Hamburg. Vor der Bundestagswahl dürfen CDU und CSU offenbar auf viele Überhangmandate hoffen. Wie Politikwissenschaftler festgestellt haben, wächst so die Wahrscheinlichkeit einer schwarz-gelben Mehrheit beträchtlich. Das Bundesverfassungsgericht rügt die Regelung als Verstoß gegen das Grundgesetz.

CDU und CSU können bei der Bundestagswahl am 27. September möglicherweise mit einer sehr hohen Zahl an Überhangmandaten rechnen. Nach einer Simulation von Politikwissenschaftlern der Universität Friedrichshafen wächst dadurch die Wahrscheinlichkeit einer schwarz-gelben Mehrheit beträchtlich. Überhangmandate fallen an, wenn eine Partei in einzelnen Bundesländern mit der Erststimme mehr Direktmandate erobert, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis insgesamt Sitze zustehen.

Das Bundesverfassungsgericht hat die entsprechenden gesetzlichen Regelungen bereits im vergangenen Jahr als Verstoß gegen das Grundgesetz gerügt. Allerdings ließen die Karlsruher Richter Bundestag und Bundesrat eine weit über die Wahl im September hinaus gehende Frist zur Neuregelung bis zum Jahr 2011. Forderungen von SPD, Grünen und Linken, das Gesetz dennoch vor der Wahl zu ändern, scheiterten bislang am Widerstand von CDU/CSU und FDP.

Das Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» berichtete am Samstag vorab über Schätzungen mit Computersimulationen des Friedrichshafener Politik-Professor Joachim Behnke. Danach dürfte die Union bei der Bundestagswahl wegen der Überhangmandate weit mehr Sitze erhalten, als ihr nach dem Prozentergebnis der Zweitstimmen zustünden.

Den Berechnungen zufolge könnten am 27. September so viele Zusatzsitze anfallen wie noch nie. Dabei würde die SPD, selbst wenn sie zwei Prozentpunkte besser abschneidet als in den aktuellen Umfragen, im Schnitt nur zwei bis drei Überhangmandate erhalten, die CDU dagegen 21, und selbst die CSU käme erstmals in ihrer Geschichte auf drei zusätzliche Sitze.

Historisch einmalige Situation

Die Wahrscheinlichkeit, dass es für Schwarz-Gelb zur Regierungsbildung reicht, liegt laut Behnke ohne Berücksichtigung von Überhangmandaten bei derzeit 66 Prozent, mit bei knapp 90 Prozent. Grund dafür sei eine «historisch einmalige Situation»: Die Union erreicht aktuell in Umfragen nur 36 Prozent, und ist damit so weit unter der 50-Prozent-Marke wie erst einmal zuvor eine stärkste Partei bei einer Wahl. Dennoch hat sie einen zweistelligen Vorsprung vor der SPD als der zweitstärksten Partei. Genau diese Konstellation begünstige die Bildung von Überhangmandaten dramatisch zugunsten der stärksten Partei.

Nach dem «Spiegel»-Bericht halten es deshalb auch der Heidelberger Wahlexperte Dieter Nohlen und der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner, nach jetzigem Stand für sehr wahrscheinlich, dass die Union einseitig von den Überhangmandaten profitiert. Der Bundestag soll am Freitag über einen Gesetzentwurf der Grünen zur Reform des Bundeswahlrechts abstimmen. Dieser zielt darauf ab, Überhangmandate künftig weitgehend zu verhindern, indem die verschiedenen Landesergebnisse einer Partei miteinander verrechnet werden. Sie könnten damit eigentlich nur noch bei der CSU anfallen, da diese ausschließlich in Bayern antritt.

Nach Behnkes Simulationen mindert ein so reformiertes Wahlrecht die Wahrscheinlichkeit für eine Schwarz-Gelb-Mehrheit auf rund 70 Prozent. Die Forderungen nach einer sofortigen Wahlrechtsänderung mit Blick auf das Karlsruher Urteil begründen auch SPD und Linke damit, dass Überhangmandate in besonderen Konstellationen den Wählerwillen ins Gegenteil verkehren könnten.

Bei der letzten Bundestagswahl waren 16 Überhangmandate angefallen, davon neun für die SPD und sieben für die CDU. Der Bundestag wuchs deshalb von 598 auf 614 Abgeordnete. (ap)

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