Berlin. Nach der deutlichen Niederlage hat Kanzlerkandidat Frank Walter Steinmeier angekündigt, "nicht aus der Verantwortung fliehen" zu wollen. Der Stuhl von Parteichef Franz Müntefering wackelt indes. Insbesondere die SPD-Linken fordern personelle Konsequenzen.

"Gerade an diesem bitteren Abend werde ich nicht aus der Verantwortung fliehen", sagte SPD-Kanzlerkandidat Frank Walter Steinmeier. Zuvor, nur wenige Minuten nach 18 Uhr, hatte ihn bereits der scheidende Fraktionschef Peter Struck als seinen Nachfolger angekündigt. Die Eile, die die beiden an den Tag legten, kam nicht von ungefähr: So wurden, noch bevor sich die neue SPD-Bundestagsfraktion formieren konnte, schon einmal Tatsachen geschaffen. Und all jenen Abgeordneten aus dem linken Lager, die die Gunst der Stunde für ihre eigenen Zwecke nutzen könnten, zunächst einmal der Wind aus den Segeln genommen

Jusos sehen Glaubwürdigkeitsproblem

Wie die SPD-Linke mit dem desaströsen Ergebnis umgehen wird, bleibt abzuwarten. "Wir haben ein echtes Glaubwürdigkeitsproblem", sagte die Juso-Vorsitzende Franziska Drohsel. Die Partei müsse sich nun "inhaltlich und strategisch erneuern". Welche personelle Konsequenzen das mit sich bringen müsse, dazu wollte Drohsel am Wahlabend noch nichts sagen. Jetzt gehe es darum, "das Ergebnis erst einmal sacken zu lassen". Der SPD-Linke Björn Böhning sagte, nun müsse diskutiert werden, "wie ein Erneuerungsprozess aussehen kann". Böhning hob hervor: "Ein 'Weiter so' kann es sicher nicht geben."

Auch im sozialdemokratischen Kernland NRW wächst nach der verlorenen Bundestagswahl der Druck auf die Parteispitze. Der Gelsenkirchener Oberbürgermeister und Chef der Ruhrgebiets-SPD, Frank Baranowski, hat von einer "bitteren Niederlage" der Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl gesprochen. Es handele sich bei der Wahlpleite "allerdings nicht um einen Betriebsunfall", sagte Baranowski in Gelsenkirchen. "Deshalb muss jetzt ein geordneter Prozess der personellen und inhaltlichen Neuaufstellung organisiert werden", forderte er.

Auch Kurt Beck spricht sich für personelle Konsequenzen aus

Nach der bitteren Niederlage spricht sich ebenfalls der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) für personelle Konsequenzen an der Parteispitze aus. "Ich bin dafür, dass wir miteinander einen Vorschlag erarbeiten", sagte Beck dem Berliner "Tagesspiegel" (Montagausgabe) auf die Frage, ob SPD-Spitzenkandidat Frank Walter Steinmeier den Vorsitz übernehmen sollte.

Im Wartestand für höhere Aufgaben: Andrea Nahles. (Foto: ap)
Im Wartestand für höhere Aufgaben: Andrea Nahles. (Foto: ap) © AP

Personelle Konsequenzen gab es zumindest am Wahlabend noch nicht. Viele im Foyer der SPD-Zentrale hatten erwartet, dass Müntefering sofort die Verantwortung für den Absturz der Partei übernehmen würde. Doch der Parteichef, der wie versteinert neben Steinmeier auf der Bühne stand, beließ es bei ein paar knappen Sätzen. Mit Blick auf den Parteitag Mitte November appellierte er an die Geschlossenheit der SPD: "Ich bin sicher, dass alle dafür sorgen, dass wir beieinander bleiben." Dass der 69-Jährige, wie er es zuvor mehrfach angekündigt hatte, dann noch einmal als Parteichef kandidieren würde, konnte sich an diesem Abend im Willy-Brandt-Haus jedenfalls kaum jemand vorstellen.

Gabriel, Scholz, Wowereit und Nahles als Personal mit Zukunft gehandelt

Als Personal mit Zukunft gelten in der SPD trotz des bitteren Wahlausgangs die Bundesminister Sigmar Gabriel und Olaf Scholz, die mit 50 beziehungsweise 51 Jahren allerdings nur unwesentlich jünger als Steinmeier sind. Ebenfalls im Wartestand für höhere Aufgaben sehen Beobachter den parlamentarischen Geschäftsführer Thomas Oppermann, den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, sowie die stellvertretende SPD-Chefin Andrea Nahles. Beide werden dem linken Parteiflügel zugerechnet und könnten mittel- bis langfristig eine Öffnung hin zur Linkspartei einleiten, um der SPD neue Bündnisoptionen zu erschließen.

Die Angst vor einem Auseinanderbrechen der SPD, sollte sie in der Opposition landen, hatte Franz Müntefering schon im Wahlkampf immer wieder geäußert. "Opposition ist Mist" war sein Credo der vergangenen Jahre. Jetzt muss die SPD sehen, was sie in den nächsten vier Jahren daraus macht. (ap/afp/ddp)