Washington. J.D. Vance und Tim Walz stehen vor einem TV-Showdown, der die Wahl mitentscheiden kann. Es ist nichts weniger als ein Stellvertreterkrieg.

Aus der vorläufig letzten Stellvertreter-Debatte in AmerikaKamala Harris gegen Mike Pence – ist bis auf eine Begegnung mit der Tierwelt kaum etwas haften geblieben. Eine Stubenfliege hatte sich im Herbst 2020 während der Live-Übertragung die schlohweiße Haarpracht des Donald Trump-Getreuen als Landeplatz ausgesucht. Ob J.D. Vance und Tim Walz da mithalten können?

Auf der Suche nach Gemeinsamkeiten bei den Duellanten ist man schnell fertig. Beide Vize-Präsidentschaftskandidaten, der Republikaner aus Ohio (40), der Demokrat aus Nebraska (60), kommen aus ländlichen Regionen des Eliten-fernen Mittleren Westens. Beide sind weiß. Beide haben Familie und Kinder. Und beide haben das „Sprite”-ähnliche „Mountain Dew” (die zuckerärmere Version) zu ihrem bevorzugten Softdrink erklärt. 

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Abgesehen davon sind Walz, Gouverneur des Bundesstaates Minnesota, und Vance, erst seit knapp zwei Jahren Senator in Washington, so verschieden wie Tag und Nacht. 

Der Absolvent der Elite-Universität Yale und Kurz-Zeit-Finanzinvestor Vance versucht oft vergeblich, ein Mann aus dem Volk zu sein, was zu herrlich schrägen YouTube-Videos geführt hat. Dagegen repräsentiert der gelernte Lehrer und Football-Coach Walz einen Typus, mit dem nach diversen Charakterstudien in US-Medien abends viele an der Bar anstandslos einen Drink nehmen und über Gott und die Welt reden würden. Walz hat das Copyright auf die am häufigsten benutzte Vokabel links der Mitte, wenn es um die auf Spaltung und Polarisierung setzende Politik von Trump und Co. geht: „weird”, was so viel wie merkwürdig oder seltsam bedeutet.

Der Kontrast markiert den wohl wichtigsten Grund, warum Vance mit deutlich schlechteren Beliebtheitswerten am Dienstagabend in New York (drei Uhr morgens in Europa am Mittwoch) beim Sender CBS in den 90-minütigen Schlagabtausch geht.

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Ob Walz, dem bei Kundgebungen regelmäßig die Herzen zufliegen, aus dem Startvorteil Kapital schlagen und im Sinne seiner „Chefin”, Kamala Harris, bella figura abgeben wird, steht noch dahin. 

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Für beide ist es eine Premiere. Für beide steht wegen des Kopf-an-Kopf-Rennens von Harris und Trump in den Umfragen viel auf dem Spiel. Auch weil es, wenn Donald Trump es sich nicht doch noch anders überlegt, die letzte Top-Debatte vor der US-Wahl am 5. November sein wird. 

Im Kern steht die Frage: Wer hat den effektiveren Botschafter für die heiß umworbenen Mittelschichtswählerinnen und -wähler in den umkämpften Rostgürtel-Staaten Michigan, Wisconsin und Pennsylvania ausgewählt?

Die Männer-Runde, der kein Studio-Publikum applaudieren wird, steht unter weiblichem Management. Norah O‘Donnell und Margaret Brennan gehören zu den zehn Top-TV-Journalistinnen in den USA. Anders als zuletzt bei Trump/Harris bleiben beide Mikrofone durchweg scharf gestellt. Zwischenrufe sind also programmiert.

Vance wird sich darauf gefasst machen müssen, auf sein Trumpsches Vorleben angesprochen zu werden. 2016 hatte er seinen heutigen Boss als „kulturelles Heroin” und „Amerikas Hitler” verbellt. Noch 2020, so haben gerade an die „Washington Post“ durchgesickerte SMS gezeigt, ging der frühere Erfolgsbuchautor („Hillbilly Elegy”) mit Trump hart ins Gericht und prophezeite dessen Abwahl: „Er hat es einfach nicht geschafft, seinen Wirtschaftspopulismus umzusetzen.”

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Die radikale Wende zum loyal-treuen Eckehard, der den Ex-Präsidenten gegen jede Attacke in Schutz nimmt, wird ihm bis heute in konservativen Kreisen nicht vollständig abgenommen. 

Vance hat zudem das Talent, sich mit polarisierenden Bemerkungen angreifbar zu machen. Seine Lästerei über „kinderlose Katzenfrauen”, die angeblich bei den Demokraten bestimmten, was Sache ist, hängt ihm seit seiner Nominierung auf dem Parteitag im Juli in Milwaukee nach. 

USA: Walz hat knallharte These zu Trump und Vance

Gegen die Stand-Direktive für Vize-Präsidentschaftskandidaten, nur keinen Schaden anzurichten, verstieß Vance auch mit der bis dato größten Lügen-Geschichte dieses Wahlkampfs. Er war es, der die Mär von den Haustiere verzehrenden haitianischen Flüchtlingen in einer Kleinstadt in Ohio medial am Kochen hielt. Er hielt selbst dann noch daran fest, als die örtliche Polizei, der Bürgermeister und der Gouverneur die Schauergeschichte als „fake” enttarnten. Als der Druck zu groß wurde, gab Vance vor laufender Kamera zu, die Geschichte quasi erfunden zu haben, um auf das Problem der illegalen Einwanderung hinzuweisen.

Tim Walz nahm den Ball sofort auf. Er sagte, es sei töricht und gefährlich, „Geschichten zu erfinden, um Angst zu verbreiten und so Unterstützer zu mobilisieren“. Seine These: Trump/Vance wollten mit dem Thema Haiti ideologisch vorbereiten, was Trump zu seinem Signatur-Projekt im Falle eines Wahlsieges erklärt hat: die Abschiebung von über zehn Millionen illegalen Einwanderern.

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Walz, empathisch, volksnah, umgänglich, kann hart debattieren. Kontrahenten mit Häme zu überschütten und zu erniedrigen, geht dem 60-Jährigen ab. „Tim ist ein Mann des Zentrums, einer, der moderieren, vereinen und dabei lächeln kann”, sagen ehemalige Kongress-Mitarbeiter in Washington

J.D. Vance wird trotzdem mit aller Macht versuchen, sein Gegenüber als linksradikal abzustempeln und mit allerlei Boshaftigkeiten in Sippenhaft zu nehmen für die Regierungspolitik von Joe Biden und dessen Vize-Präsidentin Kamala Harris. Ob die Herrschaften danach gemeinsam eine Dose Mountain Dew löschen, darauf sollte man besser nicht wetten.