Berlin. Merz ist streitlustig, Scholz gewohnt detailverliebt. Habeck gibt den Energieberater. Weidel wirbt um Sympathien. So lief die ARD-„Wahlarena“.
Wieder ein Wahlabend, wieder vier Kandidaten, wieder zwei Stunden purer Politik-Talk. 4000 Menschen hatten sich mit einer Frage bei der ARD beworben, 150 von ihnen wurden ausgewählt, dürfen ins Studio kommen. Sie sitzen am späten Montagabend in der „Wahlarena“ zur Bundestagswahl. Nacheinander kommen die Kanzlerkandidaten der vier großen Parteien: Friedrich Merz von der CDU, SPD-Politiker Olaf Scholz, AfD-Chefin Alice Weidel und Grünen-Kandidat Robert Habeck.
Mit neuen Positionen konnte keiner der vier überraschen. Und doch gab die Sendung, die von Louis Klamroth und Jessy Wellmer moderiert wurde, ein paar neue Details preis. Das waren die Highlights:
Friedrich Merz – Streitlustig, und doch wenig überraschend
Friedrich Merz ist streitlustig. Er legt sich mit einer Juristin aus Berlin an, die den Schwangerschaftsabbruch in den ersten Wochen legalisieren will. Merz will das nicht. Auch das ungeborene Kind habe ein Recht. Eine junge Frau erklärt, dass traumatisierten Geflüchteten der Zugang zu einer psychologischen Therapie fehlt – und manche von ihnen aufgrund von Erkrankungen zu Gewalt greifen würden. Die Antwort von Merz darauf: „Diejenigen, die kein Aufenthaltsrecht haben, so schnell wie möglich das Land zu verlassen.“
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Der CDU-Kanzlerkandidat widerspricht in der „Wahlarena“ oft, traut sich, mit seiner Meinung beim Publikum anzuecken. Dabei wirkt er souverän. Und trotz der Widerrede bleibt er zugewandt. Merz macht einen wachen, aufgeräumten Eindruck kurz vor der Wahl. Und auch die Menschen, mit denen er streitet, nicken am Ende. Vielleicht nicht immer zufrieden und zustimmend, aber sie erscheinen zumindest anzuerkennen, dass Merz für seine Meinung eintritt.
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Was Merz nicht gelingt: Neue Punkte zu setzen. Alles, was er erzählt, überrascht nicht. „Ich bin für regenerative Energien“, sagt Merz etwa. „Nur: Wir dürfen die Bevölkerung nicht verlieren auf diesem Weg.“ Es dürfte ein Satz sein, den Merz im Wahlkampf circa 230 Mal gesagt hat. Wer Merz gut findet, wird ihn nach dieser Sendung genauso gut finden. Wer Merz ablehnt, hat nichts entdeckt, was überzeugt.
Olaf Scholz – Der Kanzler entdeckt das „Wir“
OIaf Scholz macht das, was er am besten kann: Er redet von sich selbst. Der Kanzler und Spitzenkandidat der SPD listet auf, dass er schon „als Arbeitsminister einen Pflegemindestlohn eingeführt“ habe. Es ist ein Teil seiner Antwort auf eine Frage einer Rentnerin, die 45 Jahre in der Pflege gearbeitet hat – und nun trotzdem halbtags arbeitet, weil das Geld nicht reicht.
Rente ist ein gutes Thema für Scholz. Und er hat Glück – auch ein zweiter junger Mann im Publikum fragt nach der Rente. Drei Punkte seien Scholz wichtig. Er wolle keine Anhebung des gesetzlichen Rentenalters. Scholz sagt: „Die Renten müssen steigen wie die Löhne.“ Und der Kanzler will auch weiterhin, dass Menschen nach 45 Jahren Arbeitsleben in Rente gehen können – ohne Abschläge.
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Der SPD-Politiker gibt, wie schon im vergangenen TV-Duell, detailverliebte Antworten. Auf manche mag das professionell wirken, andere schreckt das ab. Dass Scholz vor allem von seinen eigenen Vorhaben spricht, liegt nahe: Er hat viele Jahre Regierungserfahrung, in Hamburg als Bürgermeister, als Minister in der Bundesregierung, nun sogar als Kanzler. Das unterscheidet ihn von Merz – der noch nie regiert hat. Und immerhin: Scholz sagt dieses Mal, anders als in vorherigen Duellen, weniger das Wort „Ich“ – und ein paar Mal sogar „Wir“.
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Alice Weidel – Was die AfD-Politikerin mit Björn Höcke nun klären muss
Vor allem eine Legende kann die AfD in diesem Wahlkampf nicht mehr verbreiten: Sie komme ja nie vor in den Talkshows und TV-Duellen. Wie einige Mal zuvor, ist nun auch Alice Weidel wieder mit in der Debatte live im Fernsehen dabei. Die Spitzenkandidatin der in weiten Teilen rechtsextremen AfD geht in der „Wahlarena“ in die Charmeoffensive. Anders als Merz streitet sie nicht mit dem Publikum, sondern schmiegt sich an. Sie lobt die Fragen, sie hört zu, sie nickt, „ja, richtig, hm“. Weidel wirkt oft unnahbar, spöttisch, arrogant. In der ARD-Sendung will sie ihr Image aufbessern.
