Essen. NRW-Verkehrsminister Michael Groschek will die Wahl der Autokennzeichen liberalisieren. Sogar Ortsteile sollen eigene Nummernschilder bekommen können. Die Pläne sorgen in NRW für heftige Diskussionen. Die Polizeigewerkschaft warnt, dass Straftaten schwerer aufgeklärt werden könnten.
Um die geplante Liberalisierung des Kennzeichenrechts tobt ein heftiger Streit. Künftig sollen sogar Ortsteile eigene Nummernschilder erhalten können. Vertreter von Heimatvereinen feiern diese Initiative von Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) als „identitätsstiftend“. Zahlreiche Politiker aus unserer Region sind skeptisch. „Das wird es bei uns nicht geben“, sagte Essens OB Reinhard Paß (SPD).
NRW-Verkehrsminister Michael Groschek (SPD) ist für die freie Wahl der Kennzeichen. In NRW sollen zunächst elf historische Kennzeichen wieder eingeführt werden, darunter Wanne-Eickel (WAN), Wattenscheid (WAT), Witten (WIT) und Castrop-Rauxel (CAS). „Der Fantasie wollen wir hier keine Grenzen setzen, sofern nicht gegen die guten Sitten verstoßen wird“, erklärte Groschek.
Nachfrage für neue Nummernschilder ist da
Brauchen Orte wie Rheinhausen, Langenberg oder Dortmund-Hörde ein eigenes Kennzeichen? Die Diskussion kommt gerade so richtig in Gang, nachdem bekannt wurde, dass Bundesverkehrsminister Peter Rausauer (CSU) die Einführung völlig neuer Nummernschilder ermöglichen möchte. Wir haben nachgefragt im Ruhrgebiet, am Niederrhein und im Sauerland. Ergebnis: Es gibt eine Nachfrage für diese Schilder.
Ein eigenes Kfz-Kennzeichen für Duisburg-Rheinhausen? Das werde in der Fußgängerzone des linksrheinischen Ortes, der seit 1975 zu Duisburg gehört, viel diskutiert, berichtet Rudi Lisken (SPD): „Wir würden es begrüßen, wenn wir unsere Identität nach außen präsentieren könnten“, sagt der Vorsitzende der AG der Kaufleute in Rheinhausen. Eine „gut dastehende Mittelstadt mit über 80 000 Einwohnern“ sollte am Nummernschild erkennbar sein, findet Lisken. Die konkrete Buchstabenkombination ist für ihn relativ: „Hauptsache man erkennt, dass wir vom Niederrhein kommen.“
„Wer soll da noch durchblicken?“
Weniger aufgeregt wird auf das Thema in Velbert-Langenberg geschaut. Der Stadtteil gehört zur Kommune Velbert, die wiederum zum Kreis Mettmann. Wolf-Dieter Thien, 1. Vorsitzender des Bürgervereins Langenberg, fände ein Langenberger Kfz-Kennzeichen gut, hält es aber für eine Wunschvorstellung, wenn Stadtbezirke eigene Kennzeichen bekämen. „Wer soll denn da noch durchblicken?“
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Ähnlich sieht das Georg Lecher vom Verein für Orts- und Heimatkunde in Gelsenkirchen-Buer. Sicherlich würde es in Buer, 1928 mit Gelsenkirchen zusammengelegt, den ein oder anderen Begeisterten für die Sache geben, er persönlich fände aber ein Kennzeichen-Wirrwarr nicht richtig.
„Ein Autoaufkleber tut es auch“
Dortmund-Hörde war bis 1928 eine Stadt und hat diese Größe nie ganz abgelegt. Willi Garth vom Verein zur Förderung der Heimatpflege hätte nichts gegen ein „HÖR“-Kennzeichen. „Es würde Identität ausdrücken, auch wenn das nicht der Übersichtlichkeit dient.“ Vereins-Kollege Helmut Broich hält indes den Ramsauer-Vorschlag für „Schwachsinn“. Ein Auto-Aufkleber tue es auch.
Im benachbarten Aplerbeck beobachtet Siegfried Lisenberg vom Geschichtsverein die Diskussion. „So viele neue Nummernschilder – das könnte ins Chaos führen. Andererseits gibt es auch bei uns vor Ort einen ausgeprägten Patriotismus. Es gibt eine eigene Ortsfahne und sogar Fußmatten, auf denen ,Kreisfreie Stadt Aplerbeck’ steht.“
In Essen-Kettwig, ebenfalls das „Opfer“ einer Eingemeindung, wäre die Nachfrage nach einem „KET“-Schild wohl nicht so groß, vermutet Armin Rahmann, der als Stadtführer und Nachtwächter Besucher durch den Ort führt. Gegen die Eingemeindung Kettwigs hatte Rahmann einst als Mitgründer des Vereins „Bügerrecht“ protestiert. Heute sagt er: „Für ein eigenes Kennzeichen sind wir zu klein. Da ginge der Patriotismus zu weit.“
Der Polizei ist es egal
Der Dortmunder Polizei ist es egal, mit welchen Nummernschildern Bürger durch die Stadt fahren. Mit der heutigen EDV spiele das keine Rolle. Der Halter könne sofort vor Ort ermittelt werden.
