Essen. . Bei einem Tempolimit von 120 auf Autobahnen würden laut Umweltbundesamt Millionen Tonnen CO2 eingespart. Streit über mehr Sicherheit und weniger Staus.
Wer in den Herbstferien mit dem Auto in ein europäisches Urlaubsland fährt, muss sich zügeln. Anders als auf deutschen Autobahnen gilt in jedem anderen europäischen Staat ein Tempolimit auf den Fernstraßen. Auch weltweit bildet Deutschland mit der freien Fahrt auf der „German Autobahn“ eine Ausnahme: Nur wenige andere Länder, darunter Afghanistan oder Burundi, haben kein Tempolimit auf überörtlichen Straßen.
Seit den 70er-Jahren stehen sich Verfechter und Gegner einer Geschwindigkeitsbegrenzung unversöhnlich gegenüber. Doch gerade durch die mit dem Dieselskandal angestoßene Debatte um Elektro-Autos, schmutzige Luft und die Mobilität der Zukunft stellt sich erneut die Frage: Müssen wir so schnell fahren?
Die Ausgangslage
Bei PS-Enthusiasten ist Deutschland zwar beliebt – freie Fahrt gibt es aber längst nicht auf allen Autobahnen, wie Angaben der Bundesanstalt für Straßenwesen mit Sitz in Bergisch Gladbach deutlich machen. Schon heute sind rund ein Drittel der 13 000 Autobahn-Kilometer durch dauerhafte Tempolimits gekennzeichnet. Zeitliche Beschränkungen durch Baustellen oder bei Nässe gibt es im Schnitt auf über 1300 Kilometern. Unbegrenzt schnell fahren kann man nur auf 62 Prozent des Netzes.
Der ADAC nennt als weiteren Abbremser den dichten Verkehr: Nur etwa 13 Prozent der Pkw-Fahrleistungen würden mit über 150 Stundenkilometer gefahren, zitiert die Autofahrer-Lobby Angaben der Bundesanstalt.
Folgen fürs Klima
Forderungen nach einem Tempolimit werden vor allem aus der Ecke der Umweltschützer immer wieder laut. Die Grünen etwa haben sich Tempo 120 ins Bundestagswahl-Programm geschrieben. Das Umweltbundesamt (UBA) hat ausgerechnet, was das fürs Klima bedeuten würde: Beim Ausstoß des Schadstoffs CO2 würden rund drei Millionen Tonnen eingespart – eine Reduzierung um neun Prozent beim Straßenverkehr.
Angesichts von über 900 Millionen Tonnen CO2-Gesamtausstoß sicher nur ein kleiner Anteil, gibt Werner Reh vom Umweltverein BUND zu. „Anders als viele Schutzmaßnahmen kostet diese nichts.“ Reh nennt als Nebeneffekt: Dürften Pkw nicht mehr so schnell fahren, würden Autobauer abrüsten und leichtere Modelle entwickeln. Laut UBA würde Tempo 120 den Spritverbrauch im Straßenverkehr um zwei Prozent reduzieren. Die Rechnung bezieht sich aber auf 20 Jahre alte Daten von 1999 – aktuellere gibt es nicht.
Verkehrssicherheit
Autobahnen seien die sicherste Straßenkategorie in Deutschland, sagt Roman Suthold vom ADAC NRW. Statistisch betrachtet stimmt das: Auf Autobahnen entfallen laut Anstalt für Straßenwesen rund 32 Prozent aller Kilometer, die jährlich gefahren werden, aber nur rund 15 Prozent der Unfälle, in denen Personen zu Schaden gekommen sind, und neun Prozent der Verkehrstoten.
Michael Mertens, Vize der Gewerkschaft der Polizei in NRW, hält diese Aufzählung für verschleiernd: „Anders als auf Landstraßen gibt es auf Autobahnen viele Gefahrenstellen nicht, Einbiegungen oder Kreuzungen“, sagt Mertens. Im verkehrspolitischen Programm der Gewerkschaft fordert er angelehnt an die Richtgeschwindigkeit ein Limit von Tempo 130 auf den Autobahnen. Aus Gründen der Sicherheit: „Von vier Unfalltoten in diesem Bereich kommen drei an Stellen ums Leben, wo kein Tempolimit gilt“, sagt er. Rasen sei nicht immer die Unfallursache, aber ursächlich für schwere Folgen.
Staugefahr
Auf rund 1,4 Millionen Autobahn-Kilometer Stau ist Deutschland laut ADAC 2016 gekommen. Eine Reihe von Wissenschaftlern argumentiert, dass der Verkehr mit einem Tempolimit flüssiger würde. Geschwindigkeiten gleichen sich an, riskantes Verhalten wird reduziert. Wissenschaftler der TU Dresden haben das nachgewiesen – aber nur für Tempo 80 im Berufsverkehr. Die Folgen eines generellen Limits für Stau und Unfälle würden derzeit nicht erforscht, sagte der Bochumer Verkehrswissenschaftler Justin Geistefeldt jüngst dem Sender 3Sat. Auch hier gilt: Die letzte Studie sei zehn Jahre alt.
Als Gegenentwurf zum Tempolimit plädiert der ADAC für intelligente Verkehrstafeln, die bei Staugefahr eine geringere Geschwindigkeiten vorgeben. Anders als ein generelles Limit leuchte das auch jedem Autofahrer ein, meint Roman Suthold.
Eine Chance sieht Suthold im autonomen Fahren: Mit entsprechender Technik ausgestattete Autos passen ihr Tempo an das ihres Umfeld an. Dadurch werde das Tempo insgesamt harmonisiert. Ob das in NRW klappt, wird derzeit in Düsseldorf getestet.