Berlin. Die Bundestagswahl sorgt schon vorab für einen fragwürdigen Rekord. Meinungsforscher rechnen fest damit, dass die Zahl der so genannten Überhangmandate so hoch sein wird wie nie zuvor. Was im Extremfall zu einer Verfälschung des Wählerwillens führen könnte.
Hauptnutznießer würden voraussichtlich CDU und CSU sein. Denkbare Konsequenz: Union und FDP könnten selbst dann mit einer Mehrheit der Sitze im Parlament rechnen, wenn sie gemeinsam deutlich unter 50 Prozent der Zweit-Stimmen blieben.
Überhangmandate entstehen dann, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr direkt gewählte Abgeordnete über die Erst-Stimmen bekommt, als ihr nach dem Anteil ihrer Zweit-Stimmen zustehen.
Meinungsforscher erwartet "Schwemme"
Richard Hilmer, Chef des Meinungsforschungsinstituts infratest dimap, erwartet für den Wahlsonntag geradezu eine „Schwemme” von Überhangmandaten. Seine vorausgesagte Untergrenze: 20 Sitze. Bislang waren 16 im Jahr 2005 Rekord. Auf Basis aktueller Untersuchungen erwarten die Umfrage-Institute 16 Überhangmandate für die Union, vier für die SPD.
Nach internen Berechnungen von infratest dimap könnten Union und FDP demnach bereits bei einem Zweitstimmenanteil von 46 Prozent die Wahl gewinnen, weil die Lücke voraussichtlich durch Überhangmandate ausgeglichen würde.
Sieg trotz Niederlage
Um was geht es genau bei den Überhangmandaten?
Die Hälfte aller 598 Bundestagsmandate wird in Wahlkreisen vergeben. Und zwar nach den Kriterien der Mehrheitswahl. Das heißt: Gewonnen hat der Direktkandidat, der mehr Erst-Stimmen gezogen hat als jeder seiner Mitbewerber. Er darf auf jeden Fall ins Parlament einziehen. Aber: Die Gesamtzahl der Mandate, die einer Partei zustehen, bemisst sich nach der Zahl der Zweit-Stimmen. Mit ihr werden jene Kandidaten der Parteien gewählt, die auf einer Landesliste zusammengefasst sind. Je weiter vorne ein Kandidat auf der Liste steht, desto größer seine Chance, in den Bundestag einzuziehen.
Wann entstehen Überhangmandate?
Wenn der Anteil an Direktmandaten, den eine Partei in einem Bundesland erringt, mehr als doppelt so hoch ausfällt wie ihr Zweitstimmenanteil in diesem Land, ist der Boden für Überhangmandate bereitet.
Wie war es früher?
Ausgewogen. In der Summe haben beide Volksparteien ungefähr gleich von Überhangmandaten profitiert. Von 1949 bis 2005 kam die Union nach Angaben von Wahlforschern bei Bundestagswahlen auf 38 Zusatz-Sitze, die SPD auf 34.
Was erwarten die Meinungsforscher für 2009?
Hauptnutznießer werden voraussichtlich CDU und CSU sein. Denkbare Konsequenz: Union und FDP könnten auch dann mit einer Mehrheit der Sitze im Parlament die Regierung Merkel/Westerwelle stellen, wenn sie am Wahlabend gemeinsam deutlich unter 50 Prozent der Zweit-Stimmen bleiben. Richard Hilmer, Chef des Meinungsforschungsinstituts infratest dimap, erwartet für den Wahlsonntag geradezu eine „Schwemme” von Überhangmandaten. Seine vorausgesagte Untergrenze: 20 Sitze. Bislang waren 16 im Jahr 2005 Rekord. Damals kam die SPD auf neun Extra-Sitze, die Union auf sieben.
Mit welcher Verteilung wird diesmal gerechnet?
Auf Basis aktueller Umfragen, die allesamt eine eklatante Schwäche der SPD ausweisen, erwarten die Umfrage-Institute eine komplette Verschiebung: 16 Überhangmandate für die Union, vier für die SPD, lauten die gängigsten Vorhersagen. Nach internen Berechnungen könnten Union und FDP demnach bereits bei einem Zweitstimmenanteil von 46 % die Parlamentsmehrheit gewinnen, weil die Lücke voraussichtlich durch Überhangmandate ausgeglichen würde. In SPD-Kreisen betrachtet man das Szenario mit Sorge.
Ist das eigentlich laut Wahlrecht statthaft?
Das Bundesverfassungsgericht hatte das Prinzip Überhangmandate 2008 teilweise für verfassungswidrig erklärt. Für eine Änderung des Wahlrechts gab das oberste Gericht dem Bundestag jedoch bis 2011 Zeit. SPD, Grüne und Linke wollten schon früher eine Reform herbeiführen, die Union nicht.
Haben Überhangmandate in der Vergangenheit Wahlen entschieden?
Ja. 1994 hatte die CDU zwölf Überhangmandate errungen, die SPD vier. Helmut Kohl (CDU) erhielt 1994 bei seiner letzten Wiederwahl als Kanzler im Bundestag 338 Stimmen, er benötigte mindestens 337. 2002 gab es zwischen Union und SPD einen hauchdünnen Unterschied von nur 6027 Zweitstimmen. Nur die Überhangmandate sicherten der SPD mit 251 zu 248 Sitzen auf Unionsseite den Status der stärksten Fraktion.
Wie eng war das Zweitstimmen-Verhältnis der großen Parteien zuletzt?
Sehr eng. Bei der Bundestagswahl 2005 kam die Union auf 35,17 Prozent der Zweitstimmen, die SPD auf 34,25. 2002 war es noch knapper. Für die regierenden Sozialdemokraten stimmten 38,52 Prozent, für die Union 38,51. 2005 betrug der Vorsprung der beiden Schwesterparteien CDU und CSU vor der SPD exakt 436 389 Zweitstimmen – 0,92 Prozentpunkte.
Können die Parteien uneingeschränkt auf Überhangmandate bauen?
Nein. Wenn Bundestagsabgeordnete mit einem Direktmandat aus dem Parlament ausscheiden, deren Partei in ihrem Bundesland Überhangmandate hat, gibt es keinen Nachrücker.