Bochum. . Wie sich das Verhältnis von Mensch zu Auto durch die Schadstoff-Debatte verändert. Ist die Autofahrer-Nation Deutschland bereit, Wagen zu teilen?

Unsere Sekretärin hat einen Neuen. Darüber freut sie sich so sehr, dass sie Kuchen ausgegeben hat. Sie müssen wissen, Süßes wird in der Redaktion nur spendiert bei Geburtstagen, Hochzeiten und der Geburt eines Kindes. Aber für unsere Sekretärin ist der Neue auch ein Grund zum Feiern. Schließlich wird er sie nun jeden Tag begleiten und sie hoffentlich sicher nach Hause bringen – ihr Neuer auf vier Rädern.

„Das eigene Auto ist für die Menschen etwas ganz Besonderes“, sagt Rüdiger Hossiep, Psychologe an der Ruhr-Uni Bochum. Kein anderer Konsumgegenstand bekommt so häufig einen Namen. „Zum Kühlschrank bauen sie keine emotionale Beziehung auf.“ Aber zum Auto!

Auch ein olles Auto ist besonders

Jeder kann sich an sein erstes Auto erinnern. „Das ist so ein bisschen wie der erste Freund oder die erste Freundin. So ein Erlebnis vergisst man in der Regel nicht, weil es von sehr starken Gefühlen begleitet ist, und Gefühle konservieren Erinnerungen.“ Mit Fahrspaß, Design und Technik allein lässt sich die Faszination also nicht erklären. „Es kann auch ein olles Auto sein, was Sie geerbt haben. Selbst dann ist das erste Auto etwas Besonderes.“

Wirtschaftspsychologe Rüdiger Hossiep von der Ruhr-Uni Bochum.
Wirtschaftspsychologe Rüdiger Hossiep von der Ruhr-Uni Bochum. © RUB

Man wünscht sich einen Wagen, der zu einem passt. Der Fahrer möchte sportlich wirken? Dann wird er auch das Auto mit dem entsprechenden Image wählen. Er möchte Respekt einflößen? Dann entscheidet er sich womöglich für einen SUV. Auch wenn es andere Autos gibt, die ökologischer und kostengünstiger sind. Und ältere Menschen wünschen sich zwar oft einen Wagen mit weniger Knöpfen und höherem Einstieg. „Wenn ein Auto aber das Image eines Seniorenfahrzeugs hat, will es kein Senior mehr haben.“ Auch er möchte mit dem Wagen jung und dynamisch wirken. „Das Auto ist eine Selbstergänzung. Man sucht etwas, was das Bild von der eigenen Person unterstreicht“, erklärt Hossiep. Das Auto ist das blecherne Selbst.

Nicht zu dick auftragen!

Allerdings gilt in Deutschland die Devise: Nicht zu dick auftragen! Wenn man sich nicht gerade in Schrauber-Clubs wohlfühlt, möchte man mit seinem Wagen bloß nicht protzen. „Man will den Nachbarn schon ein bisschen neidisch machen, aber nicht so, dass er einen hasst.“ Und bloß keinen dickeren Wagen fahren als der Chef. „Da gibt es schon Empfindlichkeiten.“

Aber selbst diejenigen, die behaupten, dass ihnen der Fahrzeugtyp gleichgültig sei, hängen an ihrem Wagen. „Er ist ein sozialer Raum zum Mitnehmen.“ Ähnlich vertraut wie das Wohnzimmer. Da baumelt ein Talisman am Spiegel, dort liegt die Lieblings-CD, hier die Packung Kaugummis. Und wie die eigene Wohnung bekommt auch der eigene Wagen, wenn man täglich mit ihm fährt, seinen eigenen, vertrauten Geruch. „Dadurch entsteht eine emotionale Verbindung.“

Früher brachte der Wagen Freiheit

Vor nicht allzu langer Zeit brachte der Wagen Freiheit. Mit ihm erreichte man nicht nur ein Ziel. Er war auch ein Fluchtauto vor der Enge des Elternhauses. „Heute hat fast jeder junge Mensch einen eigenen Raum“, so Hossiep. Man muss nicht ins Autokino fahren, um für sich zu sein. „Die Bedeutung des Autos als Freiheitsbringer nimmt ab.“

Wie wichtig ein Wagen für den Menschen wird, ist auch eine Generationenfrage. Junge Leute wollen heute mit 18 Jahren nicht mehr unbedingt als Allererstes ein Auto. Smartphone, Tablet, Reisen sind genauso erstrebenswert. Hossiep: „Aber wenn sie sich ein Auto leisten können, dann hätten sie doch ganz gerne eins. Und dann auch ein tolles.“ In ihrem Auto fühlen sie sich sicher. So sicher, dass sie schimpfen und fluchen, wenn einer ihnen die Vorfahrt nimmt. Wäre das Fenster geöffnet, würden sie sich das in der Lautstärke gar nicht trauen.

