Das Bangen der Flutopfer - Was kommt nach der Katastrophe?
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Havelberg. Dicht an dicht stehen die Betten der Flutopfer im Notquartier. Die Menschen harren geduldig aus - und sorgen sich um die Zukunft. Immer mehr wird die Frage laut: Was wird nach der Katastrophe? Kann ich jemals in mein Haus zurück, und steht mein Dorf überhaupt noch?
Das Leid und das Bangen einer ganzen Region sind in der Sporthalle in Havelberg zum Greifen nah. Dicht an dicht stehen die Betten in dem Notquartier für die Flutopfer des Landkreises Stendal. Mehr als 100 Menschen haben dort Zuflucht gesucht, deren Dörfer und Häuser wegen des Hochwassers von Havel und Elbe überspült wurden. Noch tragen es die Frauen, Männer und Kinder mit Fassung. Doch immer mehr wird die Frage laut: Was wird nach der Katastrophe? Kann ich jemals in mein Haus zurück, steht mein Dorf überhaupt noch?
"Ich kann es nicht ertragen"
"Ich schaue mir die Bilder nicht an, ich kann es nicht ertragen", sagt Hans-Peter Janitza mit Tränen in den Augen. Der Mann ist mit seiner 44 Jahre alten Frau und seinen Hunden "Bella" und "Bootsmann" seit vergangenem Montag in dem Notquartier. Seit jenem Tag, als kurz nach Mitternacht das Desaster in Fischbeck seinen Anfang nahm. Ein Deich der Elbe war gebrochen, riesige Wassermassen stürzten über den kleinen Ort herein. "Es gab keine Vorwarnung, es gab ein Knack und dann das große Rauschen", erinnert sich der 52-Jährige, dessen Haus etwa 500 Meter von der Elbe entfernt liegt. Soldaten der Bundeswehr retteten ihn. Viel mitnehmen konnte er nicht.
Er sei gut in Havelberg untergekommen, die Betreuung sei vorbildlich. Seelsorger und ein medizinischer Dienst stünden bereit, sagt Janitza. "Doch was wird danach, wo komme ich unter?", fragt er sich. Von seinem Haus sei nur noch der Schornstein zu sehen. "Soll ich es umschieben oder neu aufbauen?" fragt sich der Invalidenrentner, der wegen eines Arbeitsunfalls seinen Beruf als Anlagenbauer nicht mehr ausüben kann. Einen Bankkredit könne er deshalb wohl vergessen, meint er.
Häuser sind vom Wasser umzingelt
Nach dem Deichbruch in Fischbeck suchten sich die Fluten weitere Ortschaften, bedrohen auch den Ort Wulkau. Ein älteres Ehepaar, das seinen Namen nicht nennen will, hat deshalb seit Montag auch Zuflucht in dem Notquartier in Havelberg gesucht. "Wir waren am Wochenende noch einmal in unserem Haus, haben die Hühner gefüttert" sagt der Mann. "Das war wahrscheinlich das letzte Mal", ergänzt seine Frau. Das Haus sei vom Wasser umzingelt. Noch hoffen sie, wie 2002 mit einem blauen Auge davon zu kommen, doch die Chance sei eher gering. "Mein Mann kennt sich da aus, er hat seit 1954 als Wächter auf dem Deich gestanden", sagt sie.
Hochwassereinsatz beendet
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In Wulkau selbst herrscht gespenstische Ruhe. Einige Menschen harren aus, wollen nicht gehen. Toralf Hennig von der Freiwilligen Feuerwehr des Ortes fährt das, was von dem Ort übrig blieb, regelmäßig mit dem Fahrrad ab. "Hochwasser gab es hier schon immer mal, aber das hier ist neu", sagt er. "Wir müssen wieder mehr auf die Alten hören und gucken, wo die alten Deiche standen", ruft eine Frau. Die seien in letzter Zeit vernachlässigt worden. Das sei die erste wichtige Erkenntnis aus der Katastrophe.
