Essen. Brüssel kümmert sich nicht mehr um den Krümmungsgrad der Gurke - schade eigentlich, findet der Europa-Abgeordnete Elmar Brok (CDU). Im Interview erklärt er die Vor- und Nachteile der EU-Bürokratie. Und sagt, warum für ihn die türkische Mentalität eine EU-Mitgliedschaft verhindert.
Brüssel kümmert sich nicht mehr um den Krümmungsgrad der Gurke - schade eigentlich, findet der Europa-Abgeordnete Elmar Brok (CDU). Im Interview erklärt er die Vor- und Nachteile der EU-Bürokratie. Und sagt, warum für ihn die türkische Mentalität eine EU-Mitgliedschaft verhindert.
Herr Brok, will die CDU Friedrich Merz als EU-Kommissar?
Elmar Brok: Er hätte in der Partei große Unterstützung, aber die haben andere Kandidaten auch.
Wie mächtig ist so ein Kommissar im Vergleich zum Bundeswirtschaftsminister?
Brok: 70 Prozent der Wirtschaftsgesetzgebung werden in Brüssel gemacht. Daher hat so ein „europäischer Minister” viele Möglichkeiten. Etwa in Außenhandelangelegenheiten: Da führt der Kommissar die Verhandlungen, die nationalen Minister sitzen nur dabei.
Warum ist dann das Interesse der Bevölkerung an der EU-Politik so gering?
Brok: Zum einen liegt das an der mangelnden Personalisierung. Die Bundestagswahl hätte auch 30 Prozent weniger Wahlbeteiligung, wenn dabei nicht indirekt auch über den Bundeskanzler abgestimmt würde.
Und zum anderen . . .
Brok: . . .wollen die nationalen Regierungen ihre Bürger glauben machen, dass die EU nur eine untergeordnete Rolle spielt.
"Die EU hat so viele Beamte wie die Stadt Köln Mitarbeiter"
Daran können Sie nichts ändern. Europas Hauptstädte werden immer so tun, als spiele die Musik bei ihnen.
Brok: Doch, man kann etwas tun. Was wir brauchen, ist ein jährlicher Rechenschaftsbericht über die Kosten und Nutzen der EU-Mitgliedschaft, den die Bundesregierung im Parlament vorstellen müsste. Dann würde nämlich deutlich, was alles in Brüssel beschlossen wurde. Nehmen Sie die Entschädigung der Bahnreisenden bei Verspätungen: Das haben wir auf den Weg gebracht, nicht die Bundesregierung. Man müsste die Regierungen dazu verpflichten, einmal im Jahr vor die Nation zu treten und die Fakten sprechen zu lassen.
Viele verbinden Europa mit Bürokratie.
Brok: Die EU hat so viele Beamte, wie die Stadt Köln Mitarbeiter hat, etwa 28.000. Richtig ist wahrscheinlich, dass es in Brüssel wie in Köln zu viele sind. Deshalb hat die EU sich ja verpflichtet, 25 Prozent der Bürokratiekosten abzubauen. Die Mitgliedsländer sind so eine Verpflichtung aber nicht eingegangen.
Krumme Gurken und das Seilbahngesetz
Und Sie haben den Krümmungsgrad der Gurke wieder freigegeben!
Brok: Ach ja, die Gurke. Die Regelung war ja im Prinzip richtig, weil sie den Händlern die Arbeit erleichtert hat. Sie wussten genau, wieviele Gurken in einer Kiste liegen. Aber weil man uns so sehr damit geärgert hat, haben wir das wieder abgeschafft. Übrigens gegen den Widerstand der Bundesregierung. Oder nehmen Sie die Sache mit den Seilbahnen. . .
Mecklenburg-Vorpommern musste auf Druck aus Brüssel ein Landesseilbahngesetz erlassen, obwohl es gar keine Seilbahnen hat.
Brok: Das wird gerne als Beispiel für den angeblichen Irrsinn der Brüsseler Bürokratie angeführt. Aber wir wollten doch nur einheitliche Sicherheitsstandards für ganz Europa. Ist es unsere Schuld, dass Seilbahnen in Deutschland Ländersache sind? Außerdem: Was ist, wenn dort für die Landesgartenschau eine Seilbahn gebaut wird und es passiert damit ein Unfall, bei dem Menschen zu Schaden kommen? Dann werden wir zu Recht gefragt, warum es keine europaweiten Sicherheitsstandards gibt.
