Rostock. Heftigen Beifall hat Grünen-Vorsitzende Claudia Roth auf dem Parteitag in Rostock für ihre Verbalattacken auf die neue schwarz-gelbe Koalition erhalten. Sie warnte vor einer "sozialen Eiszeit" in Deutschland. Weiteres großes Thema des Parteitags: Mit wem werden die Grünen künftig koalieren?

Claudia Roth verzog das Gesicht, als hätte sie Zitronensaft mit Angela Merkel und Guido Westerwelle getrunken. „Ich habe ihn, frisch aus Berlin“, polterte die Grünen-Chefin ins Mikrophon und wedelte mit dem Entwurf des schwarz-gelben Koalitionsvertrags. Da müsse noch was drauf, legte sie nach und pappte drei gelbe Warn-Aufkleber auf die Titelseite. „Unsozial“, „unverbesserlich“ und „unbezahlbar.“ Die Parteimitglieder bedachten die Roth’schen Klebekünste und Verbalattacken gegen die neue Regierung auf der Bundesdelegiertenkonferenz in Rostock mit heftigem Beifall.

Noch taugt die Schelte gegen Union und FDP zur Motivation der grünen Basis. Ungeachtet dessen wird sich in den kommenden Jahren das schwarz-gelbe Feindbild bei den Grünen jedoch ein wenig abschleifen. Denn am Samstag hat sich die Protestpartei vergangener Tage dazu durchgerungen, künftig keine Regierungskoalition mehr auszuschließen. „Mit dieser Ausschließeritis muss endlich Schluss sein“, heißt es in dem Leitantrag des Bundesvorstands „Grün macht Zukunft“, der die Marschrichtung für die Partei in der Opposition vorgeben soll. „Wir müssen uns auf die grüne Eigenständigkeit konzentrieren“ sagte Bundestagsfraktionchefin Renate Künast und nannte es eine „Überlebensfrage“, den grünen Markenkern zu halten.

Haltung zur Jamaika-Koalition

Umstritten in dem Antrag war vor allem vor allem die Haltung zur Jamaika-Koalition, wie sie die Saar-Grünen jetzt mit CDU und FDP planen. Im Grundsatzantrag des Bundesvorstands ist von einem "saarländischen Experiment" die Rede, das kein Modell für den Bund sei.

Die Fraktionschefs der Grünen Ländern hatten zunächst in einem eigenen Antrag auf mehr Offenheit gedrungen und wollten künftig keine Koalitionsoption mehr rundweg ausschließen.

Am Ende wurden dieser Antrag sowie weitere drei zurückgezogen, nachdem der Bundesvorstand der Grünen einzelne Formulierungen aus den Gegenpapieren aufgenommen hatte. Der Satz zur Jamaika-Koalition als kein Modell für den Bund blieb jedoch unverändert.

Mit Blick auf frühere Parteitage – Joschka Fischer wurde seinerzeit Opfer einer Farbbeutelattacke – lief die Debatte vergleichsweise verhalten ab. „Was inhaltliche Ebene angeht, brauchen wir uns nicht zu verstecken“, rechtfertigte der Landeschef der Saar-Grünen, Hubert Ulrich, das Pro-Jamaika-Votum. Über das Fernsehen habe er erfahren, dass Oskar Lafontaine als Fraktionschef in den Landtag einziehen wolle. „Das hat dem Fass den Boden ausgeschlagen.“ „Empfindlichkeiten gegen gewisse Personen waren wichtiger als gemeinsame Interessen“, kritisierte Sonja Rothweiler vom Kreisverband Karlsruhe-Land den Saar-Chef.

"Soziale Eiszeit"

Grünen-Chef Cem Özdemir hingegen verteidigte die Koalition im Saarland. Sie sei basisdemokratisch gebilligt worden, und Basisdemokratie sei weiterhin ein hohes Gut für die Partei.

Teile der Parteibasis sprachen sich klar für die Öffnung für andere verschiedene Koalitionsmöglichkeiten aus.

Wenn die Partei jedes Mal Kopfweh bekomme, wenn irgendein Land irgendeine Koalition anstrebe, „dann werden wir die nächsten beiden Jahre Dauermigräne haben“, sagte Silke Krebs vom Kreisverband Freiburg.

„Wir haben die Aufgabe, in den Ländern die Chancen zu ergreifen, wo sich die Möglichkeiten bieten“, pflichtete der Berliner Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann bei und forderte die Landesverbände auf, sie sollten die Chancen für Regierungsbildungen ergreifen. „Das heißt: Jeder Landesverband prüft für sich“, so Ratzmann.

„Es gibt keinen Grund für Jamaika-Phantasien“, sagte NRW-Landeschef Arndt Glocke mit Blick auf die Landtagswahlen 2010. „Auf der andere Seite gibt es bei uns überhaupt keine Nostalgie, was die SPD angeht.“ „Wir müssen schauen, mit wem wir so viel als möglich politisch umsetzen können“, pflichtete Fraktionschefin Sylvia Löhrmann bei.

Eigenständigkeit, Meinungsführerschaft in der Opposition– darauf kommt es der Partei in den kommenden vier Jahren an. „Ab sofort wird Schwarz-Gelb gestellt", sagte Parteichefin Roth und warnte vor einer „sozialen Eiszeit“, die nun in Deutschland komme.