Brüssel. Der Vertrag von Lissabon bekommt eine zweite Chance: Der irische Ministerpräsident Brian Cowen kündigte zum Abschluss des EU-Gipfels am Freitag ein zweites Referendum über das Reformwerk an. EU-Kommissionspräsident Barroso muss derweil weiter um seine zweite Amtszeit bangen.

Neue Chance für die EU-Reform: Der irische Ministerpräsident Brian Cowen kündigte zum Abschluss des EU-Gipfels am Freitag ein zweites Referendum über den Lissabon-Vertrag an. Ein Jahr nach dem Nein der Iren in einer ersten Volksabstimmung erklärte Cowen in Brüssel: «Ich denke, dass wir Anfang Oktober bereit für ein Referendum sein werden.» Auf dem Gipfel wurde ein Zusatzprotokoll zu dem Vertrag beschlossen, dass den Iren die Reform der europäischen Institutionen doch noch schmackhaft machen soll.

Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich über das Ergebnis der Verhandlungen erleichtert, warnte aber vor Euphorie. Der Vertrag habe eine wichtige Hürde bewältigt, «nicht mehr und nicht weniger.»

Neben der zweiten Volksabstimmung in Irland muss der Reformvertrag auch noch seine laufende Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe bestehen. Das Urteil wird am 30. Juni erwartet. Zudem haben die Staatspräsidenten Tschechiens und Polens den Lissabon-Vertrag noch nicht unterzeichnet. Er kann erst in Kraft treten, wenn der Ratifizierungsprozess in allen 27 EU-Staaten vollständig abgeschlossen ist.

Souveränitätsgarantien für Dublin

Cowen erklärte, das auf dem Gipfel verabschiedete Zusatzprotokoll ermögliche eine «verantwortungsvolle Debatte über den Vertrag, frei von den Schreckensgeschichten, Märchen und Fehlinformationen, die die Kampagne im letzten Jahr überschatteten». In dem Protokoll wird klargestellt, dass der Lissabon-Vertrag Irland weder zur Legalisierung von Abtreibungen noch zur Beteiligung an EU-Militäreinsätzen oder zu Steuererhöhungen zwingt.

Falls der EU-Reformvertrag nach dem zweiten Referendum tatsächlich in Kraft tritt, muss das Zusatzprotokoll nachträglich auch von den übrigen EU-Staaten ratifiziert werden. Sie können sich damit allerdings Zeit lassen, bis Kroatien in die EU aufgenommen wird, weil der Vertrag dann ohnehin angepasst werden muss.

Barroso muss für Parlaments-Mehrheit kämpfen

Nach dem zweiten Referendum in Irland soll auch die neue EU-Kommission eingesetzt werden. Die Staats- und Regierungschefs sprachen sich auf dem Gipfel für eine zweite Amtszeit von Kommissionspräsident José Manuel Barroso aus. Bundeskanzlerin Merkel rief das EU-Parlament auf, die Entscheidung zu bestätigen: «Es wäre sehr gut für Europa, wenn noch vor der Sommerpause eine Wahl stattfinden könnte.» Aus dem Parlament schlägt Barroso aber erheblicher Widerstand entgegen.

Die Parteifamilie des konservativen Portugiesen, die Europäische Volkspartei (EVP), hat im Parlament allein keine Mehrheit. Sozialisten und Grüne wollen gegen ihn stimmen, am Freitag meldeten auch die Liberalen Bedenken an. «Es gibt keine klare Mehrheit für Barroso in meiner Fraktion oder im Parlament», sagte Fraktionschef Graham Watson. Der FDP-Europaabgeordnete Alexander Alvaro warf Barroso in einem Telefoninterview der Nachrichtenagentur AP mangelnde Entschlossenheit vor: «Ich glaube, er hatte vor fünf Jahren keinen Drive und hat auch jetzt keinen.»

Kompromiss über Finanzaufsicht

Im Tauziehen um die künftige EU-Finanzaufsicht wurde ein Kompromiss erzielt. Deutschland und Frankreich konnten durchsetzen, dass die geplanten EU-Aufsichtsbehörden verbindliche Entscheidungen treffen können. Wegen heftigen Widerstands aus Großbritannien dürfen sie aber nicht in nationale Haushaltskompetenzen eingreifen. Das bedeutet, dass kein Land zur Rettung einer Bank gezwungen werden kann - selbst wenn diese auch in anderen europäischen Ländern aktiv ist. (ap)