"70 Prozent der wirtschaftsrelevanten Entscheidungen trifft Brüssel"
Die Leute wollen Bürokratie?
Brok: Ja. Jeder hat für seinen eigenen kleinen Bereich so seine Vorstellungen. Die Bauern hätten gerne dies, die Händler das. Der nächste möchte den Salzgehalt des Brotes senken, weil das gesünder ist. Aber wenn eine gute Regelung zur anderen kommt, dann leidet am Ende die Freiheit. Es muss Freiräume geben, in denen der Einzelne auch mal Fehler machen kann. Wenn er gerne salziges Brot isst: bitte. Deshalb haben wir die Salzverordnung ja auch wieder gekippt. Über Salz im Brot soll der Bäcker bestimmen, keine Europa-Kommission.
Zur Person
Elmar Brok (63, CDU) wurde in Verl bei Gütersloh geboren. Er ist seit 1980 Abgeordneter im Europaparlament und vertritt den Wahlkreis Ostwestfalen-Lippe. Brok saß 1999 bis 2007 dem Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten vor, dem er immer noch angehört. Auch an der Ausarbeitung der europäischen Verfassung war er beteiligt. Im Beruf ist Elmar Brok Medienmanager, er bekleidet seit 2004 den Posten eines Senior Vice President Media Development bei der Gütersloher Bertelsmann AG. Brok ist verheiratet und hat drei Kinder.
Wer hat eigentlich mehr zu sagen – ein deutscher Bundestagsabgeordneter oder ein deutscher Europaabgeordneter?
Brok: Das kommt drauf an. 70 Prozent der wirtschaftsrelevanten Entscheidungen trifft Brüssel, da hat der Europaabgeordnete mehr zu sagen. Andererseits liegen die sehr bedeutenden Entscheidungen über Steuern und soziale Sicherungssysteme bei den nationalen Parlamenten, da haben wir nichts zu sagen. Durch den EU-Reformvertrag von Lissabon werden die Rechte des Bundestages sogar noch gestärkt. Und ein Land wie NRW bekommt über den Bundesrat künftig ein Klagerecht.
"Irland ohne den Euro wäre ein zweites Island"
Wie stehen die Chancen für den Lissabon-Vertrag?
Brok: Gut. Der Tschechische Senat hat gesprochen und die Mehrheit der Iren ist heute pro-europäisch. Auch dank der Finanzkrise. Sie wissen: Irland ohne den Euro wäre ein zweites Island. Auch in Deutschland war der vergangene Herbst übrigens eine gute Kur für Euroskeptiker.
Was wäre Ihrer Meinung nach passiert, wenn wir den Euro nicht gehabt hätten?
Brok: In der Weltwirtschaftskrise 1929 versuchte jedes Land, sich selbst zu retten, mit den bekannten Folgen. Auch jetzt hätten Italien und Frankreich ruckartig ihre Währung um 20 bis 30 Prozent abwerten können, und schon wären deutsche Produkte 20 bis 30 Prozent teurer geworden – das hat die Währungsunion verhindert. Oder schauen Sie sich die Neuverschuldung an.
Deutschland verfehlt mit einer Neuverschuldung von etwa 3,9 Prozent der Wirtschaftsleistung die Maastricht-Kriterien.
Brok: Aber Großbritannien liegt bei 13 bis 14 Prozent. Die USA bei 19! Die Gesamtstaatsverschuldung der USA ist heute dreieinhalb mal so hoch wie alles, was das Land in einem Jahr erwirtschaftet. Wenn Sie mich fragen: Das sind nicht die Zahlen eines Landes, das auch in 30 Jahren noch Supermacht ist.
Stichwort Türkei: "Es bleibt das Problem der Mentalität"
Jetzt hätten wir noch eine Frage zur EU-Erweiterung. Türkei – ja oder nein?
Brok: Man sollte der Türkei ehrlich sagen, dass es mit einer Vollmitgliedschaft in der nächsten Zeit nichts wird. Alles andere heißt, die Türkei für dumm zu verkaufen. Über ökonomische Fragen lässt sich immer reden, aber es bleibt doch das Problem mit der Mentalität. Sehen Sie, wie sich die türkische Regierung in der Frage der Mohammed-Karikaturen verhalten hat. Da fehlt es einfach grundsätzlich an Verständnis für das Prinzip der Pressefreiheit.
Interview: Ulrich Reitz, Walter Bau, Frank Stenglein, Achim Beer