Paris/London. In Deutschland ist eine Debatte über den alltäglichen Sexismus entbrannt - wie sieht es damit eigentlich beim Nachbarn Frankreich aus? Der stilvolle Flirt gehört hier zum guten Ton. Nicht jedoch plumpe Anmache oder gar Grapschereien. Und seit dem Strauss-Kahn-Skandal diskutieren auch die Franzosen.

Bestimmte Klischees sterben anscheinend nie aus. Erst recht nicht das von „La douce France“ – „dem süßen Frankreich“. Dem Land, das neben erstklassigem Wein und Käse, eleganter Mode und Parfüms vor allem „l’amour“ verspricht. Paris nennt sich mit Stolz die Stadt der Liebe, des Lichts und der Literatur. Aber nicht nur in der pulsierenden Hauptstadt, selbst in den entlegensten Winkeln der Provinz hat sich im Laufe der Jahrhunderte eine Flirtkultur entwickelt, der selbst Feministinnen wie Simone de Beauvoir nicht allzu viel anhaben konnten. Knisternde Koketterie gehört eben zu Frankreich wie perlender Champagner und Chanel.

Ewiges Spiel mit dem anderen Gechlecht

Von der typischen Pariserin sagt man denn auch, dass es schier unmöglich sei zu erahnen, ob sie nun verheiratet ist oder allein stehend. Die Verheiratete mag mehrere Kinder haben oder sogar schon Enkelkinder, trotzdem wird sie sich zurechtmachen: stets ein dezentes Rouge auftragen, sich chic und elegant anziehen und diesen geheimnisvollen Glanz auf ihr Antlitz legen. Dafür aufmerksame Blicke oder – noch lieber – spontane Komplimente einzufangen, ist Sinn dieses ewigen Spiels mit dem anderen Geschlecht.

„Wir sind alle Zimmermädchen“

Französinnen, die in Deutschland zum ersten Mal über belebte Boulevards flanieren oder sich ins Café setzen, berichten daheim verzweifelt, dass sie sich durchsichtig und geradezu unwohl fühlen, weil sie das vertraute Augenzwinkern und charmante Komplimente so sehr vermissten.

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Der stilvolle Flirt und die „séduction“, die Kunst des Verführens, gehören in Frankreich zum guten Ton. Nicht jedoch plumpe Anmache oder gar Grapschereien, Belästigungen und Nachstellungen notorischer Schwerenöter. Als die Eskapaden, Affären und Fehltritte des einstigen Polit-Stars und IWF-Chefs Dominique Strauss-Kahn für Schlagzeilen sorgten, keimte auch in Frankreich eine Sexismus-Debatte auf.

Die Organisation „Osez le féminisme“ („Wagt mehr Feminismus“) protestierte mit Plakaten wie „Wir sind alle Zimmermädchen“ oder dem 70er-Jahre-Slogan „Wenn eine Frau Nein sagt, dann heißt das Nein.“ Da die Neigung zu politischer Korrektheit in Frankreich jedoch nicht so stark ausgeprägt ist wie auf der anderen Rheinseite, war die Sexismus-Debatte rasch beendet. Nur von Zeit zu Zeit flammt sie wieder auf. Etwa im vergangenen Jahr, als die grüne Ministerin Cécile Duflot in der Nationalversammlung in einem luftigen Sommerkleid ans Mikrofon trat.

Die rüpelige Macho-Riege auf der Oppositionsbank pfiff und raunte ihr daraufhin mit lautem „Aaah“ und „Oooh“ hinterher. Doch abgesehen von einem energischen Tadel des Parlamentspräsidenten („Meine Herren!“) und einer verbalen Ohrfeige der Ministerin („Ich bin erstaunt über dieses Niveau, das ich nicht einmal vom Baugewerbe kenne“) hatte der Vorfall keinerlei ernste Konsequenzen.