Wiesbaden. . Rund 500 Fahnder ermitteln im Fall der Zwickauer Terrorzelle. Die Hauptverdächtige Beate Zschäpe schweigt, riesige Mengen Datenmaterial müssen ausgewertet werden. Und es bleibt die Frage: Wie konnte das Trio über so viele Jahre unerkannt morden?
Beate Zschäpe hat den Ermittlern in der Haft in Köln-Ossendorf von sich erzählt. Sie sei „ein Omakind“ gewesen. Sie liebe Katzen. Sie habe meist unter anderen Namen gelebt, mal als Lisa Pohl, mal als Mandy Struck. Die Überlebende des Trios der „Nationalsozialistischen Union“ Mundlos-Böhnhardt-Zschäpe sagt aber nichts über Ausführung und Verbindungen und Hintergründe der neun Morde, zwei Anschläge und 14 Banküberfälle, die die Bundesanwaltschaft anlastet. Hier schweigt die Frau.
So müssen die bald 500 Fahnder der Ermittlungsgruppe „Trio“ und 13 Staatsanwälte zunächst auf die Auswertung von ungefähr zwölf Lap-Tops, 20 Festplatten und vier Terabyte Daten setzen, die sie in den Überresten von Wohnmobil und Wohnung der Drei gefunden haben, auf mehr als 450 neue Hinweise aus der Bevölkerung und auf jetzt schon 2500 Beweismittel. Es gibt Indizien, dass die „NSU“ Drähte ins Ausland hatte, Drähte in die Neonazi-Szenen der Städte, in denen sie mordete und auch Drähte in die NPD.
Für den Chef-Fahnder in dieser Sache, den Präsidenten des Bundeskriminalamtes Jörg Ziercke, sind solche Mühen Alltag. Doch in diesen Tagen macht er den Eindruck eines tief getroffenen Mannes. Weit mehr als die offenen Tathergänge nagen in ihm Zweifel, die es seit der Entdeckung der Mörderzelle gibt - an den Ermittlungsstrukturen, auch am gesellschaftlichen Klima.
Er erinnert an das „Grundversprechen“ der Bundesrepublik nach der Nazi-Herrschaft, an das „Nie wieder“. Die Mordserie müsse das Land „fundamental erschüttern“, sagt er und fragt: „Mindestens zwölf Jahre war eine rechtsterroristische Zelle in Deutschland untergetaucht, die bundesweit geraubt und gemordet hat. Warum waren die Sicherheitsbehörden nicht wachsam?“.
Der Frage geht demnächst eine Kommission nach, die Bund und Länder einrichten wollen. Sie hat eine Fülle von Ungereimtheiten, Pannen und Fehlern aufzuklären. Die Liste ist lang.
- Das Trio taucht 1995 in den Akten des thüringischen Verfassungsschutzes auf. Es hat Bombenattrappen platziert und eine „Judenpuppe“ an einer Autobahnbrücke aufgehängt. Strafrechtlich passiert nichts.
- 1998 finden Ermittler in den Garagen Böhnhardts vier Rohrbomben mit 1,4 Kilo TNT-Sprengstoff. Der anwesende Verdächtige steigt ins Auto und fährt weg. Das Trio taucht ab. Die Staatsanwaltschaft hatte keinen Anlass für einen Haftbefehl gesehen.
- Der Generalbundesanwalt fragt, als später ein Haftbefehl vorliegt, ob das Trio eine terroristische Vereinigung sein könne. Die Thüringer bleiben dabei: Nein. In Karlsruhe wird die Akte geschlossen.
- 1999 kommt es zu den ersten Banküberfällen im regionalen Umkreis. Trotz Überwachungen scheitern mehrere Zugriffe im letzten Moment. Es ist offen, wie nahe einzelne V-Leute der Landsverfassungsschutzämter der nazistischen Gruppe gestanden haben.
- 2000/2001 ändert sich das Klima in Deutschland. „Rechtsextremistische Gewalttaten“ seien damals als Thema „in den Hintergrund getreten“, räumt Heinz Fromm, der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, ein. Sicherheitsbehörden kümmern sich mehr um islamistischen Terrorismus.
- Von 2000 bis 2006 werden bundesweit neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft erschossen. Für die zuständigen Landeskriminalämter kommen viele Motive für die unerklärliche Mordserie in Frage: Mafia, graue Wölfe, Rivalität um Drogendeals. Nur in einer einzigen Analyse kommt die Sonderkommission „Bosporus“ zum Ergebnis, es könne sich um Rechtsextremismus handeln. Die Annahme wird aber verworfen.
- In Hessen sitzt ein Verfassungsschützer in unmittelbarer Nähe in einem Internetcafé, als ein türkischer Kleinunternehmer erschossen wird. Der Mann wird nicht festgenommen.
- Das Bundeskriminalamt bietet nach mehreren Morden an, sich mit seinen Fahndungsressourcen in die Ermittlungen einzuschalten. In einer Innenministerkonferenz lehnen die Länder ab - vor allem Bayern und Hessen. „Wir machen das selbst“.
- 2006 stoppt die Todesserie. 2007 wird die Polizistin Michele Kiesewetter in Heilbronn ermordet. 2010 erscheint eine CD der rechten Szene. Darin heißt es: „Neunmal hat er es jetzt schon getan. Die SoKo Bosporus, sie schlägt Alarm. Die Ermittler stehen unter Strom. Eine blutige Spur und keiner stoppt das Phantom. Neunmal hat er bisher brutal gekillt. Doch die Lust am Töten ist nicht gestillt.“ Die Staatsanwaltschaft Osnabrück lässt die CD beschlagnahmen. Sie kommt auf den Index jugendgefährdender Medien. Sicherheitsbehörden erkennen nicht, dass das Lied auf einen Täter-Hintergrund weist.
- Ein Jahr später, in diesem Herbst, kommen nach den Selbstmorden in der „Zwickauer Zelle“ erste Wahrheiten über das Mordgeschehen ans Licht. Das Bundesamt für Verfassungsschutz, das die CD kannte, prüft derzeit intern, warum es so blind war.