Düsseldorf.. Die Ausländerbehörden hatten das Land früher als bisher bekannt auf Abschiebe-Probleme hingewiesen. Reagierte NRW zu spät darauf?
Das Ministerium von NRW-Fluchtministerin Josefine Paul (Grüne) wurde schon rund 15 Monate vor dem islamistischen Terroranschlag von Solingen und einen Monat vor der gescheiterten Abschiebung des späteren Attentäters von einer Zentralen Ausländerbehörde (ZAB) auf Probleme bei der Überwachung der Anwesenheit von Abzuschiebenden hingewiesen.
Behörde wollte Zugriffsmöglichkeit auf die An- und Abwesenheitsdaten
Am 9. Mai 2023 habe die ZAB Essen gegenüber dem Fluchtministerium geäußert, „dass ein unmittelbarer Zugriff auf die An- und Abwesenheitsdaten durch die Mitarbeitenden der Zentralen Ausländerbehörde ermöglicht werden sollte“, steht in der Antwort der Ministerin auf eine SPD-Anfrage, die dieser Redaktion vorab vorliegt.
Einen Monat später, am 5. Juni 2023, sollte der später des Terroranschlags von Solingen verdächtige Syrer Issa Al H. nach Bulgarien abgeschoben werden. Das gelang der Bielefelder Ausländerbehörde aber nicht, weil der Mann nicht in der Zentralen Unterbringungseinrichtung in Paderborn angetroffen wurde. Kurz vor dem unangemeldeten Auftauchen der Behördenmitarbeiter und kurz danach soll der Syrer aber in dem Flüchtlingsheim gewesen sein. Heute steht Issa Al H. im Verdacht, am 23. August 2024 beim Solinger Stadtfest mit einem Messer drei Menschen getötet und sechs schwer verletzt haben.
2025 sollen die Landeseinrichtungen ans An- und Abwesenheitssystem angebunden werden
Noch im laufenden Jahr 2025 sollen sämtliche Landeseinrichtungen für Geflüchtete an ein einheitliches An- und Abwesenheitssystem angebunden werden, schreibt Ministerin Paul in ihrer Antwort. Unmittelbar nach dem Anschlag von Solingen hatte Paul per Erlass verfügt, dass die Ausländerbehörden Zugriff auf das zentrale Anwesenheitssystem der Unterbringungseinrichtungen bekommen sollen. Zur Umsetzung hätten zunächst technische, organisatorische und datenschutzrechtliche Voraussetzungen geprüft werden müssen, erklärt Paul in ihrer Antwort.
Kapteinat (SPD): „Erst über ein Jahr nach dem Anschlag von Solingen handelte die Ministerin“
Aus der Sicht von SPD-Landtagsfraktionsvize Lisa-Kristin Kapteinat erfolgt der Anschluss an das Anwesenheitssystem viel zu spät. „Fluchtministerin Paul und ihr Haus wurden anscheinend schon weit vor dem Anschlag in Solingen von den eigenen Behörden darauf hingewiesen, dass ein unmittelbarer Zugriff der ZABen auf die An- und Abwesenheitsdaten in Landeseinrichtungen notwendig ist“, sagte Kapteinat dieser Redaktion. „Erst über ein Jahr später, nach dem Anschlag von Solingen, kam die Ministerin ins Handeln und verkaufte ihren längst überfälligen Erlass als großen Erfolg.“
Paul habe nach dem Anschlag stets das System kritisiert, „ohne sich selbst zu hinterfragen“, so Kapteinat. Die Ministerin habe ihre eigenen Behörden in dieser Frage ein Jahr lang ignoriert und lasse schon länger „Desinteresse“ beim Thema Flucht und Asyl erkennen. Die SPD hatte zuletzt mehrere Anfragen an die Ministerin gerichtet.
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Im vergangenen Jahr waren Kommunikationsprobleme innerhalb der Landesregierung im Zusammenhang mit dem Solingen-Anschlag bekannt geworden.
Untersuchungsausschuss Solingen
Der Terroranschlag von Solingen mit drei Toten wird im Landtag politisch aufgearbeitet. Fast drei Monate nach dem tödlichen Messerangriff von Solingen setzte der NRW-Landtag im November 2024 mit den Stimmen aller Fraktionen einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) ein. Dem gemeinsamen Antrag von CDU, SPD, Grünen und FDP stimmte damals auch die AfD zu.
Der PUA soll mögliche Versäumnisse und Fehler der Landesregierung untersuchen sowie auch strukturelle Defizite bei Abschiebungen und Rückführungen in andere EU-Länder unter die Lupe nehmen. Den Vorsitz hat der frühere NRW-Justizminister und Ex-SPD-Landeschef Thomas Kutschaty.
Die Arbeit des PUA wird derzeit von einem Rechtsstreit überlagert. Die Oppositionsfraktionen von SPD und FDP im Landtag hatten vor wenigen Tagen beim NRW-Verfassungsgerichtshof Klage wegen einer möglichen Verletzung ihrer Minderheitenrechte eingereicht. Im Kern geht es um die Herausgabe von Akten und die Ablehnung von Beweisanträgen durch die schwarz-grüne Ausschussmehrheit.
Ministerin Paul hatte nach dem Solinger Anschlag gesagt, das System der Abschiebungen sei komplex und „im Kern dysfunktional“. Es sei die Regel, dass Rücküberstellungen von Asylbewerbern in andere EU-Länder nach den Dublin-Regeln scheiterten.
Als Konsequenz aus dem Anschlag schnürte die schwarz-grüne Landesregierung ein großes Sicherheitspaket.