Washington. Bei dem Jahrhundert-Regen im amerikanischen Bundesstaat Colorado sind offenbar auch Fracking-Anlagen beschädigt worden. Experten und Umweltverbände furchten nun gravierende Folgeschäden – auch für das Trinkwasser. In dem Rocky-Mountains-Staat stehen 50.000 Fördertürme für die umstrittene Methode der Öl- und Gasgewinnung.
Erst die Naturkatastrophe, jetzt der Industrie-GAU? Umweltbehörden und Aktivisten in Amerika fürchten nach der Flut-Tragödie in Colorado gefährliche Folgeschäden durch Fracking. Im US-Bundesstaat in den Rocky Mountains sind über 50.000 Fördertürme für die umstrittene Methode der Öl- und Gasgewinnung in Betrieb. Dabei wird unter hohem Druck ein Wasser-Sand-Chemikalien-Gemisch ins Erdreich gepresst. Danach können die Rohstoffe aus den Schiefergestein-Schichten abgepumpt werden.
Der Jahrhundertregen, der am 11. September einsetzte und für immense Zerstörungen sorgte, hat Dutzende Frackinganlagen lahmgelegt. Oberirdische Tanks mit giftigen, krebserzeugenden Stoffen treiben, so Augenzeugen, im Wasser. Vereinzelt sind Pipelines, die kontaminiertes Wasser oder Öl transportierten, geborsten.
Tanks mit krebserzeugenden Stoffen treiben im Wasser
Die Sorge vor einer langfristigen Trinkwasserverseuchung überlagert in der Krisenregion die historische Tragödie: Mindestens zehn Menschen sind in den Fluten gestorben, 60 werden noch vermisst. 20.000 Häuser wurden vom Wasser mitgerissen.
Tote bei Überschwemmungen in Colorado
50 Brücken, Hunderte Meilen Landstraße und Dutzende Stromleitungen sind zerstört. Der Schaden wird auf zwei Milliarden Dollar geschätzt. Die Aufräumarbeiten werden Jahre dauern, schreibt die Zeitung „Denver Post“.
Die auf Industrieseite zuständige „Colorado Oil and Gas Association“ versuchte zunächst die Wogen zu glätten. „Die Flut hat keine Frackinganlagen in Mitleidenschaft gezogen“, erklärte Präsidentin Tisha Schuller im lokalen Fernsehen. Doch zu diesem Zeitpunkt waren bereits Fotos und Videoaufnahmen von Cliff Willmeng im Internet zu sehen. Der bekannte Umweltschützer aus Boulder war auf eigene Faust in den Landkreis Weld aufgebrochen, wo 20 000 Frackingstellen registriert sind, und hatte die Schäden dokumentiert.
Zügig korrigierte die Industrie ihre Darstellung, verkündete die vorbeugende Schließung von Hunderten Bohranlagen, sagte intensive Untersuchungen zu und gab Verhaltensmaßnahmen aus: „Wenn Menschen mit Flutwasser in Kontakt kommen, sollten sie sich häufig mit warmem Wasser und Seife die Hände waschen“, sagte Verbandssprecher Mark Salley. Die Gesundheitsbehörde des Bundesstaates Colorado schlug sogar vor, auf der Toilette auf die Wasserspülung zu verzichten.
Schadensaufnahme wird durch Geheimniskrämerei der Firmen erschwert
Erschwert wird die Schadenaufnahme durch Geheimniskrämerei. Die exakte Zusammensetzung des Chemiecocktails, den große Firmen wie Encana beim Fracking einsetzen, ist der breiten Bevölkerung nicht bekannt.
Für die boomende und viel kritisierte Frackingindustrie bedeuten die Ereignisse in Colorado einen neuen Rückschlag. Bisher behauptete die Branche kategorisch, dass die Technik durch Flutwasser nicht beeinträchtigt werden könne.
Erst im Sommer hatten Geowissenschaftler nachgewiesen, dass die beim Fracking ins Erdreich gespritzten Flüssigkeiten erdbeben-ähnliche Verwerfungen auslösen können. Zuvor hatte der Filmemacher Josh Fox in zwei Dokumentationen („Gasland“) gezeigt, wie groß die Unwägbarkeiten des Frackings für die Umwelt sind.
Eine Szene hat sich dabei auch beim deutschen Kinopublikum im Gedächtnis festgesetzt: Ein Mann hält ein Feuerzeug an seinen Wasserhahn und erzeugt so einen kleinen Feuerball aus brennendem Gas. Wo die Szene spielt? In Colorado.