Berlin. Abrechnung bei der SPD: Heil und Steinbrück geben auf - Steinmeier will nicht Parteivorsitzender werden. Und auch SPD-Chef Müntefering verzichtet nach der desaströsen Wahlniederlage auf den Parteivorsitz. Jetzt stehen Gabriel und Nahles auf dem Sprung. Wowereits Name fällt bei allen Posten.

Zwei Tage nach der historischen Niederlage bei der Bundestagswahl hat in der SPD eine beispiellose Abrechnung begonnen. Generalsekretär Hubertus Heil warf schon vor der Fraktionssitzung am Dienstag das Handtuch, dann kündigte Parteivize Peer Steinbrück den Rückzug von allen Ämtern an, und Ex-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier verzichtete schon vor seiner Wahl zum Fraktionschef auf den Parteivorsitz. Als Favorit für dieses Amt gilt jetzt der derzeitige Umweltminister Sigmar Gabriel.

SPD-Chef Franz Müntefering verzichtet auf den Parteivorsitz. Das erfuhr die Nachrichtenagentur AFP am Dienstag aus Fraktionskreisen in Berlin. Müntefering hatte bereits am Montag nach der desaströsen Wahlniederlage der SPD deutlich gemacht, dass er bereit sei, nicht mehr für den Posten des Parteichefs zu kandidieren. Als Nachfolger ist Bundesumweltminister Sigmar Gabriel im Gespräch.

Als neue Generalsekretärin ist die bisherige stellvertretende Parteivorsitzende Andrea Nahles im Gespräch. Vorausgegangen war eine Resolution der Berliner SPD, in der die Rücktritte der alten Garde aus Steinmeier, Steinbrück und Müntefering verlangt und ein personeller Neuanfang gefordert worden waren.

Wowereit und Kraft als neue Parteivize

In der künftigen SPD-Spitze sind nach Informationen von «Bild.de» als Gabriels Stellvertreter Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit und die Vorsitzende der nordrhein-westfälischen SPD, Hannelore Kraft, vorgesehen. Nach ddp-Informationen ist auch Wowereit selbst um eine bundesweite «Konsenslösung» für die SPD-Spitze bemüht, in der sich die gesamte Partei wiederfindet. Mehrere Spitzengenossen haben demnach Wowereit gedrängt, selbst den Parteivorsitz zu übernehmen. Die WAZ-Mediengruppe meldete, auch Bundesarbeitsminister Olaf Scholz werde als Stellvertreter gehandelt. Müntefering hatte am Montag für übernächste Woche ein Personaltableau angekündigt. Die neue Führungsriege soll auf dem Parteitag Mitte November in Dresden etabliert werden.

In ihrer Resolution kritisierten die Berliner Sozialdemokraten, wesentliche Akteure in der SPD wie Steinmeier, Steinbrück und Müntefering seien untrennbar mit der Agenda-Politik ab 2003 beziehungsweise der abgewählten Großen Koalition verbunden. «Bei der notwendigen Neuaufstellung der SPD für die kommenden Jahre ist daher ein glaubwürdiger Neuanfang nur möglich, wenn es auch zu personellen Veränderungen an der Parteispitze kommt.»

Wenn auch die Rücktritte und die neuen Köpfe bereits einen Linksruck in der SPD nahelegen, ist offiziell noch unklar, welchen Kurs die Partei künftig fährt. Der Berliner Landesverband warb für rot-rote Koalitionen und plädierte dafür, der Linkspartei außenpolitische Verlässlichkeit und ökonomische Rationalität abzufordern.

Auf mehrere Schultern

Der scheidende Außenminister Steinmeier, der sich nach der Wahlniederlage selbst als Oppositionsführer und damit als Fraktionschef beworben hatte, begründete seinen Verzicht auf das Amt des Parteichefs damit, die Verantwortung in Partei und Fraktion solle auf mehrere Schultern verteilt werden. Tatsächlich hätte er wegen seiner Vergangenheit als Architekt der Agenda 2010 kaum hinreichend Unterstützung der Parteilinken bekommen, die diese Politik für die Wahlniederlage mitverantwortlich macht.

Finanzminister Steinbrück begründete seinen Rückzug von allen Parteiämtern damit, dass er Platz für Jüngere machen wolle. Sein Bundestagsmandat will er jedoch wahrnehmen. «Ich bin 16 Jahre lang Landesminister, Ministerpräsident und Bundesminister gewesen. Ich hoffe auf ein gewisses Verständnis, dass ich danach etwas freier über meine Zeit verfügen möchte», sagte er.

Auch Heil will sein Mandat wahrnehmen. Er wurde in Gifhorn direkt gewählt. Die Amtsgeschäfte als Generalsekretär will er bis zum Parteitag weiterführen. Er war im November 2005 in das Amt gewählt worden. (ap/afp)