Berlin. Nach dem überraschend deutlichen Wählervotum für Schwarz-Gelb verlieren die Kanzlerin und ihr neuer Koalitionspartner keine Zeit: Schon am Montag sollen die Gespräche für eine Regierungsbildung beginnen. Schwerpunkte: Steuern und Bildung. Derweil sucht die SPD nach einem Neuanfang.

Nach vier Jahren Großer Koalition kann Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrem Wunschpartner FDP regieren. Schwarz-Gelb errang bei der Bundestagswahl am Sonntag eine überraschend deutliche Mehrheit und verwies die SPD mit einem desaströsen Ergebnis in die Opposition. Merkel und der designierte Vizekanzler, FDP-Chef Guido Westerwelle, wollen nun möglichst schnell Koalitionsverhandlungen aufnehmen. Erste Gespräche soll es schon am Montag geben.

«Mein Verständnis war es, und mein Verständnis ist es, dass ich die Bundeskanzlerin aller Deutschen sein möchte», bedankte sich die CDU-Vorsitzende Merkel für das Wählervotum. Westerwelle nannte «ein faires Steuersystem, bessere Bildungschancen, und dass die Bürgerrechte endlich wieder respektiert werden» als Ziele für die Regierungsarbeit der nächsten vier Jahre. SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier kündigte an, der neuen Regierung im Bundestag als Oppositionsführer die Stirn bieten zu wollen.

Da voraussichtlich auch in Schleswig-Holstein nach den Landtagswahlen ein Bündnis von Union und FDP an die Macht kommt, wird Schwarz-Gelb wohl auch im Bundesrat eine knappe Mehrheit haben und Gesetze damit im Alleingang durchsetzen können.

Merkel: «Wir haben etwas Tolles geschafft»

Die erwartete Zitterpartie blieb bei der Bundestagswahl aus. Schwarz-Gelb kam laut Hochrechnungen auch ohne die umstrittenen Überhangmandate auf eine Mehrheit. Voraussichtlich wird die Koalition 323 Sitze haben und damit 32 mehr als die Opposition mit 291 haben. Die Union kassierte allerdings ebenfalls leichte Verluste und musste mit etwa 33,9 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis seit 1949 einstecken.

Merkel gab sich trotzdem hoch zufrieden. «Wir haben etwas Tolles geschafft», rief sie in der Berliner CDU-Zentrale ihren Anhängern zu.

Die FDP wird allerdings als starker Juniorpartner in die Regierung eintreten. Die Liberalen gewannen fast 5 Prozent hinzu und erzielten mit rund 14,5 Prozent ihr bestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl.

Steinmeier und Müntefering kämpferisch

Großer Verlierer sind die Sozialdemokraten: Den Hochrechnungen zufolge brachen sie um 11 Prozentpunkte ein und landeten mit 23,1 Prozent bei ihrem schlechtesten Ergebnis überhaupt. Noch nie ist eine Partei bei einer Bundestagswahl so tief gestürzt.

Steinmeier räumte eine bittere Niederlage «für die SPD und auch für mich» ein. Er wolle sich auch in einer solchen Situation nicht aus der Verantwortung ziehen und die neue SPD-Fraktion im Bundestag führen. Auch SPD-Chef Franz Müntefering gab sich kämpferisch und will den Parteivorsitz behalten. In der Parteienlandschaft sei vieles in Bewegung geraten, die Volksparteien hätten an Bedeutung verloren, sagte er. Aber «wir haben unverändert unsere Aufgabe als Volkspartei».

Am (morgigen) Montag will der Parteivorstand über das weitere Vorgehen beraten. Mehrere prominente Sozialdemokraten sprachen sich für eine inhaltliche Neuausrichtung der SPD aus.

Rekordergebnisse für alle Oppositionsparteien

Alle drei Oppositionsparteien kamen auf Rekordergebnisse. Viertstärkste Kraft hinter der FDP wurde die Linke mit mindestens 12,1 Prozent, dahinter folgen die Grünen mit 10,1 bis 10,5 Prozent. Linksparteichef Oskar Lafontaine sagte, die Linke sei «die Partei, die jetzt darauf drängen wird, dass der Sozialstaat wieder hergestellt wird». Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin versprach eine «muntere Opposition».

Schwarz-Gelb regierte bereits 21 Jahre

Keine Koalition hat in der Geschichte der Bundesrepublik so lange regiert wie Schwarz-Gelb: Von 1961 bis 1966 und zwischen 1982 und 1998 waren Bündnisse von CDU, CSU und FDP an der Macht. Auch zwischen 1949 und 1957 regierten die Unionsparteien mit der FDP zusammen. Allerdings waren damals noch weitere Partner mit im Boot. Bei der Wahl 2005 hatte es für ein schwarz-gelbes Bündnis nicht gereicht. Merkel war damals gezwungen, eine Große Koalition zu bilden.

Schlechteste Wahlbeteiligung: 72,5 Prozent

Die Wahlbeteiligung war laut ARD-Hochrechnung mit 72,5 Prozent die schlechteste, die es je bei einer Bundestagswahl gegeben hat. Der Negativrekord von 2005, als noch 77,7 Prozent der Wahlberechtigten zur Urne schritten, wurde damit noch unterboten.