Berlin. Die AfD hatte zuletzt bei den Wahlen in Thüringen und Sachsen bei jungen Leuten Erfolg. Wie Experten auf die Bundestagswahl blicken.

Die Schlange in der Janusz-Korczak-Bibliothek in Berlin-Pankow ist lang. Es ist 10.21 Uhr, etwa zwei Dutzend Menschen stehen an der Wahlkabine an. Ein Mix aus Stimmengewirr, Unsicherheit und Aufregung liegt in der Luft. Denn heute wird der Bundestag gewählt. Nicht der wahrhaftige. Denn bei den Wartenden handelt es sich um Schülerinnen und Schüler einer umliegenden Sekundarschule. Kinder und Jugendliche von Klasse eins bis zehn nehmen hier an der U-18-Wahl teil.

Joscha* steht in der Schlange – und ist ganz aufgeregt. „Ich wähle auf jeden Fall was Linkes“, sagt er. Neben ihm steht Mitschülerin Melina*, die verrät: „Ich wähle was sehr Linkes.“ Die 17-Jährige darf noch nicht an der offiziellen Bundestagswahl teilnehmen. Erst im Oktober wird sie volljährig. Fragt man die Jugendlichen, die heute in der Bibliothek ihr Kreuz setzen, lautet die häufigste Antwort: „Die Linke“. Auch der SPD oder den Grünen wollen viele ihre Stimme geben. Keiner gibt an, die CDU oder AfD zu wählen.

Janusz-Korczak-Bibliothek
Ein Schüler nimmt in der Janusz-Korczak-Bibliothek in Berlin-Pankow an der U18-Wahl teil. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Bundestagswahl 2025: AfD auch bei jungen Menschen beliebt

Viele Jahre galt dieses Versprechen: Junge Menschen sind weltoffen, liberal, zuversichtlich. Das Internet vernetzt die Generation, Ländergrenzen weichen auf, nationale Identitäten ordnen sich unter. Klimaschutz, globale Gerechtigkeit, sexuelle Freiheit, aber auch die Balance zwischen Lebens- und Karriereträumen – all das sind Themen der Jugend. Und die wählt vor allem grün und links. Für das Wahllokal im Norden Berlins mag das Versprechen an diesem Februarmorgen noch gelten.

Aber Pankow ist eben nicht Deutschland. Ein anderer Teil der jungen Menschen in Deutschland wählt rechts. Und das, so legen es Sozialforscher nahe, nicht nur aus Protest, nicht aus Ahnungslosigkeit, sondern aus Überzeugung. Junge Menschen demonstrieren gegen Paraden von Lesben und Schwulen, wettern gegen Ausländer und den Islam, vernetzen sich mit anderen Radikalen – und tragen zum Erfolg der AfD entscheidend bei.

Europawahl, Sachsen, Thüringen: Die AfD räumte unter jungen Menschen ab

Bei der Landtagswahl in Sachsen im vergangenen Sommer erzielte die Partei bei Menschen zwischen 18 und 24 ganze elf Prozentpunkte mehr als 2019. Die AfD landete bei 31 Prozent. Bei der Wahl in Thüringen kam die Partei sogar auf 38 Prozent bei den jungen Leuten. In dem Bundesland gilt die AfD dem Verfassungsschutz zufolge als gesichert rechtsextrem, mit Björn Höcke an der Spitze. Doch Radikalität schreckt nicht ab – im Gegenteil: Sie zieht junge Menschen offenbar auch an.

Teilnehmer des AfD-Bundesparteitags in Riesa mit einem Stoffbeutel bzw. Pullover mit dem Logo der AfD-Jugendorganisation «Junge Alternative» (JA).
Mit Stoffbeuteln und ansprechend desgintem Hoodie versuchte die Junge Alternative, junge Menschen von sich zu überzeugen. © DPA Images | Sebastian Kahnert

Im Wahlkampf posierte Björn Höcke mit Fliegerbrille und tourte auf einer Simson, einem DDR-Kult-Moped, durch das Land. Der passende Slogan: „Ja zur Jugend!“ Die AfD setzt auf rechte Ost-Alltagskultur – auf Simson statt auf Lastenrad, das die urbane Wählerschaft gern radelt. Zugleich mischt sie ihre extremen Parolen geschickt unter diesen „Feelgood“-Wahlkampf.

