Sicher ist: Am 27. September ist Bundestagswahl. Gut möglich ist, dass dann nach einem System gewählt, dass laut Bundesverfassungsgericht gegendas Grundgesetz verstößt. Statt die Reform durchzuziehen, lavieren die Parteien mal wieder.
So etwa nennt man ein wohl ein böses Erwachen. Als SPD-Kanzlerkandidat Rudolf Scharping in der Nacht der Bundestagswahl 1994 zu Bett ging, glaubte er, Konkurrent Helmut Kohl könne mit seiner Regierung nur über eine wacklige Mehrheit von einer Stimme verfügen. Doch am nächsten Morgen war alles anders. Kohls schwarz-gelbe Koalition lag mit fünf Stimmen vor SPD und Grünen. Grund: die CDU erhielt, als in der Nacht das Endergebnis vorlag, vier Überhangmandate, die den kommoden Vorsprung sicherten.
Kohl und Schröder profitierten
Überhangmandate entstehen immer dann, wenn eine Partei in einem Bundesland mit den Erststimmen mehr Direktmandate erzielt, als ihr nach den Zweitstimmen eigentlich zustünden. Profiteure dieser Regelung waren bislang stets die großen Parteien - wie Kohls CDU 1994. Oder wie Gerhard Schröders SPD vier Jahre später. Ohne die Bonussitze hätte es für Rot-Grün 1998 nur vier Stimmen Mehrheit gegeben statt elf. Womöglich wäre sonst schon damals eine große Koalition zustande gekommen.
Diese Regelung, fanden vor allem die kleinen Parteien, die noch nie ein Überhangmandat erzielen konnten, verfälsche das Wahlergebnis. Das Bundesverfassungsgericht sah dies ähnlich - und kippte die Regelung im Juli 2008. Die Überhangsmandate müssen weg. Allerdings: Die Karlsruher Richter gaben dem Bund eine Übergangsfrist für eine Reform bis 2011.
Das bedeutet, dass der bundesweite Urnengang im September noch nach dem alten System durchgezogen werden kann - obwohl das Verfahren erklärtermaßen nicht in Ordnung ist.
Die Kleinen wollten Reform
Verständlich, dass vor allem FDP, Grüne und Linkspartei immer wieder auf ein neues Wahlrecht pochten - durchgedrungen sind sie damit allerdings bislang nicht. Von Seiten der großen Parteien, bisher stets die Profiteure der Regelung, kamen zwar immer mal wieder Anstöße zu einer Reform. Wirklich daran gearbeitet wurde jedoch nicht. Offenbar war sowohl bei Sozialdemokraten als auch auf Seiten der Union die Sorge zu groß, man könne womöglich einen wahlentscheidenden Vorteil aus der Hand geben. Die vom BVG gesetzte Frist bis 2011 wurde gern als Argument ins Feld geführt.
Nun ändert sich das Bild jedoch zusehends. Bei der SPD, die in den Stimmungs-Umfragen in immer tiefere Löcher fällt, fragt man sich offenbar, ob man überhaupt noch zu den großen Parteien zu zählen ist - oder ob die vergleichsweise starken Christdemokraten am 27. September als einzige von den Überhangsmandaten profitieren dürften. So sieht es bei der derzeitigen Umfragen-Lage jedenfalls aus.
"Münte" hat es nun eilig
Nicht überraschend kommt deshalb der Vorstoß von SPD-Chef Franz Müntefering. „Münte” hat es nun plötzlich eilig. Er will in den nächsten Wochen, also noch vor dem Wahltag am 27. September, eine Reform des Bundestags-Wahlrechts durch das Parlamant peitschen. Es sei unerträglich und schädlich für das Ansehen der Demokratie, mault der Parteichef, wenn die womöglich knappe Mehrheitsbildung im nächsten Bundestag durch ein verfassungswidriges Wahlrecht gestützt würde.
Müntefering hat nun einen entsprechenden Brief an Angela Merkel und Horst Seehofer geschickt. Man darf gespannt sein, wie eilig es die beiden mit der Antwort haben. Vermutlich werden sie sich Münteferings Schreiben auf Wiedervorlage legen lassen - beispielsweise für den 28. September.