Berlin. Das Ergebnis der Bundestagswahl am 27. September wird voraussichtlich Anfechtungen auslösen. Es geht um Überhang-Mandate, die einer Partei mehr schaden könne, als nützen. Das Bundesverfassungsgericht stuft dieses Phänomen als grundgesetzwidrigen Konstruktionsfehler im Wahl-System.

Das Ergebnis der Bundestagswahl am 27. September wird voraussichtlich Beschwerden und Anfechtungen auslösen. „Ich kann mir gut vorstellen, dass das viele Leute machen werden”, sagte Martin Fehndrich dieser Zeitung. „Ich zähle mich auch dazu.” Der 40-jährige Physiker aus Duisburg ist einer von zwei Beschwerdeführern, die im Juli 2008 erreicht haben, dass das Bundesverfassungsgericht das Phänomen der Überhang-Mandate als grundgesetzwidrigen Konstruktionsfehler im Wahl-System eingestuft hat.

Überhand-Mandate in der Theorie

Bei den Überhang-Mandaten handelt es sich um eine komplexe Konstruktion: Der Bundestag hat 598 Abgeordnete. 299 werden mit der Erststimme im Wahlkreis gewählt, weitere 299 mit der Zweitstimme über die Landeslisten der Parteien. Das aber ist nur die Theorie.

In der Praxis wächst der Bundestag regelmäßig um Überhangmandate. Allein 16 – neun für die Union, sieben für die SPD – waren es bei der Wahl 2005. Sie entstehen, wenn Parteien in einem Bundesland mehr Direktmandate in den Wahlkreisen erringen, als ihnen dort nach dem eigentlich maßgeblichen Zweitstimmenergebnis an Abgeordneten zustehen.

Selbst für Eingeweihte schwer zu durchschauen

Verstanden? Nein? Da sind Sie nicht allein. Die Regelung ist selbst für Eingeweihte nicht leicht zu durchschauen. Auch deshalb wartete Martin Fehndrich mit seiner Verfassungsbeschwerde auf ein Beispiel, das einleuchtet und die Absurdität des Wahlrechts zeigt: Weil 2005 im Wahlkreis Dresden die Direktkandidatin der NPD gestorben war, wurde eine Nachwahl am 2. Oktober angesetzt, zwei Wochen nach dem regulären Termin.

Ausgangslage war: Wenn die CDU das Direktmandat gewinnt, aber bei den Zweitstimmen schlecht abschneidet, hätte sie in Sachsen einen Wahlkreisabgeordneten mehr, als ihr eigentlich insgesamt an Abgeordneten zusteht. Und genau damit wurde im Wahlkampf gezielt geworben. Ergebnis: Tatsächlich gewann die CDU zwar den Wahlkreis, erhielt aber viel weniger Zweit- als Erststimmen. Konsequenz: ein weiteres Überhangmandat. Ein deutliches Mehr an Zweitstimmen hätte der CDU also geschadet.

Dass es einer Partei nützt, sie nicht zu wählen und schadet, ihr die Stimme zu geben, will Martin Fehndrich nicht akzeptieren. „Das hat eigentlich nichts mehr mit einer Wahl zu tun. Das erzeugt Abgeordnete, die durch nichts legitimiert sind”, sagt er. Das Verfassungsgericht folgte dieser Einschätzung 2008 prinzipiell. Dass Karlsruhe dem Gesetzgeber bis 2011 Zeit gegeben hat, diesen Webfehler im System zu korrigieren, hat Fehndrich nie gut gefunden. Aus seiner Sicht lädt der Mangel zum Missbrauch ein.