Wahlkampf der AfD: So buhlen die Kandidaten um die jungen Wähler

Auf einem Plakat hieß es im Osten: „Sommer, Sonne, Remigration“ – ein Kampfbegriff der neurechten Szene. Die „Identitäre Bewegung“ (IB), die stark geprägt ist von jungen Aktivisten, dockt an Akteure der AfD an. Die IB ist eine Art rechtsradikales Greenpeace. Junge Menschen finden hier hippe rechte Modelabels, neurechte Musik – Die IB demonstriert oder besetzt Parteizentralen und das Brandenburger Tor.

Alice Weidel: Kanzlerkandidatin der AfD 2025

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    Erfolg hat die Rechte nicht nur im Osten. Bei der Europawahl im Mai wuchs keine andere Partei unter jungen Menschen bundesweit so stark wie die AfD, die nun mit Alice Weidel in den Bundestagswahlkampf zieht. Am meisten mussten die Grünen einbüßen. Der Winterwahlkampf jetzt könnte der AfD bei jungen Wählerinnen und Wählern zusätzlich helfen – denn vieles entscheidet sich digital, wenn die Auftritte auf Marktplätzen rar sind.

    Die AfD nutzt TikTok und Instagram, um junge Menschen zu erreichen

    Und genau dort ist die AfD besonders stark. Keine andere Partei setzte so früh und so konsequent auf die Strategie, junge Menschen in den sozialen Netzwerken anzusprechen, vor allem auf TikTok und Instagram. Genau dort, wo junge Leute sich heute am meisten über Politik informieren. Der Erfolg der Rechten ist auch ein Kommunikationsversagen der anderen Parteien.

    Im Europawahlkampf ging ein Video viral, in dem Spitzenkandidat Maximilian Krah behauptete, dass „echte Männer rechts wählen“. Es ist ein Spot, der abrechnet mit progressiven Rollenbildern und Gender-Gerechtigkeit. Krah knüpft an traditionelle Geschlechterrollen an, schwärmt von einer starken Männlichkeit. Das verfängt laut Parteienforschern bei jungen Menschen.

    AfD-Europakandidat Maximilian Krah schwärmte im Netz von starker Männlichkeit

    Im Vergleich zu den Social-Media-Inhalten anderer Parteien habe man den Eindruck, dass die AfD ihre Wählerschaft als politisch mündige Bürgerinnen und Bürger ernst nehme, sagt die Politikwissenschaftlerin Charlotte Meier von der Universität Leipzig. 

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    Hinzukommen die Krisen, die junge Menschen treffen: der Klimawandel, die krisenhafte wirtschaftliche Situation, die instabile Weltlage mit dem Krieg in der Ukraine. „Wir sehen einen Anstieg an Ängsten – sowohl im Vergleich zum Rest der Bevölkerung als auch im Vergleich mit Gleichaltrigen vor 10 oder 20 Jahren“, sagt der Jugendforscher Rüdiger Maas unserer Redaktion. „Wenn jemand Angst hat, ist er auf der emotionalen Ebene und damit auch nicht mehr so zugänglich für Fakten.“

    Demonstration der AfD Neumünster und Gegendemonstrationen
    Bei einer Demonstration der AfD in Neumünster Ende Januar 2025 treten die Teilnehmer geschlossen auf, als „Jugend, die sich wehrt“. © DPA Images | Markus Scholz

    Die AfD bietet einfache Lösungen, und extreme. Aber Extremismus wird von vielen jungen Menschen nicht mehr als das erkannt, was es ist. Auch das zeigen Studien. Links und rechts bedeutet der neuen Generation weniger als es noch für die ältere Wählerschaft gilt. Parteienbindungen lösen sich auf.

    Expertin: AfD „liefert einfache Antworten“ auf negative Emotionen

    Zugleich ist aktuell die Enttäuschung von der Politik groß, das Scheitern der Ampel-Regierung von SPD, Grünen und FDP lässt Verdrossenheit wachsen. Das öffnet Türen für die Radikalen. Die AfD greife „negative Emotionen wie Wut und Angst auf und liefert einfache Antworten auf die Ursachen dieser Gefühle“, sagt Meier. Komplexe Phänomene würden auf simple Phrasen reduziert und immer wieder wiederholt, etwa die Losungen der AfD über „Messermänner“ und „Abschieben, abschieben, abschieben“.