Antworten gibt sie, mehrfach allerdings nicht direkt auf die Frage des Publikums. Ein Krankenhauspfarrer aus Kiel zeichnet den Abgrund auf, in dem sich das Gesundheitssystem befindet, wenn Zuwanderung fehlt. Die AfD verschrecke junge Menschen etwa aus Indien, die dringend gebraucht würden, wenn sie mit dem rechtsradikalen Kampfbegriff „Remigration“ Wahlwerbung mache. Weidel sagt: Wer qualifiziert ist und Steuern zahle, dürfe nach Deutschland kommen. „Illegale sind in unserem Land nicht mehr willkommen, und wir werden sie ausweisen.“ Das bedeutet auch: Wer in einer Ausbildung in der Pflege steckt, muss gehen. Wer hier eigentlich arbeiten kann als Fachkraft, aber über das Asylgesuch in Deutschland angekommen ist, auch.
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Weidel weicht an diesem Punkt lange aus, weil auch sie die Not der fehlenden Fachkräfte anerkennen muss. Aber die AfD-Politikerin findet dann doch zurück in einen harten Kurs: „Wer geduldet ist, muss gehen.“
Mehrfach wird Weidel auf ihre lesbische Beziehung angesprochen. Eine Frau sagt, sie werde nun „die Fragen aller Fragen“ stellen. Wie könne Weidel in einer Partei Mitglied sein, die eine Ehe von Mann und Frau mit „möglichst vielen Kindern“ ins Zentrum stellt? Applaus im Publikum. Weidel geht in diesem Moment in die Offensive: „Es handelt sich um ein Leitbild, das auch ich mit vertrete“, sagt sie. Die Familie sei „die Keimzelle unserer Gesellschaft“. Auf die Gleichstellung der homosexuellen Lebenspartnerschaften wolle sie aber nicht verzichten. „Was passiert, wenn mir etwas zustößt?“, sagt Weidel. „Wenn es einen Anschlag auf mich gibt?“ Dann wolle sie auch die Erbschaftsansprüche klar geregelt wissen. So wie in einer Ehe zwischen Mann und Frau.
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Die Frau aus dem Publikum fragt nach: „Und Sie glauben, dass Herr Höcke das genauso sieht?“ Weidel antwortet: „Ich glaube schon.“ Sicher ist sie sich offenbar nicht.
Robert Habeck – Der Grünen-Kandidat wird am Ende doch noch emotional
Bei der letzten Frage an Robert Habeck wird es noch einmal emotional. Eine Frau warnt vor den „Tech-Oligarchen“, also Menschen wie Elon Musk, dem das milliardenschwere soziale Netzwerk „X“ gehört. Der Spitzenkandidat der Grünen spricht von einer „entgrenzten Macht“, wenn der „mächtigste Mann der Welt“ (Donald Trump) und der „reichste Mann der Welt“ (Musk) eine Allianz eingehen. „Das ist ein massiver Angriff auf unsere Werte“, sagt Habeck. Sein Rezept: Social Media regulieren. Vor allem aber: eine eigene europäische Plattform aufbauen.
Vor dieser Frage musste der bisherige Vize-Kanzler einige Detailfragen zu Wirtschaftsthemen beantworten, etwa als ein Familienvater aus Niedersachsen von den Problemen bei seiner Dachsanierung berichtet. „Da kommen jetzt noch 30.000 Euro für eine Solaranlage dazu.“ In dem Bundesland regiert Rot-Grün, und Solaranlagen seien dort nun bei Sanierung verpflichtend aufzubauen. Habeck gibt den Energieberater, erzählt von Förderungen, davon, dass die Bank dem Mann eigentlich einen Kredit gewähren müsse. „Die Solaranlage wirft ja Geld ab.“
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Eine Studentin fragt Habeck zur Versteuerung von Kapitalerträgen, ein anderer zur Deckelung von Mieten. Der Kandidat der Grünen muss an diesem Abend viele Details beantworten, muss den Maschinenraum der Politik erklären. Das gelingt ihm souverän. Zugleich kann er kaum große Linien seiner grünen Politik zeichnen. Ein großer Wurf gelingt Habeck in der „Wahlarena“ nicht.
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Visionen aufzeichnen, was Habeck so gerne macht, darf er nur noch einmal zum Schluss. Als die (etwas wohlwollende) Frage der Moderation aufkommt, was in diesem Wahlkampf zu wenig Thema sei, antwortet Habeck (wenig überraschend): Klimapolitik. Und der Grünen-Kandidat spricht eine Warnung aus: „Mit dem Umfallen Deutschlands, fällt Europa um. Und dann ist es vorbei mit dem globalen Kampf gegen den Klimawandel.“ Dann schiebt er einen Satz hinterher: „Diese Wahl ist eine echte Klimawahl.“ Wen er empfehle zu wählen, sei offensichtlich.