Berlin. . Auf dem Parteitag in Berlin am Wochenende fällt der Wettlauf der möglichen Kanzlerkandidaten wohl aus. Im Zentrum wird der Vorsitzende Sigmar Gabriel stehen. Der weiß um seine Rolle.
Andrea Nahles macht sich kurz vor dem SPD-Parteitag Sorgen: Die Redeauftritte von Peer Steinbrück, Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel dürften nicht dazu führen, dass ein Schaulauf der Kanzlerkandidaten den Parteitag dominiere, warnt die SPD-Generalsekretärin. Mit der Mahnung steht sie in der Partei nicht allein, aber sie ist wohl überflüssig. Wenn die Sozialdemokraten ab Sonntag in Berlin tagen, wird Parteichef Gabriel die wichtigste Rolle spielen – unabhängig von allen Kandidatenfragen. Gabriel will die Ernte einfahren für zwei insgesamt erfolgreiche Jahre an der Parteispitze, in denen die SPD nach der Wahlkatastrophe von 2009 erstaunlich schnell wieder Tritt gefasst hat, und er kann sich der Zustimmung der Genossen sicher sein.
Stabile Umfragen, acht erfolgreiche Landtagswahlen, geschärftes Profil, Geschlossenheit: Gabriel trägt seine Zwischenbilanz selbstbewusst vor. „Was wir geschafft haben, ist das Absprungbrett für die Rückkehr in die Regierung – als die Partei, die den Kanzler stellt“, sagt er.
Taktisch versiert mit Neigung zu Patzern
Das wird seine Botschaft für den Konvent sein, auch wenn die Umfragen die Zuversicht nicht ganz nähren und die SPD auch viel von der Schwäche der Regierung profitiert. Gabriel hält am zweiten, dem wichtigsten Tag die große Rede zu den Aufgaben der Partei und ihrem Herzensthema soziale Gerechtigkeit, er wird den „Startschuss für die Regierungsübernahme“ geben.
Steinbrück soll sich dagegen am letzten Tag auf die Finanzkrise und die Steuerpolitik konzentrieren, Steinmeier zum Auftakt über Demokratie und Europa sprechen. Ein Schaulauf? Wohl nicht. Von der Troika steht ohnehin nur Gabriel auf dem Parteitag zur Wahl. Sein 94-Prozent-Ergebnis von 2009 wird er bei den Vorstandswahlen kaum wiederholen können, aber gut dürfte er abschneiden. „Gabriel hat der SPD einiges zugemutet, er ist kein bequemer Vorsitzender, aber ist er als Chef unumstritten und alternativlos“, sagt einer aus der engen Führung. Der Niedersachse gilt als taktisch versiert, mit einem Gespür für Themen, Stimmungen und die Parteiseele – und er gilt als glänzender Redner, der auch im Bundestag meist bessere Auftritte hinlegt als Steinmeier oder Steinbrück.
Geschlossenheit in Gefahr
Patzer machte Gabriel dennoch, auch weil er eine Neigung zum Übermut und zu Spontanentscheidungen hat. In der Sarrazin-Debatte musste er einen Rückzieher machen, bei der Parteireform auch. Den Protest bekam freilich vor allem Generalsekretärin Nahles ab, sie ertrug es tapfer. Auch ihr ist das Bild der Geschlossenheit zu verdanken, das die Genossen selbst überrascht hat.
Ausgerechnet auf dem Parteitag ist die Geschlossenheit aber in Gefahr: Der linke Flügel will den Aufstand proben, will die Steuern noch weiter heraufsetzen als das Konzept der Parteispitze vorsieht, will die Rentenreformen zurückdrehen. Das gibt Krach. Gabriel stellt sich dagegen, aber die Debatte ist für den wendigen Mitte-Links-Mann weniger gefährlich als für die Pragmatiker Steinmeier und Steinbrück – schon gibt es Warnungen, die „Stones“ könnten sich als potenzielle Kanzlerkandidaten zurückziehen, wenn die SPD-Linke sich in der Rentenpolitik durchsetzt. Käme dann Gabriels Stunde als Kandidat? Er stünde im Zweifel sicher bereit. Aber dass er der Kanzlerin-Herausforderer wird, ist trotzdem unwahrscheinlich. Früh haben Gabriel, Steinmeier und Steinbrück verabredet, dass es keine „Gladiatorenkämpfe“ geben soll, früh hat sich eine Arbeitsteilung eingespielt.
Der Chef hat Zeit
Gabriel will als Parteichef aber möglichst spät die Fäden aus der Hand geben. Er werde „den vorschlagen, bei dem ich sicher bin, dass Person, Programm und Team am besten zusammenpassen und mit dem wir die größten Chancen haben“, sagt er. Dass er selbst das eher nicht ist, weiß Gabriel. Sein Handicap sind die bescheidenen Popularitätswerte in allen Umfragen. Nur eine Minderheit wünscht ihn sich als Kanzler. „Sein Image stimmt nicht, er wird ungerecht eingeschätzt, aber er weiß, dass er nicht die Reichweite hat wie Steinmeier und Steinbrück“, sagt ein Vertrauter aus der Führung. Aber der 52-jährige Gabriel hat Zeit. Er könnte Steinbrück den Vortritt lassen, erst 2017 oder später selbst antreten, im Fall einer SPD-Regierungsbeteiligung aber 2013 auch Fraktionschef werden. Längst signalisiert der Vorsitzende, dass er verstanden hat: Er wisse, was er der Partei schuldig sei, sagt Gabriel. „Es geht nicht um Karrierewünsche. Man muss auch dienen können – so wie viele vor mir in diesem Amt.“