Der Siegener Landrat Paul Breuer (CDU) warnt aber: „Stellen sie sich vor, ein Autofahrer raubt sie aus. An ein Kennzeichen, das sie kennen, können sie sich vielleicht erinnern. So viele neue Kennzeichen kann jedoch niemand zuordnen.“ Zum Thema Einbruch sagt Breuer: „Jemand mit fremdem Kennzeichen, der ein Wohngebiet auskundschaftet, fällt auf. Aber nur, wenn nicht plötzlich alle Kennzeichen fremd erscheinen.“
Polizei in Blau
"Wer Lokalpatriotismus zu seinem Kuhdorf zeigen will, soll das über einen Aufkleber am Kofferraum tun"
Auch die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) hat die geplante Lockerung bei den
Autokennzeichen als "Klamauk-Politik" kritisiert und vor einem Anstieg
ungeklärter Ordnungswidrigkeiten und Straftaten gewarnt. "Wer Lokalpatriotismus
zu seinem Kuhdorf zeigen will, soll das über einen Aufkleber am Kofferraum tun -
aber bitte nicht über das amtliche Kfz-Kennzeichen", sagte DPolG-Chef Rainer Wendt der "Neuen
Osnabrücker Zeitung".
Wendt befürchtet, durch den größeren Freiraum der Kreise und Städte
werde die Arbeit der Polizei erschwert. "Die Kollegen werden die kryptischen
Buchstabenkombinationen kleiner Ort schwerer entziffern können. In der Folge
wird es schwerer werden, die Täter bei Ordnungswidrigkeiten und Straftaten zu
ermitteln", sagte er. Zudem erwartet er durch die Vergabe neuer Kennzeichen einen höheren Bürokratieaufwand der
Straßenverkehrsbehörden.
Essens OB befürchtet Preissteigerungen
Der Vorsitzende des Bundestags-Verkehrsausschusses, Anton Hofreiter
(Grüne), hält die Idee für durchaus interessant, wie er derselben Zeitung sagte.
Er machte aber auch deutlich: "Die Pläne des Verkehrsministers wirken allerdings
noch etwas unausgegoren und nicht hundertprozentig durchdacht." So sei unklar,
wo die Grenzen bei der Vergabe von Kennzeichen
liegen sollten.
Auch die Oberbürgermeister und Landräte der Region halten nichts von den neuen Nummernschildern. Essens Oberbürgermeister Reinhard Paß (SPD) macht es kurz: „Autokennzeichen für Stadtbezirke wird es bei uns nicht geben“, sagt er. Mit dieser Meinung ist er nicht allein. „Ich halte diesen Vorschlag für Wahnsinn – dabei würde völlig jede Übersicht verloren gehen“, sagt Paul Breuer (CDU) Landrat in Siegen. „Das würde Preissteigerungen für die Verbraucher bedeuten“, schließlich müsse die Software der Zulassungsstellen umgerüstet und Personal eingestellt werden.
Widerstand der Kommunalpolitiker
Stefan Ohrmann, CDU-Fraktionschef in Werdohl, sagt: „Wir wollen Südwestfalen voranbringen und keine weitere Zersplitterung. Deshalb hat sich der Märkische Kreis gegen die Einführung alter Kennzeichen ausgesprochen.“ Alles andere als begeistert zeigt sich der Landrat des Hochsauerlandkreises, Karl Schneider (CDU): „Wenn man in der Verkehrspolitik nichts mehr entscheiden kann, fängt man so einen Quatsch an!“, wettert er.
Der HSK-Kreistag hatte die Wiedereinführung der Altkennzeichen AR (Arnsberg) und BRI (Brilon) abgeschmettert. Dass jetzt gar NEH (Neheim) oder HÜS (Hüsten) möglich sein sollen, bringt Schneider in Rage: „Was ist identitätsstiftend an einem Kennzeichen für Schmallenberg-Gleidorf? Das erkennt doch keiner!“ Die Dortmunder Bürgerdienste prüfen „völlig ergebnisoffen“ den Vorschlag des Verkehrsministers.