Essen. Klare Coronaregeln, Krisenstab für NRW, Entschuldung der Städte: Thomas Kufen (Essen) und Thomas Eiskirch (Bochum) im WAZ-Interview.
Mehr Macht für die Bundesregierung bei der Pandemiebekämpfung? Die Oberbürgermeister von Essen und Bochum, Thomas Kufen (CDU) und Thomas Eiskirch (SPD) begrüßen ausdrücklich, dass die Bundesregierung die Länder beim Corona-Krisenmanagement durch eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes entmachten will. „Ich erwarte, dass der Bund jetzt viel stärker einheitliche Standards vorgibt.“ Das ständige Hin und Her bei den Maßnahmen belaste die Bürger, sagte Kufen im Doppel-Interview mit der WAZ. Wenn man sich schon eine App runterladen müsse, "Wo darf ich was?“, dann zeige dies, dass die Menschen zutiefst verunsichert seien.
"Das zermürbt die Menschen"
„Wir brauchen jetzt Gradlinigkeit und nachvollziehbare Entscheidungen“, sagte auch Thomas Eiskirch gegenüber dieser Redaktion. „Viel zu oft passten in dieser Krise Maßnahmen und die jeweilige Situation nicht zueinander. Viel zu oft haben die Länder die Corona-Beschlüsse nachinterpretiert. Das zermürbt die Menschen. Ich erwarte von der Kanzlerin und den Ministerpräsidenten eine klare Linie, die sie auch durchhalten. Was gemeinsam vereinbart wurde, muss gemeinsam eingehalten werden.“ Es gehe um das Vertrauen der Bürger in den Staat. Eiskirch: „Viele Menschen haben den Eindruck, sie seien Versuchskaninchen für eine Kanzlerkandidatur.“
Der Essener Rathauschef glaubt ebenfalls, dass die Ministerpräsidentenkonferenz in der Corona- Krise an ihre Grenzen gestoßen sei. „Wie oft wurde gesagt: Wir schauen nicht mehr allein auf die Inzidenzwerte. Aber am Ende machen wir es doch alle. Wir brauchen in der jetzigen Phase der Pandemie ein abgestimmtes und besseres Krisenmanagement. Von der Bundesebene muss jetzt Klarheit und Führung ausgehen“, sagte Kufen.
Warum gibt es in NRW keinen echten Krisenstab?
Die beiden Oberbürgermeister aus dem Ruhrgebiet werfen der NRW-Landesregierung außerdem handwerkliche Schwächen beim Krisenmanagement vor. „Seit einem Jahr kritisieren wir in Bochum, dass es in NRW keinen Landes-Krisenstab gibt“, kritisiert Thomas Eiskirch. Die Folge sei zum Beispiel, dass das NRW-Gesundheits- und das -Schulministerium die Beschlüsse von Bund und Ländern unterschiedlich interpretierten. „Es gibt keine Klarheit, und das ist ein Riesenproblem. Wir brauchen einen echten Landes-Krisenstab, damit die Landesregierung zu einer einheitlichen Linie findet. Noch besser wäre es, wenn die Kommunen mit in diesem Krisenstab säßen.“
Thomas Kufen sieht bei dieser Frage Licht und Schatten: „Die Zusammenarbeit mit dem NRW-Gesundheitsministerium ist mittlerweile exzellent. Das Schulministerium kann sich davon eine Scheibe abschneiden. Wir sind manchmal schon froh, wenn Schulen uns die Schulmails zur Verfügung stellen, weil die Kommunen als Schulträger sie oft gar nicht oder verspätet erhalten.“
Altschuldenhilfe: Versprochen, aber nicht geliefert
Hilfe erwarten die Revier-OB von der Landesregierung auch bei der Übernahme von Altschulden. Die Schulden der Kommunen müssten „auf null“ gesetzt werden, so Eiskirch. Kufen erinnert daran, dass die Altschuldenhilfe im Koalitionsvertrag zwischen CDU und FDP stehe.
Die wichtigsten Zitate aus dem Doppel-Interview
„Ideologische Kämpfe sind uns fremd“, sagen Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen (47 Jahre, CDU) und Bochums OB Thomas Eiskirch (50, SPD). Beide waren Landtagsabgeordnete, beide gelten als Anwärter auf weitere Führungsaufgaben in ihren Parteien. Die WAZ sprach mit ihnen über die Krise der Städte und über Ideen für das Ruhrgebiet.
Was muss auf einer Prioritätenliste zur Krisenbekämpfung oben stehen?
Kufen: Erstens mehr Impfungen und mehr Testungen. Zweitens: Bund und Länder sollten sich schnell auf einen kurzen, harten Lockdown einigen, um die dritte Welle zu brechen. Drittens: Wirtschaft, insbesondere Handel und Gastronomie, brauchen Perspektiven. Von einem Lockdown in den nächsten reicht nicht. So verlieren wir die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger. Wenn ein Biergarten ein gutes Hygienekonzept hat, dann ist unter Umständen der Gast dort sicherer als zu Hause mit Freunden im Wohnzimmer. Ich bin überzeugt von „Test, Click and Meet“. Die Menschen infizieren sich nicht beim Einkaufen, sondern vor allem im privaten, häuslichen Bereich.
Eiskirch: Erstens mehr Impfstoffe, zweitens ein Landeskrisenstab, drittens, sich bereits jetzt intensiv um die psychosozialen Folgen der Krise kümmern. Besonders Jugendliche und Senioren leiden unter der Krise. Sie brauchen schnell Unterstützung, sonst können wir sie nicht mehr auffangen.
