Berlin. Im Streit über die Reform des Wahlrechts will die SPD am Freitag im Bundestag offenbar nicht für einen Gesetzesantrag der Grünen stimmen, der die Überhangmandate weitgehend abschafft. Die SPD bleibe der Koalition mit der Union treu, hieß es am Montag aus Kreisen der Parteispitze.

Im Streit über die Reform des Wahlrechts will die SPD am Freitag im Bundestag offenbar nicht für einen Gesetzesantrag der Grünen stimmen, der die Überhangmandate weitgehend abschafft. Aus Kreisen der SPD-Bundesspitze in Berlin hieß es am Montag, die SPD halte sich an den Koalitionsvertrag mit CDU/CSU und sei koalitionstreu.

Doch müsse die Union erklären, weshalb sie auf Basis eines verfassungswidrigen Wahlrechts in die Bundestagswahl gehen wolle. «Das Risiko für die Demokratie ist offenkundig», hieß es den Kreisen zufolge.

Zuvor hatte der parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, in der «Frankfurter Rundschau» nicht ausgeschlossen, dass seine Fraktion für den Grünen-Antrag und damit gegen den erklärten Willen der Unionsfraktion stimmt. Er hege «große Sympathien» für das Vorhaben, sagte Oppermann. Der Koalitionsvertrag der Großen Koalition verlangt ein gemeinsames Abstimmungsverhalten von SPD und Union.

"Verfassungswidrige Gesetze müssen geändert werden"

Grünen-Fraktionschefin Renate Künast sagte am Montag: «Ich erwarte, dass unserem Gesetzentwurf zugestimmt wird. Verfassungswidrige Gesetze müssen geändert werden, und zwar jetzt und nicht später», betonte sie. Die Entscheidung darüber müsse, wie etwa beim Thema Patientenverfügung, den einzelnen Abgeordneten überlassen bleiben.

Der Koalitionsvertrag der Großen Koalition verlangt ein gemeinsames Abstimmungsverhalten von SPD und Union. Ein Mitglied des SPD-Präsidiums sagte der Zeitung, die Parteispitze befinde sich derzeit in einem «Abwägungsprozess». Es sei «noch offen», wie sich die Abgeordneten bei der Abstimmung am Freitag im Bundestag verhalten.

Schädlich für die Demokratie

SPD-Chef Franz Müntefering hatte in einem Brief an Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Änderung des Wahlrechts noch vor der Bundestagswahl angemahnt. Es sei «unerträglich» und für die Demokratie «schädlich», wenn das nächste Parlament auf der Basis von Regelungen zusammengesetzt werde, die das Bundesverfassungsgericht im Juli 2008 als grundgesetzwidrig bezeichnet habe.

Nach Informationen der «Frankfurter Rundschau» hat Merkel inzwischen in einem Antwortschreiben eine gesetzgeberische Initiative in dieser Legislaturperiode kategorisch abgelehnt. Sie habe auf die zugestandene Übergangsfrist bis 2010 verwiesen.

Union könnte stark von Überhangmandaten profitieren

Angeheizt wird der Parteienstreit durch am Wochenende bekanntgewordene Berechnungen von Experten, wonach CDU und CSU bei der Wahl am 27. September auf eine sehr hohe Zahl solcher zusätzlichen Abgeordneten hoffen können. Nach einer Simulation von Politikwissenschaftlern wächst dadurch die Wahrscheinlichkeit einer schwarz-gelben Mehrheit beträchtlich. Deswegen steigt in der SPD der Druck, gemeinsam mit der Linkspartei der Gesetzesinitiative der Grünen zu einer Mehrheit zu verhelfen.

Überhangmandate fallen an, wenn eine Partei in einzelnen Bundesländern mit der Erststimme mehr Direktmandate erobert, als ihr nach dem Prozentergebnis der Zweitstimmen Sitze zustehen. Das Bundesverfassungsgericht hat die entsprechenden gesetzlichen Regelungen bereits im vergangenen Jahr als Verstoß gegen das Grundgesetz gerügt. Allerdings ließen die Karlsruher Richter dem Parlament eine weit über die Bundestagswahl hinaus gehende Frist zur Neuregelung bis Mitte 2011. (ap/ddp)