Lüchow-Dannenberg. Gegen den Castor-Transport protestieren an diesem Wochenende tausende Demonstranten. Und jeder auf seine Art. Während die Bauern auf ihre unaufgeregt norddeutsche Art Anti-Atomkraft-Fahnen an Traktoren hissen, kommt es im Widerstands-Camp zu Ausschreitungen mit der Polizei.

Irgendwann an diesem Nachmittag ziehen sie einfach los, ganz als ob es ein geheimes Signal gegeben hätte. Mit Stroh gefüllten Säcke auf dem Rücken starten sie im benachbarten Städtchen Hitzacker, stapfen über Äcker, erklimmen den im Wald gelegenen Bahndamm und lassen sich innerhalb weniger Minuten auf den Gleisen nieder. „1800 Blockierende bei Harlingen“, wird der Castor-Ticker im Internet wenig später melden. Es ist der Beginn einer langen und kalten Nacht.

Castor-Transport Nr. 13. Der erste nach dem in Deutschland beschlossenen Atom-Ausstieg und voraussichtlich auch der letzte aus der Wiederaufbereitungsanlage im französischen La Hague. Morgens früh waren sie im Wendland noch unsicher gewesen: Wieviele mögen es wohl dieses Mal sein, die zum Demonstrieren kommen? Genug, um zu zeigen, dass ihr Widerstand auch jetzt nicht erlahmt? Doch da sind die Traktoren aus der Region um Lüchow-Dannenberg längst unterwegs. Zu Hunderten. Mit im Wind flatternden Anti-Atomkraft-Fahnen und den gelben X-en ihres Protests schieben sie sich über die Landstraßen, nähern sich Kilometer um Kilometer dem Kundgebungs-Gelände am Verladebahnhof von Dannenberg.

Unaufgeregter Protest in Dannenberg - Ausschreitungen in Metzingen

Seit Jahren schon protestieren sie auf ihre unaufgeregt norddeutsche Art. Und so ist es auch dieses Mal. Während es in der Nacht bei Metzingen zu Ausschreitungen zwischen Bewohnern eines Widerstand-Camps und der Polizei gekommen ist, während die einen Flaschen und Feuerwerksraketen einsetzten und die anderen sich mit Wasserwerfern und Schlagstöcken revanchierten, grenzt man sich in Dannenberg bewusst ab. „Das sind Bilder, die den seriösen Widerstand beschädigen“, sagt Wolfgang Ehmke, der Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg.

Bunt und friedlich wird es auch dieses Mal bei der Groß-Demo. Ein Meer aus roten Sonnen auf gelbem Grund zwischen veganer Bratwurst, Erbsensuppe, Waffeln und deutschem Reggae. Ein familiäres Fest. Von 23 000 Teilnehmern sprechen die Veranstalter, von lediglich 8000 die Polizei. Die Wahrheit wird irgendwo dazwischen liegen.

Biobäuerin aus Fukushima protestiert im Wendland

Tatsuko Okawara ist mitten unter ihnen, die Biobäuerin aus dem japanischen Fukushima. Nur 40 Kilometer von dem desolaten Atomkraftwerk entfernt kämpft sie um das Überleben ihres Hofes. Täglich misst sie die radioaktive Belastung ihrer Umgebung, immer bereit, ihr Land notfalls zu verlassen. Nun ist sie auf Einladung der Umweltschutzorganisation Greenpeace nach Lüchow-Dannenberg gekommen. „Ich will wissen, wie Deutschland es geschafft hat, sich direkt nach der Katastrophe von Fukushima von der Atomkraft zu verabschieden“, sagt die 57-Jährige.

Längst rollen die Traktoren auf das Gelände. Kleine, große, alte, hochmoderne. Mit gestandenen Bauern am Steuer, mit jungen Leuten, mit manchmal bis auf den letzten Platz besetzten Führerkabinen. Gefeiert, beklatscht wie Helden. Er hat etwas anrührend Trotziges, dieser Aufstand der Bauern. „Parole: Niemals aufgeben!“, schrieb einer von ihnen auf sein Transparent.

Die Scheiben von Elke Kneifels Traktor sind beschlagen, weil die 53-Jährige gleich die halbe Familie mitgebracht hat. Die Tochter und deren Kinder, ja selbst das drei Monate alte Baby. „Warum besteht man seit 35 Jahren auf Gorleben? Das ist doch alles Verarschung“, sagt Kneifel, die sich wie viele in der Region noch größere Sorgen macht, seitdem bekannt wurde, dass am Zaun des Zwischenlagers erhöhte Strahlenwerte gemessen wurden.

Bahngleise im Wendland an mehreren Stellen unterhöhlt 

Der Nachmittag ist noch jung, als andernorts drastischere Formen des Widerstands vorbereitet werden. Immer wieder wird an der Bahnstrecke "geschottert", gelingt es Demonstranten, Steine aus dem Gleisbett zu lösen, es zu unterhöhlen. Irgendwo entdecken Beamte eine massiv verbogene Bahnschiene. Und in Hitzacker sitzen sie längst auch auf der Strecke, die der Castor-Transport doch bald auf seinem Weg nach Lüchow-Dannenberg passieren muss.

Noch ist die Stimmung leicht, entspannt. Sie sind stolz, der Polizei ein Schnippchen geschlagen zu haben. Sie sind schneller gewesen, haben den Damm erreicht, bevor die Uniformierten sie daran hindern konnten. Und deshalb singen sie, zur Gitarre, beklatschen sich selbst. Noch hat es nicht zu dämmern begonnen. Viele Zwanzigjährige sitzen da auf den Schienen, dicht an dicht, ihre Schlafsäcke neben sich und Tee in Thermoskannen, Mandarinen im Beutel. Aber das ist beileibe nicht der Widerstand der ganz Jungen. Auch viele Ältere, oft erfahrene, längst ergraute Atomkraft-Demonstranten wollen auf diese Art widerstehen. Sie sind bereit, notfalls die ganze Nacht durchzuhalten. „Ich weiß noch nicht, was mich hier letztendlich vertreiben wird. Ob es die Kälte sein wird oder die Polizei“, sagt die 56-jährige Ulrike aus Hessen. „Wir sind die 60er-Fraktion!“, ruft eine ältere Frau hinter ihr, betonend, sie sei seit über 30 Jahren dabei.

Viele kennen diese Stelle im Wald, harren hier nicht zum ersten Mal aus. Und auch ihre Gegner, die Polizisten in voller Montur und Schutzhelm, die sich auf beiden Seiten des Bahndamms positionieren, kennen dieses Katz-und-Maus-Spiel. Sie wissen, was sie erwartet. Eine lange, kalte Nacht. Und wenn es gut ausgeht, verlassen bis zum Morgen viele der Besetzer freiwillig den unwirtlichen Ort, lassen sich die ganz harten von ihnen davontragen. Wenn nicht, werden die Beamten womöglich ihre Schlagstöcke einsetzen oder Pfefferspray. Jetzt jedenfalls wird es dunkel, und es beginnt leicht zu regnen. Widerstand kennt schönere Momente.