Berlin. Angela Merkel demonstriert Stärke gegenüber ihrem neuen Koalitionspartner FDP. Bestimmte Punkte, wie die Mindestlohnvereinbarungen, seien mit der Union nicht verhandelbar, stellte sie klar. Merkel will damit offenbar die Ängste vor einem neoliberalen Kurs der neuen Regierung zerstreuen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will sich «sehr schnell» mit FDP-Chef Guido Westerwelle und CSU-Chef Horst Seehofer über das Verfahren zur Regierungsbildung abstimmen. Dabei gehe Qualität vor Schnelligkeit. Die Deutschen hätten aber einen Anspruch darauf, dass das Land schnell wieder eine Regierung bekommen.
Laut Merkel soll die neue Bundesregierung bis zum Jahrestag des Mauerfalls stehen. Das kündigte sie am Montag an. Zum Jahrestag des Mauerfalls am 9. November «würde ich gerne die vielen europäischen Staats- und Regierungschefs und die vielen anderen Gäste, die kommen, mit einer neuen Regierung begrüßen», sagte sie.
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Die Kanzlerin stellte klar, dass die Union in den Koalitionsverhandlungen geschlossen gegenüber der FDP auftreten werde. Hier verhandelten nicht drei Parteien, sondern die Union mit der FDP. Seehofer und sie würden alle Positionen miteinander abstimmen und dann mit der FDP besprechen. Die Union sei nur gemeinsam mit CDU und CSU stark. Merkel machte zugleich deutlich, dass die Union aus einer Position der Stärke heraus mit der FDP sprechen wird. «Wir werden mehr und stärker Union haben als in der vorherigen Koalition», sagte die CDU-Chefin.
Keine Korrekturliste
Merkel stellte klar, dass sie keine Korrekturliste für die Entscheidungen der großen Koalition vorlegen werde. So würden die Mindestlohnvereinbarungen nicht zurückgedreht. An einigen Stellen werde es Fortentwicklungen geben. Zum Wahlsonntag sagte Merkel, es sei eine «erhebliche Leistung», in einem Fünf-Parteien-System eine Mehrheit zwischen zwei Parteien hinzubekommen. Auf dem Ergebnis könne die Union «sehr gut» aufbauen, um ihre Rolle als Volkspartei wieder zu kräftigen.
Merkel will die Interessen der Arbeitnehmer auch in einer schwarz-gelben Koalition im Auge behalten. Sie werde darauf achten, dass die Politik für Wirtschaft und die für Arbeitnehmer «vernünftig und gut austariert» werde, sagte Merkel am Montag nach Beratungen der CDU-Spitzengremien in Berlin. Sie wolle auch die Gespräche mit Gewerkschaften und Unternehmen fortsetzen, um die Krise zu überwinden und die Wirksamkeit der Konjunkturprogramme zu überprüfen.
Union warnt FDP vor Übermut
Auch andere führende Unions-Politiker warnten die Liberalen vor Übermut. «Jetzt gilt die Hoffnung natürlich auch, dass die FDP nicht abhebt, dass sie nicht die Bodenhaftung verliert», sagte Niedersachsens Ministerpräsident und CDU-Bundesvize Christian Wulff (CDU) am Montag dem Hörfunksender NDR Info. Andernfalls würden die Wähler die FDP auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Er sei jedoch «grundlegend Optimist» und glaube daran, mit der FDP erfolgreich regieren zu können, sagte Wulff. Es gehe um eine gemeinsame Verantwortung.
Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) sagte im Bayerischen Rundfunk und im RBB-Sender Radio Eins: «Natürlich werden sie mit breiter Brust an den Verhandlungstisch kommen.» Aber die FDP wisse selbst, dass die Union noch deutlich stärker sei. Es wäre auch «ganz schlecht», wenn sich Schwarz-Gelb nun im Kampf um Posten in die Haare bekämen. Er rechne damit, dass die FDP die politischen Realitäten zur Kenntnis nehmen werde. Das gelte auch für die Bedrohungslage. Bosbach räumte ein, dass die Unterschiede zwischen Union und FDP in der Innen- und Rechtspolitik größer seien als auf anderen Feldern.
Pieper bekräftigt FDP-Forderung nach Steuersenkung
Der niedersächsische Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) kündigte harte Koalitionsverhandlungen mit der Union an. CDU/CSU würden schnell lernen, dass die FDP durchsetzungsfähiger und hartnäckiger sei als die SPD, sagte Rösler im Deutschlandradio Kultur. Die FDP gebe es «nicht zum Nulltarif». Die FDP gehe gestärkt in die Koalitionsgespräche und werde für ein gerechtes Steuersystem kämpfen, um durch Steuersenkungen Wachstum zu erzeugen. FDP-Vize Cornelia Pieper sagte in der ARD, Steuersenkungen stünden für die FDP «ganz oben auf der Prioritätenliste».
FDP-Vize Rainer Brüderle forderte vor den Koalitionsgesprächen eine «ehrliche Eröffnungsbilanz», um «das, was von der großen Koalition falsch gemacht wurde» überwinden zu können. Brüderle verwies im Deutschlandfunk zugleich auf den Einigungszwang zwischen den künftigen Partnern. Es sei «alles schön», was die Union vor der Wahl erklärt habe, «aber jetzt muss sie auch mit uns einen Konsens finden, sonst gibt es ja keine Handlungsfähigkeit».
Pinkwart: Deutsche Familien besonders stark belastet
Auf FDP-Landeschef Andreas Pinkwart macht sich für Steuersenkungen stark. Pinkwart, der auch FDP-Bundesvize ist, sagte am Montag im WDR-Morgenmagazin, vor allem müsse es eine steuerliche Entlastung für Familien mit Kindern geben. Nach Ansicht Pinkwarts sollten Kinder und Jugendliche im Steuerrecht mit den Erwachsenen gleichgestellt werden, indem sie den gleich hohen Grundfreibetrag bekommen.
Pinkwart verwies auf internationale Vergleichsstudien, nach denen es in den Industrieländern kaum eine so hohe Steuer- und Abgabenbelastung für Familien wie in Deutschland gebe. Pinkwart warb zudem erneut für ein besseres Bildungssystem in Deutschland.
Pofalla: In einem Monat soll Koalitionsvertrag stehen
CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla geht trotz der FDP-Ansage von einem zügigen Abschluss der Koalitionsverhandlungen mit der FDP aus. Die Verhandlungen sollten «spätestens in der nächsten Woche» beginnen, in einem Monat solle der Koalitionsvertrag stehen, sagte Pofalla im ARD-»Morgenmagazin«. CDU-Vize Jürgen Rüttgers äußerte sich ähnlich. «Ich glaube, dass das eine gute Zusammenarbeit wird», sagte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident im Deutschlandfunk. Rüttgers rechnet damit, dass die Koalitionsverhandlungen «schnell» abgeschlossen werden können.
Pofalla dämpfte zugleich die Erwartungen der Liberalen an Steuersenkungen. Es bleibe bei dem, was die Union im Regierungsprogramm festgelegt und den Wählern versprochen hab. Es gehe in der nächsten Legislaturperiode um eine Steuerentlastung «in zwei Schritten mit einem Gesamtentlastungsvolumen von 15 Milliarden Euro».
Der hessische Ministerpräsident Roland Koch wies unterdessen Gerüchte um seinen Wechsel nach Berlin zurück. Er strebe kein Ministeramt in Berlin an. Auf die Frage, ob er in die Hauptstadt wechseln wolle, antwortete der CDU-Politiker am Montag mit einem klaren «Nein». (ddp/ap)