Berlin. . Mit einer umjubelten Rede hat Altbundeskanzler Helmut Schmidt am Sonntag zum Auftakt des SPD-Bundesparteitags vor deutschen Alleingängen in der EU gewarnt. Schmidt warf der schwarz-gelben Bundesregierung im Zusammenhang mit der Euro-Krise außenpolitische Fehler vor. Das Reden von einer Euro-Krise bezeichnete Schmidt als “Geschwätz“.

Der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) hat Deutschland eindringlich zu Solidarität mit den europäischen Partnern in der Finanz- und Währungskrise aufgefordert. "Unsere deutsche Hilfsbereitschaft ist unerlässlich", sagte Schmidt am Sonntag in einer viel umjubelten Rede vor dem SPD-Bundesparteitag. Deutschland habe die große Wiederaufbauleistung der vergangenen 60 Jahre nicht nur aus eigener Kraft zustandegebracht. "Wir Deutsche haben durchaus Grund zur Dankbarkeit und zugleich haben wir die Pflicht, uns der empfangenen Solidarität würdig zu erweisen durch unsere eigene Solidarität mit unseren Nachbarn", sagte der 92-Jährige in seiner gut einstündigen Rede.

Schmidt warnte mit Nachdruck vor deutschen Alleingängen in Europa. "Die sehr große und sehr leistungsfähige Bundesrepublik Deutschland braucht auch zum Schutze vor sich selbst die Einbettung in die europäische Integration", sagte er. Schmidt, der erstmals seit 1998 wieder auf einem SPD-Parteitag sprach, verwies darauf, dass bei fast allen Nachbarn angesichts der deutschen Geschichte ein "latenter Argwohn gegen Deutschland besteht". Dieser Argwohn habe auch 1950 den Beginn der europäischen Integration begründet.

Schmidt sieht Vertrauen in die deutsche Politik beschädigt

Im Zusammenhang mit der Euro-Krise seien neuerdings wieder Zweifel hinsichtlich der Stetigkeit der deutschen Politik aufgetaucht. "Das Vertrauen in die Verlässlichkeit der deutschen Politik ist beschädigt", sagte Schmidt. "Deutschland löst Unbehaben aus, neuerdings auch politische Besorgnis." Die Zweifel und Besorgnisse beruhten auch auf "außenpolitischen Fehlern" der deutschen Politik, sagte der SPD-Politiker und warnte in Richtung FDP vor "schädlicher deutschnationaler Kraftmeierei".

Der Zusammenhalt Europas sei auch angesichts der enormen Veränderungen in der Weltbevölkerung unerlässlich, sagte Schmidt, der für seine Rede fünf Minuten stehenden Applaus von den Delegierten erhielt. "Alle europäischen Nationen überaltern und schrumpfen, der Rest der Welt explodiert", sagte er. "Wenn wir die Hoffnung haben wollen, dass wir Europäer eine Bedeutung haben für die Welt, dann können wir das nur gemeinsam." Die europäische Gemeinschaft werde zu einer Lebensnotwendigkeit für die Nationalstaaten des Kontinents.

Für die Überwindung der derzeitigen Krise würden mehrere Schritte und auch Geduld gebraucht. "Wir brauchen für diese Verantwortung europäische Vernunft, auch ein mitfühlendes Herz gegenüber unseren Nachbarn und Partnern und das gilt ganz besonders für Griechenland", sagte Schmidt weiter. Europa könne nicht allein durch Haushaltseinsparungen oder Steuererhöhungen gesund werden. "Ohne Wachstum, ohne neue Arbeitsplätze kann kein Staat seinen Haushalt sanieren", betonte er. Schmidt forderte zugleich konsequente Schritte zur Regulierung der Finanzmärkte und rief hier insbesondere das Europäische Parlament zum Handeln auf.

K-Frage steht (offiziell) nicht auf dem Parteitags-Programm

Auf dem dreitägigen SPD-Bundesparteitag wollen die Sozialdemokraten ihr Profil unter anderem in den Bereichen Finanzen, Gesundheit und Arbeit schärfen. Zudem soll eine Parteireform verabschiedet werden, mit der die Führungsgremien verschlankt werden und sich die SPD stärker auch für Nichtmitglieder öffnen will. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sagte am Sonntagmorgen vor Beginn des Parteitags, sie erwarte kontroverse Debatten vor allem zu den Themen Steuern und Rente.

Neben Schmidt soll am Vormittag noch der norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg zu den Delegierten reden, im Anschluss wollen die Delegierten eine Resolution gegen Rechtsextremismus verabschieden. Weiteres Schwerpunktthema des ersten Tages ist die Europapolitik. Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier bringt einen Leitantrag des Parteivorstands dazu ein. Am Nachmittag soll dann die Parteireform verabschiedet werden.

Die 480 Delegierten wählen am Montag zudem die Parteispitze um SPD-Chef Gabriel neu. Die Frage des nächsten SPD-Kanzlerkandidaten spielt auf dem Parteitag offiziell keine Rolle, sie soll erst in etwa einem Jahr entschieden werden. Die drei potenziellen Kandidaten Steinmeier, Gabriel und Peer Steinbrück haben jeweils an einem der drei Beratungstage die Gelegenheit, sich vor den Delegierten zu präsentieren. (afp/dapd)