Essen. . Die Branche rechnet mit serienreifen Batterie-Bussen in zwei bis drei Jahren. Für den Flottenumbau sind aber Millionen nötig.
Wer den Nahverkehr von morgen bereits heute besichtigen will, fährt am besten nach Solingen. Die 160.000-Einwohner-Stadt im bergischen Städtedreieck hat sich nicht nur ihre Tradition als Zentrum der Klingenindustrie bewahrt, sondern auch ein weiteres Alleinstellungsmerkmal: Mit einer Streckenlänge von fast 60 Kilometern und rund 50 Fahrzeugen sind die Solinger O-Busse das mit Abstand größte Elektrobussystem in Deutschland.
Außerhalb Solingens wurden die im Volksmund „Stangentaxis“ genannten O-Busse, die ihren Fahrstrom per Stromabnehmer aus einem Oberleitungsnetz über den Solinger Straßen abzapfen, lange als Nahverkehrskuriosität belächelt. Heute aber ist die Klingenstadt eine Art Trendsetter und kann damit werben, einen der nachhaltigsten Verkehrsbetriebe in der Bundesrepublik zu besitzen. Schon jetzt vermeide man den Ausstoß von rund 5000 Tonnen Kohlendioxid im Jahr, sagte eine Sprecherin der Stadtwerke.
Solinger Stangentaxis
Wegweisend für den klimafreundlichen Nahverkehr ist die 65 Jahre alte Solinger Oberleitungstechnik aber eher nicht. Experten halten es wegen der hohen Investitionskosten und der gewaltigen Auswirkungen im Stadtbild für unwahrscheinlich, dass die ÖPNV-Revolution ausgerechnet von den O-Bussen ausgeht.
Für Matthias Rogge, den Geschäftsführer des Aachener Beratungsbüros Ebusplan, liegt die Zukunft des ÖPNV vor allem im batteriebetriebenen E-Bus. „In der gesamten Nahverkehrsbranche gibt es derzeit ein Umdenken“, sagt der Elektroingenieur. „Gerade im Busbereich stehen die Chancen gut, um erfolgreich in die E-Mobilität zu starten“, glaubt Rogge. Die Verkehrswende sei im Nahverkehr besonders gut planbar. Rogge: „Man weiß sehr genau, wie lang die Strecken sind, die täglich zurückgelegt werden müssen. Außerdem sind die Fahrzeuge teilweise bis zu 20 Stunden am Stück im Einsatz. Man kann die Folgen der Umstellung auf alternative Antrieb also viel besser abschätzen als beim Pkw.“
Die Serie im Überblick
- Editorial
- Wie die Uni Aachen den Elektroautomarkt aufmischen will
- Mülheimer Forscher setzt auf grünen Sprit statt Batterie
- Wenn bei Fahrzeugen nur Wasser aus dem Auspuff tropft
- Wann endet das Ölzeitalter?
- Radeln Berufspendler im Revier künftig zum Arbeitsplatz?
- Nahverkehr soll mit E-Bussen ausgestattet werden
- Darum ist die Formel E eine Rennserie der Zukunft
- Das würde ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen bringen
- Uwe Schneidewind zur Mobilitätswende: "Der Wandel in den Köpfen kommt“
- Die Menschen lieben ihre Autos wie Wohnzimmer auf Rädern
- Zukunft der Mobilität: 260 E-Busse für Maastricht bis 2025
- Binnenschiffe müssen sauberer werden
Das von einem Team junger Wissenschaftler der RWTH Aachen gegründete Start-Up-Unternehmen Ebusplan berät Nahverkehrsunternehmen, die über eine Neuausrichtung ihrer Busflotte nachdenken. Das sind immer mehr. Auf einzelnen Linien fahren batteriebetriebene E-Busse bereits durch Köln, Bonn und Münster. Die Oberhausener Stoag setzt seit zwei Jahren zwei Elektrobusse ein. Die Vestische will Mitte 2018 einen E-Busse zwischen Bottrop und Sterkrade planmäßig pendeln lassen.
Zuletzt erstellte Ebusplan eine Machbarkeitsstudie für die Ruhrbahn (Essen/Mülheim). Die Aachener Ingenieure berechneten, wie sich die Umstellung der mit 244 Fahrzeugen größten Busflotte im Ruhrgebiet auf E-Antriebe auswirkt. Demnach wäre der Komplett-Umbau der Ruhrbahn-Flotte auf Strom ein deutlicher Gewinn für die Umwelt. Jährlich würden mindestens 25.500 Tonnen Kohlendioxid, 9,5 Tonnen Stickoxide und 200 Kilo Feinstaub entfallen. Zum Vergleich: Bundesweit eine Million Elektrofahrzeuge könnten laut Bundesumweltministerium die Umwelt um rund 700 000 Tonnen CO2 entlasten.
25.500 Tonnen Kohlendioxid
Die Mobilität von morgen hat aber ihren Preis. Für die Umstellung nur der Hälfte der Busflotte müsste die Ruhrbahn laut Ebusplan 38 Millionen Euro zusätzliche Investitionskosten im Vergleich zur Dieselflottenerneuerung einplanen. Dabei schlägt besonders die Anschaffung der im Vergleich zur Dieselvariante doppelt so teuren Batterie-Busse zu Buche. Hinzu kommt der Aufbau der Ladeinfrastruktur.
Ohnehin kann der hochsubventionierte ÖPNV nur mit einer Anschubfinanzierung unter Strom gesetzt werden. Ruhrbahn-Chef Michael Feller rechnet mit einer 80-Prozent-Förderquote durch Landes- und Bundesmittel, die nötig wäre, damit sich E-Mobilität lohnen würde. „Darin sind die Kosten für einen zweiten Satz Batterien noch nicht einmal enthalten“, sagte Feller dieser Zeitung.
Auch mit der Marktreife von Elektrobussen hapert es noch. 2016 wurden in Deutschland nur 38 E-Busse zugelassen. Erst in zwei bis drei Jahren rechnet die Branche damit, dass die großen Hersteller Mercedes und MAN Modelle in Serie ausliefern können.
Verkehrsbetriebe wie die Bogestra setzen daher auch auf andere Klima-Maßnahmen, etwa den Ausbau der Straßenbahn. Gerade erst wurde im Bochumer Osten eine neue Strecke eröffnet. Die Dortmunder Stadtwerke verweisen auf ihre lupenreine Umwelt-Bilanz im Schienenverkehr: Die Stadtbahn fährt komplett mit Öko-Strom.
78 .833 Nahverkehrsbusse rollten 2016 auf Deutschlands Straßen, die meisten davon in NRW (16 406).
13 Elektrobusse wurden in NRW im vergangenen Jahr zugelassen – und 954 Dieselbusse.
80 Milliarden Personenkilometer fallen jährlich im deutschen Nahverkehr an. Nahezu die Hälfte davon wird mit überwiegend dieselbetriebenen Stadtbussen gefahren.