Berlin. Thilo Sarrazin gerät wegen seiner Ausländerschelte immer stärker in die Schusslinie. Der Zentralrat der Juden wirft ihm geistige Nähe zu den Nazis vor. Er mache mit seinen Äußerungen und seinem Gedankengut Göring, Goebbels und Hitler eine große Ehre, sagte Generalsekretär Stephan Kramer.
Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin wegen dessen Ausländerschelte geistige Nähe zu den Nazis vorgeworfen. «Ich habe den Eindruck, dass Herr Sarrazin mit seinen Äußerungen, mit seinem Gedankengut Göring, Goebbels und Hitler wirklich eine große Ehre macht», sagte Generalsekretär Stephan Kramer am Freitag in Berlin. Die Türkische Gemeinde in Deutschland forderte erneut den Rücktritt des Bankers. Diese Forderung wies der SPD-Politiker zumindest vorerst zurück.
In dem vor über einer Woche erschienenen Interview mit der Zeitschrift «Lettre International» hatten vor allem zwei Sätze des ehemaligen Berliner Finanzsenators (SPD), der im Mai zur Bundesbank wechselte, für Empörung gesorgt: «Die Türken erobern Deutschland genauso, wie die Kosovaren das Kosovo erobert haben: durch eine höhere Geburtenrate.» Und: «Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert.» Die Berliner Staatsanwaltschaft prüft, ob ein Anfangsverdacht der Volksverhetzung vorliegt.
Zentralrat kritisiert Broder und Giordano
In einer gemeinsamen Pressekonferenz am Freitag solidarisierte sich der Zentralrat der Juden mit der Türkischen Gemeinde in Deutschland. Generalsekretär Kramer sagte: «Das, was er (Sarrazin) gesagt hat, das ist perfide, das ist infam, das ist volksverhetzend.» Zugleich kritisierte er die Publizisten Henryk Broder und Ralph Giordano, die Sarrazins Äußerungen verteidigt hatten. Diese «jüdischen Intellektuellen» lieferten die Legitimation dafür, dass viele die Aussagen Sarrazins richtig fänden, sagte Kramer.
Broder hatte erklärt, man könne dem 64-jährigen Sarrazin allenfalls vorwerfen, dass er in seiner Analyse nicht weit genug gegangen sei. Giordano hatte gesagt, Sarrazin habe mit seiner Beschreibung der Parallelgesellschaften genau getroffen.
Türkische Gemeinde kämpft gegen Rassismus
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, forderte erneut Sarrazins Rücktritt. Er habe Bundesbankpräsident Weber in einem Brief um ein Gespräch gebeten, in dem er diese Forderung verstärken wolle, sagte Kolat.
Sarrazin lehnte indes am Freitag den vielfach geforderten Rücktritt ab. Er werde am Montag wie üblich in seinem Bundesbank-Büro in Frankfurt arbeiten, wo ein Stapel von Akten auf ihn warte, zitierte ihn das Internetportal der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». Politiker fast aller Parteien hatten bereits den Rücktritt gefordert. Auch Bundesbank-Chef Axel Weber legte Sarrazin dies nahe.
Dagegen erklärte Kramer, von einem Rücktritt halte man nichts. Vielmehr solle Sarrazin bei der Bundesbank weiterarbeiten und sein Gehalt sozialen Einrichtungen zur Verfügung stellen.
Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma forderte die Parteien auf, das Thema auf ihre Agenda zu setzen. Die Auseinandersetzung darüber dürfe nicht der Propaganda der NPD überlassen werden.
Sarrazin ist für seine provokanten Äußerungen bekannt. In seiner Zeit als Berliner Finanzsenator schlug er verbal unter anderem auf streikende Busfahrer, Hartz-IV-Empfänger, Mindestlohn-Befürworter oder Berliner Schulabgänger ein. (ap)