Einer der wohl ungewöhnlichsten Pläne im Kampf gegen das Hochwasser scheint aufzugehen: Das Loch im Elbdeich bei Fischbeck ist deutlich kleiner geworden. Dort liegen jetzt gesprengte Lastkähne. Die Pegelstände der Elbe gehen zurück, aber die Lage ist weiter angespannt.

Gesprengte Schiffe als Stöpsel für einen gebrochenen Deich - Sachsen-Anhalt hat das Experiment gewagt und gewonnen. Mit ihrer Aktion haben die Einsatzkräfte wohl weitere Flächen zwischen Elbe und Havel vor der Überflutung bewahrt. Noch nie habe es so eine Aktion in Deutschland gegeben, sagt der Kommandeur des Landeskommandos Sachsen-Anhalt, Oberst Claus Körbi.

Am Samstag gelang es, zwei Lastkähne vor dem etwa 90 Meter langen Deichbruch bei Fischbeck an der Elbe auf Grund zu setzen und damit einen Großteil der Lücke zu schließen. Ein drittes Schiff wurde am Sonntag in Position gebracht und versenkt, um das Leck endgültig zu stopfen. Bis dato hatten die riesigen schwimmenden Wannen Fracht transportiert.

300 Kubikmeter Wasser pro Sekunde flossen durchd as Loch

Gegen die schier unendlichen Wassermassen sahen die Experten kein anderes Mittel, als die ausgemusterten, antriebslosen Lastkähne zu versenken. Selbst riesige, tonnenschwere Pakete mit Steinen oder Sand wären Hunderte Meter weggetrieben worden - schlichtweg wirkungslos.

Durch das Loch im Deich sind nach Angaben des Krisenstabes der Landesregierung rund 300 Kubikmeter Wasser pro Sekunde geströmt. Ein Ende war nicht abzusehen. Immer mehr Ortschaften mussten geräumt werden, Tausende Menschen sind betroffen. Während etwa in Bayern, Thüringen und Sachsen längst Aufräumen angesagt ist, wurde es im Elbe-Havel-Winkel immer noch schlimmer.

"Wir haben nichts zu verlieren", hatte Oberst Körbi vor der Aktion gesagt. Im schlimmsten Fall würden zwei gesprengte Lastkähne in der Landschaft stehen. Im besten Fall würde die Flut reduziert oder das Loch im Deich ganz abgedichtet. Also kaufte Sachsen-Anhalt am Freitag nach einer Entscheidung des Krisenstabs kurzerhand zwei ausgemusterte Schiffe. Sie sollen mehrere hunderttausend Euro gekostet haben. Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) verkündete den waghalsigen Plan am Abend, da erkundeten Pioniertaucher schon die Wassertiefen.

Deich im ersten Anlauf nicht komplett geschlossen

Am Morgen darauf setzen Hubschrauber von Bundeswehr und Bundespolizei Panzersperren aus verschweißten Doppel-T-Stahlträgern über dem Deichbruch ab. Sie sind die Grundlage dafür, dass die versenkten Schiffe tatsächlich hängenbleiben können und nicht abgetrieben werden. Am Kloster Jerichow, das nur wenige Kilometer von der Deichbruchstelle weithin sichtbar aus der platten Landschaft ragt, wird die B 107 zum zentralen Anflugort für neun Hubschrauber. Im Minutentakt nehmen sie riesige Netze und Pakete mit Basalt-Brocken und Sandsäcken auf und bringen sie an den Deich.

Am Abend dann werden die beiden Lastkähne, die ein Schubschiff hergebracht hat, mit Präzision hineinmanövriert und gesprengt. Die erste Detonation ist um 19.48 Uhr weithin hörbar. Der Innenminister wartet nervös auf der Terrasse eines nahe gelegenen Lokals. "Jetzt müssten die Hubschrauber langsam hoch", sagt er angespannt. Anders als erwartet steigen die Helikopter nicht gleich in die Luft auf. Ihre Aufgabe ist es, so schnell wie möglich die Kähne mit großen Sandsäcken zu beschweren und sie am Wegtreiben zu hindern.

Man braucht einen dritten Kahn

Wenig später steht fest: Nur ein Kahn liegt auf Grund. Die zweite Sprengung um 20.11 Uhr setzt Kahn Nummer zwei fest. Allerdings ist der Deichbruch nicht komplett geschlossen. Es bleibt eine Öffnung von rund 20 Metern, wie Oberst Körbi nach einem ersten Hubschrauberflug über der Einsatzstelle feststellt. Dann beginnt die Hubschrauberflotte fast wie an einer Perlenschnur aufgereiht, die versenkten Schiffe mit schweren Paketen zu füllen.

Um die Deichöffnung komplett zu schließen, ordert Sachsen-Anhalt kurz nach der Aktion ein weiteres Schiff. Kahn Nummer drei wird am Sonntagabend vor der verbliebenen Lücke auf Grund gesetzt. Und noch einmal steigen Hubschrauber auf, um nun auch das letzte kleine Leck zu stopfen. Die waghalsige Aktion scheint geglückt.

Weiter südlich versuchten unterdessen Einsatzkräfte derweil eine Lücke im Deich zu vergrößern, um den Abfluss aus überfluteten Gebieten zu beschleunigen. Am Saaledeich bei Breitenhagen wurde eine zweite Sprengung vorbereitet. Gegen Sonntagmittag sollte die am Samstag mit Sprengstoff geöffnete Stelle vergrößert werden, teilte der Krisenstab in Magdeburg mit. Das Wasser könne so noch schneller aus den überschwemmten Gebieten zurück in den Fluss laufen. Die erste Sprengung sei zwar ein Erfolg gewesen, doch wegen des sandigen Bodens habe das explosive Material nicht tief genug eindringen können.

Hochwasserlage entspannt sich langsam

Allgemein entspannte sich die Hochwasserlage langsam. Der Elbe-Pegelstand im brandenburgischen Wittenberge erreichte am Sonntagmorgen einen Wert von 6,91 Metern. Beim historischen Höchststand vor einer Woche lag der Wert bei 7,85 Metern. Auch die Pegelstände der Flüsse in Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein gingen allmählich zurück. Tausende Helfer waren am Sonntag aber noch im Einsatz.

Unterdessen warnt das bayerische Landesgesundheitsamt (LGL) nach dem Hochwasser vom Schwimmen in vielen Badeseen in ab. "Ich würde empfehlen, in den betroffenen Regionen noch nicht in den Seen zu baden", sagte LGL-Sprecherin Katrin Grimmer in Erlangen. Nach Starkregen oder Hochwasser bestehe die Gefahr, dass von Äckern Gülle in die Seen geschwemmt werde.

Kolibakterien könnten dann zu Magen-Darm-Erkrankungen führen. Anfällig seien besonders kleine Kinder und ältere Menschen. "Auch Entzündungen an offenen Hautstellen sind denkbar." Weitere Gefahren sah Grimmer durch herumtreibende Gegenstände und Verunreinigungen durch Öl. Schwimmer sollten sich in jedem Fall vor dem Baden über die Wasserqualität informieren. (dpa)