Bergkamen. In der ehemaligen Kohlestadt Bergkamen wird in manchen Vierteln kein Deutsch mehr gesprochen. Ganze Siedlungen direkt im Stadtzentrum sind fest in türkischer Hand. Gefährlich, finden Kritiker.
Radio Wendel, Schuhe Büscher, Metzger Bittner – alle weg. Der Uhrmacher und die alte Drogerie Martin auch. Und dort, wo das kleine Blumenlädchen Generationen von Bergleutefrauen mit Nelken und Tulpen versorgte, dreht sich heute Putenfleisch im Grill der Dönerschmiede. In bester Nachbarschaft zum türkischen Café, Handyshop und Gemüseladen. Doch das Gefühl, dass sich die Deutschen im Zentrum der ehemaligen Kohlestadt auf dem Rückzug befinden, macht sich am kleinen Eckladen am Ende der Einkaufsstraße fest. Im Schaufenster: Burkas, Schadore, bodenlange Mäntel und Kopftücher in schwarz und dunkelblau für die muslimische Frau.
"Deutsche fühlen sich fremd in der eigenen Stadt"
„Viele Deutsche empfinden diese Abgrenzung und Überlegenheit als unangenehm. Sie fühlen sich fremd in der eigenen Stadt. Das ist ein Dauerthema. Es gibt viele Beschwerden”, berichtet der Sozialdezernent der Stadt, Bernd Wenske. Die Migranten haben in Bergkamen eine Stadt in der Stadt gebildet. Ganze Siedlungen direkt im Stadtzentrum sind fest in türkischer Hand. Nimmt man türkische Geschäfte, Arztpraxen, Reisebüros und Fahrschulen dazu, in denen Menschen türkischer Herkunft arbeiten, besteht an manchen Stellen überhaupt keine Notwendigkeit, Deutsch zu sprechen. Geschweige denn, zu lernen. Laut Wenske wird fast ausschließlich innerhalb der eigenen Bevölkerungsgruppe geheiratet. „Junge türkische Männer mit jungen türkischen Frauen aus der Türkei”, berichtet er. Diese Frauen kämen aus ländlichen Gegenden, sprächen kaum Deutsch und gäben dieses Defizit an ihre Kinder weiter.
„Leider sind viele Türken in unserer Gesellschaft nicht angekommen”, sagt Wenske, um gleichzeitig einzuräumen, „viele Jahre hat das auch niemanden interessiert”. Niemanden habe es gekümmert, dass die Migranten die deutsche Sprache nur mangelhaft beherrschten und sich somit den Zugang zu Bildung und Aufstieg verbauten. Niemanden interessierte, dass sie den schlechtesten Wohnraum hatten, Knochenjobs erledigten und häufiger arbeitslos waren als Deutsche. „Sie waren auf sich selbst gestellt und irgendwann hat sich eine Eigendynamik entwickelt, die zur Rückbesinnung auf die eigenen Traditionen führte.”
Internat für "Kaderfrauen von Milli Görus"
Genau in diese Lücke, so der Experte für religiöse Vereinigungen in Deutschland, stoße Milli Görus. Jene Vereinigung, die die Grundsätze der Demokratie ablehnt und seit Jahren vom Bundesverfassungsschutz beobachtet wird. Die Föderation islamischer Gemeinden (FIG), ein Ableger von Milli Görus, betreibt in Bergkamen ein Fraueninternat. In dem von Stacheldraht eingezäunten Haus werden laut Wenske pro Jahr 40 junge türkische Frauen ausgebildet, die aus Deutschland, Holland und Belgien kommen. Diese Frauen haben gute Schulabschlüsse und sprechen perfekt Deutsch.
„Sie werden zu Kaderfrauen von Milli Görus ausgebildet. Ihnen wird der letzte Schliff beigebracht, um die Lehre des Koran in türkische Familien und Vereine tragen zu können”, berichtet er. Hier werde eine fundamentalistische Glaubensrichtung verbreitet, die sich mit der Gleichberechtigung nicht vereinbaren lasse.
"Erdogan will eine Islamisierung des Staates"
Doch nicht nur von Milli Görus droht eine Islamisierung. Auch Migrantenvereine wie DITIB wollen die radikaler gewordene türkische Staats-, Gesellschafts- und Religionslehre in Deutschland verbreiten. Was nahe liegt, sind die DITIB-Organisation doch an den Staat angeschlossen. Kopf des Ganzen ist das Präsidium der Anstalt für Religion in der Türkei, dem türkische Staat die Imame zuweist. Diese werden nach Deutschland in die DITIB-Vereine geschickt. „Es ist kein Geheimnis, dass Staatspräsident Erdogan eine Islamisierung des Staates will”, sagt Wenske. Inzwischen reiche in der Türkei der Besuch einer Koranschule für ein Studium aus, die Hochschulreife sei nicht mehr erforderlich.
Nimmt man alle Menschen mit ausländischem Hintergrund zumindest eines Elternteils – einschließlich derjenigen mit deutscher Staatsangehörigkeit – so leben in Bergkamen 9500 Einwohner mit Migrationsgeschichte, darunter 7000 türkischstämmige Personen. Die 52 000-Einwohner-Stadt Bergkamen will auf diese Entwicklung reagieren. Kinder sollen so früh wie möglich Deutsch lernen, also noch bevor die Grundschule beginnt. Kleine türkische Jungs sollen erst gar nicht auf den Macho-Tripp gebracht werden. Der unter anderem dazu führt, dass schon Dreijährige nicht mehr auf eine Erzieherin hören. Weil sie eine Frau ist.