    Die rechte Szene – von „Identitären“ bis AfD – hat es geschafft, zwischen Frust und Angst ein Narrativ aufzubauen. Es ist die Erzählung von der nationalen Identität. Die Probleme kommen von außen (Migranten) und lassen sich am besten „unter uns“ lösen (Grenzen dicht).

    Demonstrierende halten Deutschlandflaggen hoch.
    Die rechte Szene hält die Erzählung einer nationalen Identität aufrecht. Bei Kundgebungen wird oft die Nationalflagge geschwenkt. © picture alliance / ZUMAPRESS.com | Michael Kuenne

    Die politische Linke hat es bisher nicht geschafft, eine Gegenerzählung aufzubauen. Die Grünen versuchen es mit dem Klimaschutz und will die jungen Menschen dahinter einen. Die Linkspartei agitiert gegen Reiche, will Milliarden-Vermögen halbieren. Das alles löst Emotionen aus, wirkt zugleich wenig neu. Und doch konnte die Linkspartei zuletzt leicht zulegen, was vor allem an der jungen Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek liegt – und ihre starke Kampagne in den sozialen Netzwerken.

    Aktuell führt die Politik eine sehr emotionale Debatte über Migration. Es ist unklar, wie stark die AfD davon profitiert im laufenden Wahlkampf. Oder es der Linken doch gelingt, als flüchtlingsfreundliche Partei junge Stimmen zu gewinnen. Umfragen dazu, wie junge Menschen bei der Bundestagswahl 2025 abstimmen wollen, gibt es wenige. Laut Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen e.V. ist deren Stichprobe zu klein, um eine seriöse Aussage über das wahrscheinliche Wahlverhalten junger Menschen zu treffen.

    Forsa-Umfrage: So stehen AfD, Grüne und Linke bei jungen Leuten im Kurs

    Einer neuen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa für RTL und ntv zufolge scheint die AfD bei jüngeren Menschen bundesweit nicht an der Spitze zu stehen. Die Erhebung weist für die Partei bei den Menschen zwischen 18 und 29 Jahren nur 17 Prozent Zustimmung aus – während die Grünen auf 19 Prozent kommen.

    Ebenfalls 19 Prozent Zustimmung erhält Die Linke in dieser Altersgruppe. Deren Co-Vorsitzende Ines Schwerdtner zeigte sich am Dienstagabend bei X euphorisch. Sie schrieb: „Wir haben die AfD-TikTok-Welle und vor allem die Jugendwelle durchbrochen.“ Das sei spielentscheidend. „Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft liegt jetzt links“, so Schwerdtner.

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    Klar ist aber auch, so belegt die Forschung, dass vor allem Emotionen junge Menschen mobilisieren. Dem Jugendforscher Maas zufolge sorgen sich viele junge Menschen im Westen Deutschlands um ihre finanzielle Situation – Jugendliche im Osten um die Migration.

    Jugend im Osten sorgt sich um die Migration – und wählt die AfD

    Maas beobachtet, dass junge Erstwählerinnen eher links, junge Erstwähler eher rechts und rechtskonservativ wählen. Seine Prognose: „Im Osten wird unter jungen Männern die AfD auf Platz 1 stehen, bei jungen Männern im Westen wird voraussichtlich die CDU vorn liegen.“

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    Meine schwerste Entscheidung

    Der Jugendforscher sagt aber auch: „Diese Einstellungen sind nicht stabil. Viele sagen zum Beispiel zur AfD: ‚Ich wähle die jetzt mal und dann guck’ ich, was passiert.‘“ Die Gefahr ist: Viele junge Leute würden unterschätzen, was passiere, wenn diese Partei Macht bekomme.

    Für Joscha* im Wahllokal im Berliner Norden ist diese Gefahr von rechts real, sagt er. Jeden Dienstag geht er in eine inklusive Sportgruppe. Solche Angebote könnten schließen, wenn die „falschen“ Parteien, wie er sie nennt, zu viel Mitspracherecht im Bundestag bekommen. Der junge Berliner denkt deshalb darüber nach, „in eine der linkeren Jugendorganisationen einzutreten.“ Seine Begleiterin schlägt lächelnd vor: „Oder in eine sehr linke.“

    * Namen von der Redaktion geändert