Essen. . Die ARD-Vorsitzende Monika Piel will die Information im Ersten stärken. Mit dem „Markencheck“ montags zur besten Sendezeit hat sie ein Signal gesetzt. Ihr Konzept für die Zukunft verteidigte Piel im Streitgespräch mit Jürgen Overkott.
Die ARD-Vorsitzende Monika Piel will die Information im Ersten stärken. Warum, darüber sprach sie mit Jürgen Overkott.
Die ARD hat im vergangenen Jahr den geringsten Publikumszuspruch aller Zeiten gehabt. Warum, bitte, blasen Sie ausgerechnet jetzt zur Info-Offensive?
Monika Piel: Ich kann mich über Ihre Frage nur wundern. Ansonsten wird uns von Ihren geschätzten Kollegen ja auch gerne vorgeworfen, immer nur auf die Quote zu schielen und darüber die Qualität zu vergessen. Klar ist, dass wir mit unserem Programm natürlich möglichst viele Menschen erreichen wollen, aber eben nicht um den Preis der Qualität. Für uns in der ARD, wie auch im WDR, sind nicht nur Zahlen ausschlaggebend, sondern auch die Relevanz eines Themas; Quote mit Qualität also. Deshalb verstärken wir im Ersten ja auch noch einmal den Anteil an Information und Dokumentationen. Repräsentativumfragen bestärken uns übrigens in diesem Kurs: Dem Ersten wird in ganz unterschiedlichen Genres bescheinigt, die jeweils besten Sendungen anzubieten. So liegen wir bei den Nachrichtensendungen vorne, bei den politischen Magazinen, bei den politischen Talkshows, bei den Ratgebersendungen. Nicht umsonst gilt das Erste bei den Zuschauern als der Sender mit der besten Programmqualität. Also weiter auf Information zu setzen, bedeutet nicht, auf Akzeptanz zu verzichten.
Warum setzt die ARD in einem Jahr mit Fußball-Europameisterschaft und den olympischen Sommerspielen nicht konsequent auf Sport?
Monika Piel: Keine Frage, wir freuen uns sehr, dass wir für unsere Zuschauer diese beiden Großereignisse übertragen können. Die Umfragen zeigen auch, dass unsere Sportsendungen ein hohes Ansehen genießen. Und natürlich ist die Sportberichterstattung wegen der gesellschaftlichen Relevanz des Sports als Integrations- und Identifikationsfaktor wichtiger Bestandteil unseres Informationsauftrags. Aber Sport ist nur ein Teil des Publikumsinteresses. Deshalb setzen wir in diesem Jahr auch weiter verstärkt auf Dokumentationen, wollen unser investigatives Profil schärfen.
Info-Sendungen gelten normalerweise als Quoten-Gift. Warum haben es die Reportagen um Massenmarken wie Lidl und McDonald’s auf den begehrten Sendeplatz 20.15 Uhr geschafft?
Monika Piel: Wenn Info-Sendungen Quoten-Gift wären, würde die ARD kaum noch leben. Dass die „Markenchecks“ fast sensationell gut angenommen wurden – übrigens von Zuschauern und Kritikern gleichermaßen -, das hat sicherlich auch damit zu tun, dass wir uns mit Konzernen fair auseinandergesetzt haben, die im Alltag der Menschen eine große Rolle spielen; wir haben damit den Nerv der Zuschauer getroffen und gezeigt, dass gerade eine kompetente, kritische Wirtschaftsberichterstattung ein Millionenpublikum erreichen kann.
Warum hat es solange gedauert, bis sich die ARD getraut hat?
Monika Piel: Das ist keine Sache mangelnder Courage! Wir haben ja die erste Staffel der „Markenchecks“ im Sommer letzten Jahres mit großem Erfolg im WDR-Fernsehen entwickelt und gesendet, danach das Format direkt für das Erste vorgeschlagen – und im September war schon klar, dass die „Markenchecks“ dort auch laufen würden. Die Produktion solch hochwertiger Angebote, die nötige umfangreiche Recherche und die Suche nach Interview-Partnern – das braucht, wie sie sich vorstellen können, Zeit.
Die Filme über Lidl & Co. prangern an. Ist Skandalisierung die Voraussetzung für eine erfolgreiche Reportage?