Schlechte Nachrichten über das Auto

Apropos Lautstärke: Im Wagen dreht man das Radio auf und singt lauthals mit – wie unter der Dusche. Bis die Nachrichten kommen: Abgas-Skandal, Klimawandel durch CO2-Ausstoß, Diesel-Diskussion, Fahrverbote, Nachrüstungen, höherer Spritverbrauch bei Neuwagen und, und, und. Wer da nicht zumindest ein mulmiges Gefühl bekommt, muss schon sehr abgestumpft sein.

Die Serie im Überblick

Würde sich das schlechte Gewissen bei einem Elektroauto legen? Hossiep verneint. Das Elektroauto ist nicht der Heilsbringer der Zukunft, den sich die Fahrer wünschen. „Unser Strom ist dreckig“, erinnert er daran, dass wir in Deutschland weit entfernt sind von rein grüner Energie. Strom benötigt man nicht nur für den Betrieb des Wagens, sondern auch für die Batterie-Herstellung. Für solch einen Akku braucht man zudem Seltene Erden. Die größte Umweltbelastung beim Auto entsteht generell bei der Produktion und der Entsorgung. „Jedes Auto, das nicht produziert wird, ist ein gutes Auto“, so Hossiep. „Am besten fährt man seinen alten Benziner, solange es geht.“

Man erwartet von Managern einen Geschäftswagen

Die Zeit bis zum Oldtimer-Alter kann da lang werden. Wer sich keinen neuen Wagen kauft, obwohl er es sich leisten kann, benötigt Rückgrat. Ein erfolgreicher Manager, der eine 20 Jahre alte Kiste und keinen modernen Geschäftswagen fährt, muss sich rechtfertigen. Die Menschen erwarten von ihm ein modernes Auto, das zu seiner Stellung passt. Außerdem schauen die Leute aufs Geld und tanken deshalb billigeren Diesel. Und wenn Prämien locken, dann fällt es ihnen schwer, einem alten Wagen treu zu bleiben.

Man weiß, dass man mit dem Auto die Umwelt belastet und fährt trotzdem. „Die Leute ziehen es sich glatt“, erläutert Hossiep. „Der Mensch ist kein rationales Wesen, aber ein rationalisierendes. Er hat eigentlich immer gute Gründe, warum er etwas tut.“ Außerdem will er sich nicht ständig selbst hinterfragen. „Die Leute wollen eine einfache Lösung“, sagt Hossiep. „Aber es gibt keine.“ Also denken sie: „Ach, auf mein Auto wird es doch wohl nicht ankommen.“

Die Bahn ist auf lange Strecken umweltfreundlicher

Die Bahn wäre gerade auf langen Strecken umweltfreundlicher. Aber mit öffentlichen Verkehrsmitteln tun sich viele Menschen schwer, besonders abends. „Sie fühlen sich dort nicht sicher“, so Hossiep. Und dann stellt sich die Frage: „Wie ökologisch und ökonomisch ist es, wenn ein Gelenkbus mit nur einem Fahrgast durch die Nacht fährt?“

Carsharing wäre eine Alternative. Aber ist die Autofahrer-Nation Deutschland bereit, Wagen untereinander zu teilen? Hossiep bezweifelt das. 1,7 Millionen Menschen waren zwar laut des Carsharing-Bundesverbands Anfang des Jahres bei Anbietern registriert. Aber die Masse werde sich nicht so leicht umlenken lassen. Nicht nur aus Bequemlichkeit, sondern ebenso aus emotionalen Gründen. Schließlich möchte man auch nicht sein Wohnzimmer mit anderen Menschen teilen, so Hossiep. Da sei noch viel Überzeugungsarbeit nötig.

Ganz persönliche Fahrgemeinschaften

Vielleicht sind sehr persönliche Fahrgemeinschaften ein Schritt in die richtige Richtung? In den USA und in Kanada gibt es seit Jahrzehnten Fahrgemeinschaftsspuren, auf denen nur Autos fahren dürfen, in denen mindestens zwei oder auch drei Personen sitzen.

Unsere Sekretärin hat nicht nur Kuchen ausgegeben, sie hat auch ein Foto von ihrem Neuen gemailt. Darauf lehnt sie sich vertrauensvoll an ihn. Sie gibt zu: „Es war Liebe auf den ersten Blick.“ Ihren Mann nimmt sie trotzdem gerne mit.