Essen. . Der Fall Strauss-Kahn treibt auch die Talk-Gäste bei Anne Will um. Angesichts der Bilder aus den USA debattierte die Runde, ob die Unschuldsvermutung noch gelten kann und ob man ein Komplott von vornherein ausschließen darf.
Der Fall Strauss-Kahn hat eine solche Dimension, dass er in das Format einer Polit-Talkshow einfach nicht hineinpasst: Da geht es um den Clash of Cultures zwischen Frankreich und den USA, um Sex Macht, Hochmut, um einen tiefen Fall, um Reich gegen Arm, um mächtige Männer und ihr notorisches Verhältnis zu Frauen und Sex. Etliche dieser Facetten wurden auch bei Anne Will in der Sendung „Sex, Lügen, Prozesse – was ist los mit unseren Vorbildern“ gestreift und andiskutiert. Was bleibt ist die Erkenntnis, dass es in dieser Causa schwer zu erkennen ist, was richtig ist und was falsch, Wahrheit und Lüge.
Verlust der Bodenhaftung
Das begann schon beim Einstieg in die Debatte mit der Frage: Neigen mächtige Männer dazu, sich von einer Frau zu nehmen, was sie wollen ohne nach Zustimmung zu fragen? Es gibt diese dokumentierten Fälle – etwa den jüngst verurteilten ehemaligen Präsidenten Israels Moshe Katzav. Andererseits verwies der prominente Rechtsanwalt und Rechtsprofessor Peter Raue illusionslos auf die Tatsache, dass derartige Übergriffe in allen Gesellschaftsschichten leider an der Tagesordnung sind. Solche Dramen hängen also nicht unmittelbar mit der gesellschaftlichen Stellung der Handelnden zusammen. Wo ein Mächtiger dabei erwischt wird, ist allerdings das Medienecho für gewöhnlich gewaltig. Und es gibt natürlich auch die Tatsache, auf die NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft in der Debatte verwies: Mächtigen Männern mangelt es im Normalfall selten an Avancen – der Fehltritt wird ihnen oftmals leicht gemacht. Angesichts dessen ist die Bodenhaftung schnell dahin, die Eroberung wird so zur Gewohnheit, dass ein Nein irgendwann nicht mehr registriert wird.
Fernseh-Moderator Ulrich Wickert stellte in diesem Zusammenhang fest: „Unsere Vorbilder benehmen sicht nicht mehr wie Vorbilder.“ In Frankreich allerdings hat der Fehltritt der Mächtigen eine jahrhundertealte Tradition, über die man allenfalls an der Kneipentheke Witze reißt: Chirac, Mitterrand, Giscard D’Estaing, Ludwig XV, Henry IV – sie alle hatten ihre Mätressen und galten mehr oder weniger als Schürzenjäger. Und wie im Nachbarland Italien gilt Virilität durchaus auch als Nachweis für die Job-Qualifikation.
Gewalt ist die Grenze
Einig war sich die Runde, dass allerdings der gewalttätige Übergriff die eindeutige Grenze des Tolerierbaren ist. Die Publizistin und Frauenrechtlerin Alice Schwarzer unterstellte Strauss-Kahn, dass es ihm als Machtmensch auch gar nicht um Eroberung sondern um Unterwerfung geht. Denn wenn er lediglich Sex wollte, wäre es besser gewesen, er hätte „einfach angerufen und sich eine schicke Frau, die er ordentlich bezahlt, bestellt“, so Schwarzer. Hat er aber nicht. Aber was wirklich in den Hotelzimmer geschah – ob Gewalt im Spiel war und wie, das müssen die Richter klären – und Gerechtigkeit herstellen.
Ob dies jedoch in der aufgeheizten Stimmung und im amerikanischen Rechtssystem möglich ist, das bezweifelte der Spiegel-Journalist Matthias Mattusek. Im Prinzip sei schon durch die Art und Weise wie Strauss-Kahn in den Medien vorgeführt wurde die Unschuldsvermutung außer Kraft gesetzt. Die bürgerliche Existenz des Ex-IWF-Chefs und bis dato aussichtsreichen Kandidaten für das französische Präsidentenamt ist bereits vernichtet. Strauss-Kahn sei eben nicht wie jeder andere mögliche Verbrecher in den USA behandelt worden. Auch Rechtsprofessor Raue empfand den Spießrutenlauf Strauss-Kahns durch die Kameras der Medien als öffentlichen Pranger – ohne, dass feststehe, ob Strauss-Kahn tatsächlich schuldig ist.
Im grellen Licht der Medienwelt
Alice Schwarzer wiederum geht solches Mitleid mit dem Ex-Bankenchef zu weit: Wer davon ausgehe, dass Strauss-Kahn möglicherweise einem Komplott seiner politischen Gegner (einer von ihnen residiert im Pariser Präsidentenpalais) zum Opfer gefallen ist, der unterstelle auch, dass das mutmaßliche Opfer – eine farbige Einwanderin – lügt. Und das seien wieder die üblichen Machtmechanismen. Matussek entgegnete, wer automatisch Partei für das Zimmermädchen ergreife, der komme um eine Vorverurteilung des Angeklagten letztlich nicht herum. Fazit: Der Fall Strauss-Kahn steht wie kaum ein anderer im grellen Licht der Medienwelt. Dennoch bleiben nach wie vor wesentliche Grauzonen unausgeleuchtet, sodass wir derzeit nichts Genaues sehen – auch bei Anne Will konnte nur herumgestochert werden.