haben in ihrer Bewertung der Atomenergie in der Vergangenheit immer darauf hingewiesen, dass sie Vorteile mit sich bringt, sittlich aber nur vertretbar ist, wenn schwer wiegende Risiken für Mensch und Natur – jetzt und in den kommenden Generationen – nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen werden können. Das gilt auch heute. Und es bedeutet: Angesichts der Erfahrungen, die die Menschheit in diesen Tagen macht, brauchen wir den Mut, eine Neubewertung der Risiken und damit auch der Vertretbarkeit der Kernenergie vorzunehmen und entsprechende Konsequenzen zu ziehen.
Wie sind Sie mit der Nachricht aus Japan umgegangen? Hadern Sie mit Gott?
Erzbischof Zollitsch: Ich war tief betroffen und direkt sind in mir die Bilder des verheerenden Tsunami damals in Südostasien aufgestiegen. Als ich die Bilder gesehen habe, habe ich gebetet.