Bochum. Die Bundestagswahl lässt die Gäste der Kneipe Alt-Riemke in Bochum kalt. Das Gespräch in der einstigen SPD-Hochburg dreht sich um Kassengestelle und Kreisliga.

Am Morgen nach der Wahl geht es in der Kneipe „Alt-Riemke” um die gute alte Zeit. „Und wenne gut gespielt hass', hasse von den Leuten auch maa'n Bier gekricht”, sagt Rentner zu Rentner. Oder, zwei Sitze weiter an der Theke: „Ich hab' ne neue Brille bestellt und soll jetzt 14 Tage warten!” Antwort: „Hömma, bis Deine Glasbausteine auch geschliffen sind . . .” Und noch einer kommt rein. „Helmut, wie iss?” So, so eine Kneipe ist dieses „Alt-Riemke”. Nur tagsüber geöffnet, ein einziger Raum, viel dunkles Holz, es darf geraucht werden – und wenn es ein Thema nicht gibt am Morgen nach der Wahl, dann ist es Politik.

41,3 Prozent in der einstigen Hochburg

Kreisliga und Kassengestelle „sind vielleicht für die Leute wichtigere Dinge als Politik”, sagt der Gast Dieter Burghoff (58). Der Versicherungskaufmann hatte von der Wahl eine „Katastrophe” erwartet, und so ist es aus seiner Sicht gekommen. Wobei: „Ich bin von Haus aus SPD-Wähler, aber ich habe jetzt gesagt, dass ich die nicht mehr wählen kann.” So fand Burghoff zur Linken: „Wenn ich der Linken glauben darf, treten die für mich ein, die Frage ist, was sie tun, wenn sie die Möglichkeit dazu haben.” Der Mann ist politisch interessiert und als Wahlhelfer aktiv gewesen am Sonntag und doch mit den Jahren skeptisch geworden: „Kein Politiker kann noch ja oder nein sagen, sogar heute im Frühstücksfernsehen nicht, also sogar nach der Wahl nicht!”

Riemke, im Bochumer Norden. Wenn man die zersprengte Basis der SPD suchte: Der Weg führte gut nach Riemke. Arbeitervorort. Hätte Grönemeyer ein Lied ,Riemke' geschrieben, dann hieße es darin vielleicht „Vor Arbeit ganz grau . . . hier, wo das Herz noch zählt . . . wer wohnt schon in Düsseldorf?” SPD-Festung ehedem, doch verglichen mit 2005 gingen im Bochumer Norden 2500 Menschen weniger wählen, mehr als jeder Zehnte, und die SPD rutschte bei den Zweitstimmen von 54,5 auf 41,3 Prozent. Und wohlgemerkt, die 54,5 Prozent von 2005 galten schon als scheiße gelaufen. Ja, so hart empfand die Partei das.

Brandt und Schmidt fehlen

SPD-Wähler von Haus aus war auch Willi Müller* mal, Maler gelernt, Opel gearbeitet, jetzt das achte Jahr in Rente; mit 65 Jahren ist Müller am Sonntag vom Stamm- zum Nichtwähler geworden. „Ganz ehrlich, hat mich nicht interessiert”, sagt Müller; in der Politik von heute vermisst er markante Typen. „Solche Politiker wie Willy Brandt oder Helmut Schmidt finden Sie heute nicht mehr”, sagt er, „Willy Brandt hat doch in den 70er-Jahren die größte Lohnerhöhung durchgedrückt”. Superjahre waren das, „die besten, da müsste man ein paar Schritte hin zurück”. Aber heute „versteht ja kein Politiker mehr was von Wirtschaft, alles Schullehrer, nichts gegen Schullehrer . . . Guttenberg ist die einzigste Kanone, die ich akzeptier', ob CDU, ist mir egal”.

Zumindest plakativ hat heute die Linke den Riemker Marktplatz im Griff. Da hängt vor der katholischen Kirche ein einziger Frank-Walter Steinmeier, aber „Hartz IV abwählen” hängt praktisch an jedem Baum. Wirkungstreffer sind das doch. „Der Absturz fing an, Punkt eins: Agenda 20/10”, sagt einer an der Theke, oder: „Der Steinmeier war das doch noch mehr als der Schröder . . . Totale Erneuerung, sonst haben die keine Chance.” Da sind sie sich einig, egal, ob bei Wasser oder Korn, bei Kaffee oder Bier. Wobei die Wirtin Sylvia Barann eigentlich gar nicht gerne sieht, wenn das Tresen-Thema Politik auftaucht: „Gibt eigentlich immer nur Stress und Ärger.”

„Ich geb da nichts drauf, ich krieg' meine Rente”

An der Ecke der Theke sitzt ein alter Mann, ein SPD-Wähler, jeden Arbeiterberuf hat er gemacht, „13 Jahre Pütt darunter”: 60 Jahre hat Günter Pukowski* also die SPD gewählt und wird das jetzt auch nicht mehr ändern. „Aber mein Junge, der hat eine Gaststätte in Weitmar, auch SPD-Hochburg, der wählt den Lafontaine”, sagt er.

Die Wahl von Sonntag hat ihn dennoch nicht getroffen: „Ich geb' da heute nichts mehr drauf, ich krieg' meine Rente, ich bin satt und kann mir ein Bier kaufen.” Dann muss er heim, denn zu Hause steht das Mittagessen auf dem Tisch. Während Pukowski sich aufrichtet und langsam zur Tür geht, sagt sein Thekennachbar: „Aber schreib' auch auf, der hat maa'n Elfmeter verschossen . . .”

* Name geändert