Monika Piel: „Skandalisierung“ ist kein Ziel, das bei uns in der ARD irgendeine Rolle spielt. Der „Markencheck“ ist ein journalistisches Qualitätsprogramm - bestens recherchiert, investigativ, informativ und verbraucher-freundlich. Das sind Attribute, die für mich wie für unser Profil in der ARD wichtig sind. Und damit wollen wir uns auch künftig eindeutig öffentlich-rechtlich positionieren. Hier geht es zudem um „Alltag“, um gelebte Erfahrung. Das ist sicher auch eine Erklärung für das große Zuschauerinteresse
Sind diese Reportagen eine Blaupause für weitere Werke dieser Art?
Monika Piel: Es spricht nichts dagegen, erfolgreiche Formate weiter zu produzieren und natürlich auch weiter zu entwickeln. Der „Markencheck“ hat das gezeigt, er war ja schon im WDR Fernsehen sehr erfolgreich. Aber journalistische Reportagen haben viele Facetten: Unter dem Label „Die Story“ werden wir auch künftig montags um 22.45 Uhr gesellschaftlich und politisch hoch relevante Themen senden: Oder hier bei uns im WDR „Menschen hautnah“– ein Reportage-Format über Lebensgeschichten und Schicksale – feinfühlig erzählt und nah, berührend und spannend – und doch nicht ohne journalistische Distanz.
Die Lidl-&-Co.-Reihe ist im WDR-Fernsehen entstanden. Werden die Dritten künftig wieder als Versuchslabor genutzt?
Monika Piel: „Versuchslabore“ ist nicht der richtige Ausdruck, denn die Dritten machen in erster Linie sehr erfolgreiche und qualitativ hochwertige regionale Programme. Das zeigen ja auch die hervorragenden Quoten. Aber natürlich sind die Programm-Macher dort offen für neue Ideen und neue Formate. Innovation ist für sie selbstverständlich und sehr verbreitet. So hat sich z.B. im WDR Fernsehen „Der Vorkoster“ mit Sternekoch Björn Freitag erfolgreich etabliert. Ein Format, das informiert und gut unterhält. Gleiches gilt für „Mein gutes Recht“ mit Marc Bator. Und klasse Formate der Dritten können selbstverständlich immer auch ein Thema für Das Erste werden. Schauen Sie z.B. neben der WDR-Sendung „Markencheck“ nur auf die Erfolgsstory von – ebenfalls im WDR entstanden - „hart aber fair“. Auch „Das fantastische Quiz des Menschen“ mit Dr. Eckhard von Hirschausen ist ein Format, das der WDR für Das Erste entwickelt hat.
Die „Tagesschau“ ist nicht mehr zwingend der Einstieg ins Abendprogramm des Ersten. Oft hat der 20.15-Uhr-Film eine bessere Quote als die ARD-Nachrichten. Ist eine Runderneuerung fällig?
Monika Piel: Da habe ich aber eine ganz andere Wahrnehmung – und die Zahlen bestätigen das: Die „Tagesschau“ ist unangefochtener Nachrichten-Marktführer: Täglich neun Millionen Zuschauer im Jahresschnitt 2011 und ein Marktanteil von 31,6 % für die 20-Uhr-Ausgabe belegen, dass die Sendung unverändert für die große Mehrheit der Zuschauer der Einstieg ins Abendprogramm ist. Damit ist die „Tagesschau“ im Ersten, aber in hohem Maße auch in den Dritten Programmen der ARD, doch wohl sehr erfolgreich.
Günther Jauch ist es am Sonntagabend wieder gelungen, sein Publikum im Vergleich zum „Tatort“ zu halbieren. Wie lange leistet sich die ARD diesen überbezahlten Polit-Talker?
Monika Piel: Wer glaubt, dass politische Gesprächssendungen am Sonntagabend ebenso viele Zuschauer erreichen können wie der „Tatort“ davor, hat keine genaue Vorstellung davon, wie Fernsehen funktioniert. Man kann Äpfel nicht mir Birnen vergleichen. Wir reden über ein anderes Genre, aber auch am Sonntagabend über eine ganz andere, weil spätere Sendezeit.
Die Erfahrungen der letzten sechs Jahre zeigen, dass der Publikumskreis unserer Gesprächssendungen schon immer in etwa die Hälfte des Krimi-Publikums erfasst hat. Dies war auch bei „Sabine Christiansen“ und „Anne Will“ der Fall. Und ähnlich verhält es sich bei „Günther Jauch“. Der hat bei seinen Sendungen seit September 2011 im Durchschnitt übrigens durchaus weit mehr als die Hälfte des Krimipublikums halten können.