Beide Rathauschefs fordern von Bund und Land, dass pandemiebedingte Steuerausfälle 2021 und 2022 erneut ausgeglichen werden. Zum Streitthema Altschuldenhilfe sagen sie:
Kufen: Unsere Hauptarbeit ist, die Sicherung der Lebensqualität: mehr Kita-Plätze, saubere Parks, sichere Jobs, Maßnahmen zur Klimaanpassung, Sicherheit. Nur eine lebenswerte Stadt ist widerstandsfähig gegen Krisen. Das Revier ist ein Ballungsraum für mehr als fünf Millionen Menschen. Es liegt im Interesse von ganz Deutschland, dass diese Region stabil bleibt. Wir sind keine Bittsteller, sondern leisten mit der Krisenbewältigung, von Integration bis Inklusion, mit dem Strukturwandel einen wichtigen Dienst für ganz Deutschland.
Durch die Erhöhung des Bundes-Anteils an den Kosten der Unterkunft werden die Städte massiv entlastet. Aber umso mehr sehe ich bei zwei Themen akuten Handlungsbedarf insbesondere für die Landesregierung: Erstens die pandemiebedingte Erstattung von ausgefallenen Steuern: Es reicht nicht, nur einmalig Gewerbesteuerausfälle ersetzt zu bekommen. Zweitens die Altschulden. Wir befinden uns in einer Niedrigzinsphase. Es wäre ein historischer Fehler, diese Phase nicht für eine Entlastung der hoch verschuldeten Revierkommunen zu nutzen. Die Altschuldenhilfe steht im Koalitionsvertrag von CDU und FDP. Auf die Umsetzung warten wir.
Eiskirch: Dass der Bund seinen Anteil bei den Kosten der Unterkunft stark erhöht, sichert die Handlungsfähigkeit der Städte nach vorne. Jetzt müssen aber auch die Altschulden der Städte auf null gesetzt werden, damit diese Schulden uns bei steigenden Zinsen nicht einholen können. Es gab eine klare Verabredung: Um die Kosten der Unterkunft kümmert sich der Bund, um die Altschulden das Land. Der Bund hat geliefert, das Land NRW nicht.
Zum RVR-Gesetz, das dem Verband ermöglicht, Aufgaben im Auftrag der Städte zu übernehmen:
Eiskirch: Das Ruhrgebiet hat für dieses Gesetz gekämpft. Aber die Region hat fünf Jahre lang nichts daraus gemacht. Daher müssen wir jetzt klären, welche Aufgaben der RVR für die Kommunen erledigen könnte. Ein ebenso wichtiges Thema ist ein einer Metropole würdiger Nahverkehr. Auch damit sind die Menschen im Ruhrgebiet nicht zufrieden. Wir haben uns im Kommunalrat vorgenommen, bis Ende 2023 zeitlich synchronisierte Nahverkehrspläne für das gesamte Ruhrgebiet zu planen. Auch bei der Elektromobilität und bei der Wasserstoff-Technologie müssen wir regional denken.
Kufen: Das RVR-Gesetz ist eine große Chance für die Region. Bei der Umsetzung hapert es noch. Wir dürfen nicht fünf weitere Jahre ungenutzt verstreichen lassen. Der RVR muss zum Beispiel beim Thema Mobilität eine viel stärkere Rolle spielen und die Zusammenarbeit zwischen den Städten verbessern.
Zur Ruhrkonferenz:
Eiskirch: Der Name ist gut, der Prozess mittelmäßig, das Ergebnis ernüchternd. Wenn die Landesregierung das, was sie für das Revier plant, auch mit Tat und Geld hinterlegt, dann gehen wir diesen Weg gerne mit. Die Themen der Ruhrkonferenz sind nicht verkehrt.
Kufen: Die Ruhrkonferenz ist ein gutes Projekt und muss zum Erfolg geführt werden. Das liegt im Interesse des Reviers. Wir müssen wichtige Dinge in der Region selbst regeln, zusätzlich zur Ruhrkonferenz. Neidisch schauen wir natürlich auf die milliardenschwere Förderung, die nach dem Kohleausstieg ins Rheinische Revier fließen sollen. Diesen Wumms könnten wir auch gut gebrauchen.
Zu Olympia:
Kufen: Wir können im Ruhrgebiet Großprojekte wie die Internationale Bauausstellung (IBA) oder Europäische Kulturhauptstadt. Olympische und Paralympische Spiele würden gut zu uns passen. Der Ball liegt aber jetzt beim DOSB. Dessen Unterstützung für Olympia an Rhein und Ruhr war in der Vergangenheit ziemlich mickrig. Wir müssen jetzt offen darüber reden, ob 2036 ein gutes Datum ist. Wenn die Bürgerinnen und Bürger das wollen, sollten wir es auch versuchen.
Eiskirch: Olympia 2036 kann auch eine Chance sein, wenn man den Wandel Deutschlands – bezogen auf die durch die Nazis historisch belasteten Spiele 1936 – zu einem Bestandteil der Bewerbung macht.
Zur Zukunft der Innenstädte:
Eiskirch: Die Innenstädte werden sich verändern. Die Bedeutung des Handels wird zurückgehen, und die Entwicklung wird durch die Krise beschleunigt. Wenn Innenstädte lebendig bleiben sollen, dann müssen sie künftig einen Mix aus Handel, Wohnen, Kultur, Bildung, Dienstleistung und Spielmöglichkeiten für Kinder anbieten.
Kufen: Die Krise ist ein Verstärker des dramatischen Wandels unserer Innenstädte. Einkaufen allein trägt heute keine Innenstadt mehr. Sie muss ein Erlebnis- und Verweilort sein. Viele Plätze in den Innenstädten haben nur einen Durchlaufcharakter und laden nicht zum Verweilen ein.