Wegen des Hochwassers der Elbe wurden am Samstag im Landkreis Stendal zwei weitere Orte evakuiert. Die Menschen in den Ortschaften Jederitz und Kuhlhausen wurden aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen und sich in Sicherheit zu bringen. Weitere Menschen werden so in Havelberg Zuflucht suchen. Das sei nicht das Problem, ist aus dem Krisenstab des Landkreises zu hören, mehr als 900 Notbetten stünden allein in dem Ort bereit.
Hans-Peter Janitza und das Paar aus Wulkau richten sich auf weitere Tage in dem Notquartier ein. Selbst wenn es gelänge, den Deich bei Fischbeck am Wochenende zu schließen, können sie sich nicht vorstellen, schnell in ihre Orte zurückzukehren.
Schiffeversenken bei Fischbeck - Entspannung in Lauenburg
Mit einer außergewöhnlichen Sprengaktion soll ein Loch in einem Elbdeich in Sachsen-Anhalt gestopft werden. Im Laufe des Samstags werden den Planungen zufolge bei der Ortschaft Fischbeck (bei Stendal) zunächst Panzersperren am Grund verankert. Danach sollen zwei Schiffe gesprengt und versenkt werden. Sie sollen zusammen mit aus der Luft abgeworfenen Sandsäcken die Lücke im Deich schließen. Nach Angaben des Krisenstabs der Landesregierung in Magdeburg könnte die Aktion den ganzen Tag dauern. Es gebe keine Gewissheit, dass sie gelinge.
Durch den Deichbruch bei Fischbeck strömen seit Tagen Wassermassen der Elbe ins Hinterland. Noch immer sind es nach Angaben des Krisenstabs mehrere hundert Kubikmeter Wasser pro Sekunde. Inzwischen sei Schätzungen zufolge eine Fläche von rund 200 Quadratkilometern überflutet. Zahlreiche Ortschaften mussten evakuiert werden, viele davon stehen inzwischen unter Wasser.
Evakuierung der Ortschaften Jederitz und Kuhlhausen
Erst am Morgen ordnete der Krisenstab die Evakuierung der Ortschaften Jederitz und Kuhlhausen an. Die Bewohner wurden aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen und sich in Sicherheit zu bringen. Da der Wasserpegel nach dem Deichbruch bei Fischbeck in der Region weiter steige, müsse mit einer Überflutung der Orte gerechnet werden.
Ein Teil des Saaledeichs bei Breitenhagen (Salzlandkreis) ist am Vormittag gesprengt worden. Damit wurde ein Loch im Deich vergrößert, damit das Hochwasser aus den überfluteten Gebieten besser in die Saale zurückfließen kann. Je nach Ergebnis könne eine zweite Sprengung erfolgen, hieß es.
Wenn die Pegelstände von Saale und Elbe weiter sinken, soll auch das Schöpfwerk in Aken (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) die Arbeit wieder aufnehmen, um weiteres Wasser aus den überfluteten Gebieten abzupumpen.
Die Pegelstände im schleswig-holsteinischen Lauenburg sind in der Nacht zum Samstag weiter gesunken. Er liege derzeit bei 9,11 Meter, wie ein Sprecher des Krisenstabs am frühen Samstagmorgen mitteilte. Der Wasserstand am Pegel Hohnstorf am gegenüberliegenden Elbufer lag am frühen Samstagmorgen bei 9,08 Meter. In der Nacht zum Freitag war er noch rund 20 Zentimeter höher. Die Elbbrücke nach Lauenburg sei seit am Morgen für den Verkehr wieder geöffnet worden. Die Bewohner in Lauenburg sollten am Samstagmorgen die evakuierten Gebäude wieder betreten dürfen, teilte der Krisenstab bereits am Freitag mit. Rund 300 Bewohner der Altstadt hatten ihre Häuser am vergangenen Wochenende räumen müssen. (dpa)
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