Berlin. Neuer Präsident des Zentralrats der Juden und damit Nachfolgerin von Charlotte Knobloch könnte Henryk M. Broder werden. Laut einem Medienbericht hat er seine Kandidatur für das kommende Jahr angekündigt. Der Publizist sieht den Verband in einem "erbärmlichem Zustand".

Der Publizist Henryk M. Broder kandidiert für das Amt des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland. Das kündigte der 63-Jährige in einem Artikel im «Tagesspiegel» an. Er bewerbe sich nach reiflicher Überlegung auch deshalb um die Nachfolge von Charlotte Knobloch bei der Wahl im kommenden Jahr, weil sich der Verband in «einem erbärmlichen Zustand» befinde, schrieb der Berliner Journalist und Buchautor.

Über Knobloch urteilt Broder, der einer polnisch-jüdischen Familie entstammt, hart: «Die Präsidentin - intern Tante Charly genannt - scheint von dem Job überfordert.» Knobloch selbst ließ erklären, von ihr gebe es keine Stellungnahme dazu.

Auch mit Generalsekretär Stephan Kramer ging Broder scharf ins Gericht. Dieser versuche vergeblich, die schwindende Bedeutung der Organisation mit ihren rund 120.000 Mitgliedern durch taktische Allianzen und «sinnfreien Aktionismus» auszugleichen.

Holocaustleugnung als Straftatbestand aufheben

Als Präsident will sich Broder dafür einsetzen, dass die Holocaustleugnung als Straftatbestand aufgehoben wird. «Das Gesetz war gut gemeint, hat sich aber als kontraproduktiv erwiesen, indem es Idioten dazu verhilft, sich als Märtyrer im Kampf um die historische Wahrheit zu inszenieren», schrieb Broder. «Unser aller Problem ist nicht der letzte Holocaust, dessen Faktizität außerfrage steht, sondern der Völkermord, der vor unseren Augen im Sudan stattfindet.» Deutschland brauche nicht noch mehr Holocaust-Mahnmale und Gedenkstätten, sondern eine aktive Politik im Dienst der Menschenrechte ohne Rücksichtnahme auf wirtschaftliche Interessen.

Auch wolle er sich um gute Beziehungen zu den Moslems in Deutschland bemühen, die für eine strikte Trennung von Staat und Religion eintreten, schrieb Broder.

«Reue-Entgegennahme-Instanz»

Broder erklärte, dass Stellungnahmen des Zentralrats kaum noch wahrgenommen würden, «weil er sich inflationär zu allem und jedem äußert». Auch sei es falsch, dass sich der Verband als eine Art Frühwarnsystem gegen politischen Extremismus und andere aufziehende Gefahren verstehe. Broders Fazit lautet: «Der Zentralrat tritt als Reue-Entgegennahme-Instanz auf und stellt Unbedenklichkeitserklärungen aus, wobei es weder nach oben noch nach unten eine Schamgrenze gibt.»

Der Zentralrat sollte sich nach seiner Auffassung in die Gesellschaft öffnen. «Ich bin überzeugt, dass es keine partikularen jüdischen Interessen gibt. Ob jemand koscher isst oder halal oder doch lieber Kasseler, ist Privatsache», schrieb er. Offensiv verteidigt werden müssten indes Freiheit, Demokratie und der Rechtsstaat, und zwar von «Juden, Christen, Moslems, Atheisten, Agnostikern, Häretikern, von Ariern und Vegetariern, Frauen und Männern, Heteros und Homos». Der Aufsatz trägt den Titel: «Meine Kippa liegt im Ring.»

Wahlunterstützer in zwei Gemeinden

Der Zentralrat der Juden in Deutschland ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und der Dachverband der jüdischen Gemeinden in der Bundesrepublik Deutschland mit circa 120.000 Mitgliedern in 107 Gemeinden.

Um gewählt zu werden, muss Broder nach eigenen Angaben einer Repräsentantenversammlung einer jüdischen Gemeinde angehören und von dieser nominiert werden. «Nachdem mir aber zwei kleine Gemeinden ihre Unterstützung zugesagt haben, sind das keine unüberwindlichen Hindernisse», schrieb er. «In zwei Jahren werde ich 65, ich habe immer das getan, was ich tun wollte. Jetzt ist die Zeit gekommen, das zu tun, was ich tun sollte.»

Broder hat sich in vielen Büchern über die jüdische Kultur, das deutsch-jüdische Verhältnis und über Judenfeindlichkeit und Antiamerikanismus in der hiesigen Gesellschaft geäußert. Er ist Mitbetreiber des publizistische Netzwerk «Die Achse des Guten». (ap)