Berlin. Nach der Wahlniederlage gilt SPD-Chef Franz Müntefering als angeschlagen. In der Partei werden Stimmen laut, die seinen Rückzug fordern. Besonders die NRW-SPD scheint Müntefering die Rückendeckung aufzukündigen. Er hat nun erstmals einen Verzicht auf den Parteivorsitz angedeutet.

Der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering macht den Weg für einen personellen Neuanfang an der Spitze der Partei frei. Nach Sitzungen der SPD-Gremien am Montag in Berlin sagte Müntefering indirekt, dass er bei dem Parteitag Mitte November in Dresden für eine neue Amtszeit nicht mehr kandidieren werde. Führende SPD-Politiker, darunter Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, forderten einen neuen Umgang mit der Linkspartei.

Auf die Frage, ob es richtig sei, dass er auf dem Parteitag im November nicht erneut antreten wolle, sagte Müntefering nach einer Sitzung des SPD-Vorstandes am Montag in Berlin: «Sie können davon ausgehen, dass sie nahe an der Wahrheit sind mit Ihren Worten.» Müntefering bekräftigte aber, dass über das künftige Personaltableau erst innerhalb der kommenden beiden Wochen entschieden werden solle. Es habe in der Vorstandsitzung zwei konkrete Aufforderungen an ihn gegeben, sein Amt niederzulegen; es habe aber niemand «etwas Endgültiges gesagt», fügte er hinzu.

Rücktrittsforderungen

Jochen Ott will einen neuen Parteichef. Foto: ddp
Jochen Ott will einen neuen Parteichef. Foto: ddp © ddp

Der stellvertretende SPD-Landeschef Jochen Ott hatte nach dem Debakel seiner Partei bei der Bundestagswahl einen «Neuaufbau» der SPD gefordert. «Nach dieser Wahlniederlage muss nun die nächste Generation in der SPD die Führung übernehmen. Die SPD muss entstaubt und verjüngt werden. Ich gehe davon aus, dass wir auf dem kommenden Bundesparteitag einen neuen Vorsitzenden wählen», sagte Ott am Montag auf ddp-Anfrage. Welcher Politiker aus der jüngeren SPD-Generation auf Parteichef Franz Müntefering folgen soll, ließ der Unterbezirksvorsitzende der SPD in Köln offen.

«Wir müssen die SPD jetzt wieder neu aufbauen. Wir in Köln haben Erfahrung damit. Es wird ein harter Weg, der vier oder acht Jahre dauern kann», sagte Ott weiter. Wichtig sei, «dass die SPD wieder positive Projekte vertritt und nicht nur sagt, wogegen sie sich abgrenzt und was sie verhindern will». Die SPD sei «weiter Volkspartei, wir müssen die Partei sein, die diese Gesellschaft zusammenhält», sagte der NRW-SPD-Vize.

Juso-Landeschef Christoph Dolle verlangte ebenfalls eine inhaltliche und personelle «Runderneuerung» der SPD. Die Genossen hätten am Wahlsonntag einen «Schock» erlebt. Notwendig sei nun auch ein «neuer Stil» in der Sozialdemokratie. Ritualisierte Fehden zwischen den Parteiflügeln seien der falsche Weg.

«Müntefering ist nicht mehr zu halten», hieß es am Montag aus dem Landesvorstand der nordrhein-westfälischen SPD. NRW-SPD-Chefin Hannelore Kraft hatte am Sonntagabend ausweichend auf die Frage geantwortet, ob Müntefering Parteivorsitzender bleiben kann.

Müntefering: Rückzug kommt jetzt nicht infrage

Franz Müntefering selbst hatte am Morgen eine inhaltliche und personelle Erneuerung der Partei innerhalb der nächsten zwei Monate angekündigt. Man werde «über Inhalte, über Personen, über Konstellationen» sprechen müssen, sagte er am Montag im Deutschlandfunk. Das sei unter anderem in Vorbereitung auf den Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen im nächsten Jahr nötig. Bis zum Parteitag Mitte November wolle man «eine Konstellation haben nach Inhalt, Mannschaft und Frauschaft, die die Partei nach vorne bringt».

Zu seiner persönlichen Rolle in einer erneuerten SPD äußerte sich Müntefering nicht eindeutig. Er bekräftigte lediglich, dass ein Rückzug zum jetzigen Zeitpunkt für ihn nicht infrage kommt. «Ich bin Parteivorsitzender, ich stelle mich der Aufgabe, es gehört nicht zu meinen Eigenarten, wegzulaufen, wenn es kritisch ist, wenn es schwierig ist», sagte er. «Ich will alles dazu beitragen, dass die sozialdemokratische Idee in Deutschland eine Zukunft hat.»

