Berlin. Der Kanzlerkandidat der SPD, Frank-Walter Steinmeier, hat weiter die Ruhe weg und schläft trotz Wahlkampf-Stress gut - sagt er im Interview mit der WAZ-Gruppe. Zudem erklärt er, warum er Schwarz-Gelb für schädlich hält und NRW-Regierungschef Rüttgers sich nicht auf Johannes Rau berufen darf.

Als das TV-Duell zu Ende ist, meldet sich das Handy von Frank-Walter Steinmeier. Eine SMS. Zwei Wörter nur. Von der Tochter. "Gut, Papa". Tage später empfängt der SPD-Kanzlerkandidat die WAZ im Auswärtigen Amt mit einem Geständnis: `Auch nach einigen Jahren Politik in den Knochen war da eine große Anspannung." Der Medien-Hype, die eigenen Ansprüche! Und doch treffen wir einen Mann an, dem der Druck nichts auszumachen scheint.

Herr Steinmeier, der Wahlkampf erreicht den höchsten Stresspegel und Sie sehen unverschämt gut aus, wie auf...

Steinmeier: ...Danke für das Kompliment.

...ihren Plakaten. Wie machen Sie das?

Steinmeier: Möglicherweise liegt es daran, dass ich mit mir im Reinen bin.

Wir haben den Eindruck, dass Sie strukturell die Ruhe weg haben.

Steinmeier: Westfälische Gene. Ich glaube, dass ich ein ganz gutes Nervenkostüm habe. Ich lasse mir nicht Bange machen.

Für viele ist Politik eine Sucht, sie macht kaputt. Haben Sie das Immun-Gen?

Der Hometrainer reicht

Steinmeier: Wenn ich eines früh gelernt habe, dann, dass sich Einmischen lohnt. Ich bin ein politischer Mensch. Aber ich habe mir einen Freundeskreis abseits der Politik bewahrt, der mit mir kritisch, offen umgeht und in schwierigen Situationen eine Stütze ist. Das hilft.

Ihr Vorgänger baute den Stress im Laufen ab. Machen Sie auch Sport?

Steinmeier: Im Augenblick nicht. Mein Sportprogramm sind die Veranstaltungen von Flensburg bis München. In normalen Zeiten mache ich ein bisschen Sport zu Hause im Keller auf dem Hometrainer.

Ihre Frau sagt, sie hätte nie erlebt, dass Sie schlecht schlafen.

Steinmeier. Das stimmt. Das war schon zu Studienzeiten so, wenn eine Promotion oder eine Prüfung anstand. Manchmal waren die Nächte kurz. Aber geschlafen habe ich immer.

Gehen wir die Frage nach dem Suchtpotenzial anders an. Können Sie sich was anderes als Politik vorstellen?

Steinmeier: Eine Woche vor dem 27. September ist das schwer zu beantworten.

Ich habe keine Angst vor der Zukunft

Zugegeben, die Frage kommt zu einem doofen Zeitpunkt.

Steinmeier: Ich will es mal so sagen: Es ist kein leichter Weg, den ich im Augenblick gehe. Ich kämpfe dafür, dass die SPD eine führende Rolle spielt. Darauf konzentriere ich mich. Andere Gedanken lasse ich nicht an mich heran. Ich hatte keine Angst vor der Zukunft. Diesmal ist es nicht anders.

Wenn man wie Sie für die SPD Kanzler werden will, ist das ein Karrierejob oder ist es mehr, ein Stück Berufung?

Steinmeier: Ich bin seit 35 Jahren in der SPD, einer Partei mit 146 Jahren Geschichte, mit der oft nachlässig umgegangen wird. Viele mögen hadern, aber es ist die Partei, die immer gestanden hat, wenn die Demokratie, die Gesellschaft bedroht war. Weil das so ist, ist es mir eine Ehre, für die SPD in den Ring zu steigen. Kanzlerkandidat dieser stolzen und traditionsreichen Partei zu sein ist eine besondere Auszeichnung für mich.

Im Ring, beim TV-Duell, haben Sie gesagt, "ich bin besser als Merkel". Was können Sie, was Merkel nicht kann?

Steinmeier: Die Frage ist nach dem Duell leichter zu beantworten.

"Frau Merkel lebt von der Hand in den Mund"

Inwiefern?

Steinmeier: Weil Frau Merkel viele Fragen nicht beantwortet hat. Sie lebt von der Hand in den Mund.

Und Sie nicht?

Steinmeier: Wer mich länger beobachtet hat, weiß: Ich habe immer langfristige Ziele verfolgt, immer aus einer Wertvorstellung heraus. Es ist kein Zufall, dass wir im `Deutschlandplan" die Vollbeschäftigung anvisieren, nicht nur als vages Ziel, sondern auch mit konkreten Maßnahmen.

Man muss mit dem Wahlgewinner fast Mitleid haben. Die Probleme sind so gewaltig. Wie führen Sie zum Beispiel die Schulden zurück?

