Berlin. Haben die Sozialdemokraten die Bundestagswahl schon verloren? Die Umfragen legen das nahe. So soll die Aufholjagd vonstatten gehen.

Kanzler Olaf Scholz und seiner SPD läuft die Zeit davon. In gut sechs Wochen findet die vorgezogene Bundestagswahl statt. Doch in den Umfragen liegen die Sozialdemokraten immer noch rund 15 Punkte hinter der Union um Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU). An diesem Samstag kommt die SPD in Berlin zu einem außerordentlichen Parteitag zusammen. Er soll der Ausgangspunkt für eine beispiellose Aufholjagd werden. Wir erläutern, wie Partei und Kanzler das Spiel noch drehen und die Wähler überzeugen wollen.

Olaf Scholz, der Weltstaatsmann

Mitte dieser Woche passierte etwas Ungewöhnliches: Olaf Scholz lud kurzfristig zu einem Statement ins Kanzleramt ein – ohne bekanntzugeben, worum es gehen sollte. Zu sehen war dann ein Regierungschef, der dem designierten US-Präsidenten Donald Trump die Stirn bot. Mit Blick auf dessen Übergriffigkeiten in Sachen Grönland sagte Scholz, das Prinzip der Unverletzlichkeit von Grenzen gelte für jedes Land – „egal ob es im Osten oder im Westen von uns liegt“. Und daran müsse sich auch jeder Staat halten – „egal ob er ein kleines Land oder ein sehr mächtiger Staat ist“.

Kanzler Olaf Scholz absolviert mehrere Wahlkampfauftritte in NRW
Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat noch sechs Wochen, um die Stimmung im Land zu seinen Gunsten zu drehen. Die Partei plant mit ihm etliche Wahlkampf-Auftritte im ganzen Land. Er werde dabei „an die absolute Kapazitätsgrenze“ gehen, heißt es. © DPA Images | Christoph Reichwein

Der Regierungschef des größten und wirtschaftsstärksten EU-Landes legt sich also mit dem künftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika an, noch bevor dieser überhaupt im Amt ist. Scholz hatte sich vorher mit wichtigen europäischen Staatslenkern beraten. Aus außenpolitischer Sicht sprach einiges für diesen rustikalen Auftritt. Aber man kann ihn auch innenpolitisch lesen: Während beim Herausforderer Merz unklar ist, wie dieser sich mit einer Trump-Regierung stellen würde, scheut der amtierende Kanzler nicht die Konfrontation.

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In der SPD erinnern sie sich noch genau an die Bundestagswahl 2002: Damals gelang es Kanzler Gerhard Schröder auch deshalb, seine rot-grüne Mehrheit zu verteidigen, weil er vor dem heraufziehenden Irak-Krieg dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush die Gefolgschaft verweigerte. An anderer Stelle versucht Scholz ebenfalls, sich außenpolitisch von Merz abzuheben. Mit Blick auf Russlands Angriffskrieg in der Ukraine wollen die Sozialdemokraten die Botschaft verbreiten, dass der Kanzler stets besonnen agiere und eine weitere Eskalation verhindere. Merz hingegen fehle es nicht nur an Regierungserfahrung. Er sei auch unbeherrscht, aufbrausend und deshalb unberechenbar.

Der Kanzler als Arbeiterführer

Der SPD-Parteitag am Samstag auf dem Berliner Messegelände wird eine kurze Angelegenheit: Beginn 11 Uhr, Rede Scholz, offizielle Nominierung als Kanzlerkandidat per Akklamation, Aussprache und Beschlussfassung zum Wahlprogramm, Ende gegen 16 Uhr. In den kommenden Wochen wird der Kanzler dann quer durchs Land touren und einen Wahlkampf-Auftritt nach dem anderen absolvieren. Und zwar so viele, dass es „an die absolute Kapazitätsgrenze geht“, wie es im Berliner Willy-Brandt-Haus heißt.

Kommende Woche Freitag etwa will Scholz mit der gesamten SPD-Führungsriege in Wolfsburg Station machen. Also in der Heimat des kriselnden Volkswagen-Konzerns, der sich gerade eine beispiellose Rosskur verordnet hat. Die Botschaft der Sozialdemokraten: Wir kämpfen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – und für jeden einzelnen Industriejob in diesem Land. Friedrich Merz und der Union hingegen, so behaupten die Sozialdemokraten, gehe es im Grund nur um die, die ohnehin schon viel haben.

SPD-Generalsekretär Matthias Miersch sagt, seine Partei mache Politik für die 95 Prozent der Bürger, „die diesen Staat am Laufen halten“. Und so werden Scholz und seine Leute in nächster Zeit bei jeder Gelegenheit ihre Wahlversprechen unters Volk bringen:  stabile Renten, Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf 15 Euro, Reduzierung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel, Entfristung der Mietpreisbremse, ein Bonus für Unternehmen, die in Deutschland investieren, und, und, und.

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Diese Pläne sollen die Antwort sein auf die Wirtschaftskrise im Land und die zunehmenden Abstiegsängste, die viele Bürger umtreiben. Auffällig dabei: Auch hier setzt sich die SPD kommunikativ von Merz und der Union ab. Der Noch-Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen, der mit Robert Habeck ebenfalls einen Kanzlerkandidaten ins Rennen geschickt hat, wird bisher geschont. Und das, obwohl die Grünen der SPD in den meisten Umfragen dicht auf den Fersen sind und Habeck bei den Wählern beliebter ist als Scholz.

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Die SPD, Garantin des starken Staates

In der SPD sprechen sie davon, dass es bei der bevorstehenden Bundestagswahl um eine „Richtungsentscheidung“ gehe. Und zwar hinsichtlich der Frage, welche Rolle der Staat in Zukunft spielen soll und ob der Bürger weiterhin auf ihn zählen kann. Mit Blick auf Friedrich Merz glauben die Sozialdemokraten, so etwas wie eine rauchende Pistole gefunden zu haben: Es geht um ein Buch mit dem Titel „Mehr Kapitalismus wagen“, das der heutige CDU-Chef im Jahr 2008 veröffentlicht hatte.

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Es war das Jahr, in dem die Weltfinanzkrise dramatisch eskalierte. Rund um den Globus mussten Banken, die zuvor den Hals nicht voll bekommen konnten, mit gigantischen Summen von der öffentlichen Hand gerettet werden. Merz war damals als Wirtschaftsanwalt tätig und unterhielt beste Kontakte in die Chefetagen international tätiger Konzerne.

Die Sozialdemokraten reden bereits jetzt auffällig häufig über das Merz-Buch und werfen dem Scholz-Rivalen vor, dort seine wahren Ansichten über den Sozialstaat und die Gewerkschaften zu Papier gebracht zu haben. Es ist anzunehmen, dass sie diese Attacken in den kommenden Wochen intensivieren werden. Damit der Staat stark sein kann, will die SPD grundsätzlich mehr Einnahmen verschaffen – unter anderem durch die Wiederbelebung der Vermögensteuer und eine Reform der Schuldenbremse. Auch das unterscheidet sie deutlich von der Merz-Union.