Gilt als aussichtsreicher Nachwuchs: die stellvertretende SPD-Vorsitzende Andrea Nahles. Foto: ap
Gilt als aussichtsreicher Nachwuchs: die stellvertretende SPD-Vorsitzende Andrea Nahles. Foto: ap © AP

Auch Generalsekretär Hubertus Heil plädierte für eine personelle Erneuerung der Partei. «Ich glaube, dass in den letzten Jahren deutlich geworden ist, dass auch eine jüngere Generation in der SPD zur Verfügung steht», sagte er im ARD-Morgenmagazin. «Nach der Enkel- und 68er-Generation gibt es eine Menge, die jetzt auch in den Ländern Verantwortung übernehmen.»

Heil betonte, auch in Berlin gebe es «eine ganz gute junge Garde». «Wir haben eine gute Generationenmischung. Die SPD wird sich jetzt unterhaken müssen, damit unsere Idee sich behaupten kann.

Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Andrea Nahles trat für eine gründliche Analyse der Niederlage ihrer Partei ein. Die SPD habe «einen massiven Vertrauensverlust» bei den Wählern erlitten, der in den nächsten Monaten aufgearbeitet werden müsse, sagte Nahles am Montag in der ARD. Dies werde «kein Sprint, sondern ein Mittelstreckenlauf». Bei der Diskussion dürfe es nicht nur um Personalfragen gehen. «Was wir jetzt nicht gebrauchen können, ist, dass unsere Partei auseinanderfällt», warnte Nahles.

Die SPD habe den Wählern offenbar viele Themen wie den Mindestlohn oder den Atomausstieg nicht richtig vermitteln können.

Gabriel: SPD muss sozialer und ökologischer werden

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel forderte Konsequenzen für das Profil der Partei. «Die SPD muss ihre Politik sozialer und ökologischer ausrichten», sagte Gabriel. Viele Wähler hätten offenbar das Gefühl, «dass die SPD ihren Lebensalltag nicht mehr kennt». Das müsse die Partei ändern. Gleichzeitig müsse die Umweltpolitik stärker ein Anliegen der gesamten SPD sein.

Gabriel begrüßte zudem die Ankündigung von SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier, für den SPD-Fraktionsvorsitz zu kandidieren. Steinmeier habe dafür eine große Unterstützung in der Partei und der Fraktion.

Jusos fordern auch personelle Konsequenzen

Juso-Chefin Franziska Drohsel sagte der «Leipziger Volkszeitung», wichtig sei nach dem miserablen Wahlergebnis im Bund eine «ehrliche und schonungslose Ergebnisanalyse». «Wir müssen klären, wo die SPD in Zukunft im Parteiensystem stehen soll und wie wir es schaffen können, die Glaubwürdigkeitslücke zu schließen», sagte sie der Zeitung. Auf dem Bundesparteitag müssten daher auch personelle Fragen diskutiert werden.

Die SPD hatte bei der Wahl desaströs abgeschnitten. Die Sozialdemokraten stürzten auf einen historischen Tiefstand von 23,0 Prozent (2005: 34,2 Prozent) ab. Dies ist das mit Abstand schlechteste Ergebnis für die Sozialdemokraten bei einer Bundestagswahl und zugleich das größte Minus einer Partei innerhalb einer Legislaturperiode. Steinmeier räumte eine «bittere Niederlage» ein.

Zugleich kündigte Steinmeier an, für den Fraktionsvorsitz im Bundestag zu kandidieren. SPD-Chef Franz Müntefering ließ seine künftige Rolle in der Partei zunächst offen. Am Montag werde die Diskussion bei der SPD beginnen, sagte er im ZDF. Der rheinland-pfälzische SPD-Chef Kurt Beck plädierte im «Tagesspiegel» dafür, gemeinsam einen Vorschlag für einen neuen Parteichef zu erarbeiten.

Parteienforscher: Steinmeier muss auch SPD-Chef werden

In der Debatte um personelle Konsequenzen in der SPD plädiert der Göttinger Parteienforscher Peter Lösche dafür, dass Steinmeier auch das Amt des Parteivorsitzenden übernehmen sollte. Lösche sagte der «Berliner Zeitung», der jetzige SPD-Chef Müntefering sei in einem Alter, in dem man keine Partei mehr führen sollte. Gleichzeitig sei die kommende Generation in der SPD, vertreten durch Berlins Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit, Umweltminister Sigmar Gabriel und Vize-Parteichefin Andrea Nahles, noch nicht so weit, Verantwortung für die Gesamtpartei zu tragen.

Die Niederlage der SPD führt Lösche unter anderem darauf zurück, dass die Wähler die Partei weiterhin mit der Agenda 2010 identifizierten. Hinzu komme die Konkurrenz mit der Linkspartei und nicht zuletzt mit der Union, die sich sozialdemokratisch profiliert habe. Als künftige Strategie empfahl Lösche der SPD eine Abgrenzung von der Linkspartei. «Die SPD muss ihre eigene Identität bewahren. Sie kann nicht das nachbeten, was die Linkspartei vorbetet.» (afp/ddp)