Steinmeier: Der erste Schritt war, falsche Entscheidungen zu vermeiden. Andere Länder haben fürs Krisenmanagement mehr Geld ausgegeben. Ich habe damals mit Peer Steinbrück geredet, den ich für den besten Finanzminister seit Jahrzehnten halte, und wir nahmen uns vor: Wir machen nicht den Wettlauf mit der Gießkanne mit und wir behalten die Nerven, auch gegenüber der eigenen Partei.

Mag ja sein, aber die Neu-Verschuldung hat dennoch eine Größenordnung von 80 bis 100 Milliarden Euro.

Steinmeier: Ich weiß, aber wir haben, zweitens, auch eine Schuldenbremse beschlossen. Das heißt: Die Verpflichtung, in ertragreichen Jahren Schulden abzubauen. Das wird noch Generationen belasten und wird uns Mühe kosten. Das wird von Frau Merkel tabuisiert, weil sie sich für ganz falschen Ausweg entschieden hat. Union und FDP wollen den Staat mit Steuersenkungen künstlich arm machen. Steuersenkungen in dieser Zeit und angesichts der Neuverschuldung sind nicht finanzierbar. Die Versprechungen von Union und FDP sind unseriös und unhaltbar.

"Die SPD kann mit Geld umgehen"

Johannes Rau hat NRW einmal ironisch verdreht. Zitat: "Hier trifft die Zuverlässigkeit der Rheinländer auf die Leichtigkeit der Westfalen und die Freigiebigkeit der Lipper". Ist der Mann aus dem Lippischen knauserig genug, einen Sparkurs durchzusetzen?

Steinmeier: Persönlich kann ich gut mit Geld umgehen. Wenn Sie sich die Finanzminister der SPD anschauen, von Karl Schiller bis Peer Steinbrück, dann hat die SPD überzeugend bewiesen, dass sie mit Geld umgehen kann.

Wir wollen immer noch von Ihnen wissen, wie Sie die Schulden zurückführen?

Steinmeier: Das geht nur mit mehr Wachstum. Dafür sind die Bedingungen in Deutschland besser als in vielen anderen Ländern. Wir sind in der Lage, wieder runter zu kommen, mit disziplinierter Haushaltsführung, aber ohne soziale Verwerfungen. Nur die SPD steht dafür, das es bei uns keine sozialen Verwerfungen gibt und Verteilungskonflikte nicht eskalieren. Eines will ich hier sagen: Eine höhere Mehrwertsteuer kommt nicht in Frage.

Ihr bester Finanzminister aller Zeiten ist freigiebig mit Worten. Oder gefällt Ihnen sein Faible für die große Koalition?

Steinmeier: In der Koalitionsfrage bin ich mit Peer Steinbrück völlig einig. Wir kämpfen dafür, dass die SPD stark wird und die Regierung führt. Wir haben eine Koalition mit der Linken ausgeschlossen. Alles andere ist offen. Eine große Koalition ist nicht mein Wunsch. Große Koalitionen sollten die Ausnahme bleiben. Auf Dauer stärken sie die politischen Ränder.

Was `droht", wenn der nächste Außenminister Trittin oder Westerwelle heißt?

Steinmeier: (lacht) Da kann ich nur sagen: Die Richtlinien bestimmt der Kanzler. Im Ernst: Lassen Sie uns die Entscheidung um Personen und Koalitionen am 27. September um 18.01 Uhr beginnen, keine Minute früher.

Sie streben eine Ampel an. Ist das ein Projekt?

Steinmeier: 2005 hat keiner mit der großen Koalition gerechnet - sie kam doch. 1998 hat jeder mit der großen Koalition gerechnet - sie blieb aus. Die Wähler bestimmen, wo es langgeht.

Die CDU in NRW hat eine Firma beauftragt, SPD-Chefin Hannelore Kraft mit der Kamera zu verfolgen. Wird da eine Grenze überschritten?

Steinmeier: Herr Rüttgers hat mit seinen ausländerfeindlichen Äußerungen bereits vorher eine Grenze überschritten. Jetzt wäre eine Entschuldigung von Herrn Rüttgers gegenüber den Rumänen fällig, nachdem er sie alle als Faulpelze beleidigt hat. Das ist die außenpolitische Seite. Außerdem sollte er sich überlegen, ob er sich zum Kronzeugen von Ausländerfeinden macht.

Wie ist es in Ihren Veranstaltungen?

Steinmeier: Es laufen immer Kameras mit, von der SPD, vor allem aber vom Fernsehen. Und trotzdem gibt mir der Vorfall in NRW zu denken. Unter Demokraten sollten solche Formen von Spähangriff eigentlich nicht erfolgen. Gegnerbeobachtung ist ja schön und gut, aber offensichtlich will Herr Rüttgers andere Parteien einschüchtern. Mein Urteil ist klar: Dieser Mann hat jedes Recht verspielt, sich auf Johannes Rau zu berufen.