Düsseldorf. Die Sozialverbände schlagen Alarm: In NRW sind 800.000 Kinder arm. Die Landesregierung habe bislang kein schlüssiges Konzept zur Armutsbekämpfung vorgelegt. Die Verbände fordern eine bedingungslose Grundsicherung von 502 Euro pro Monat und Kind.

Angesichts von knapp 800 000 armen Kindern und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen hat ein Bündnis von Sozialverbänden der Landesregierung schwere Versäumnisse vorgeworfen. Gemeinsam forderten die Arbeiterwohlfahrt, der DGB, der Paritätische Wohlfahrtsverband und der Kinderschutzbund am Dienstag in Düsseldorf ein beitragsfreies Bildungssystem und eine bedingungslose Grundsicherung von rund 500 Euro pro Monat und Kind.

«Es ist nicht hinzunehmen, dass in NRW nur 85 Prozent aller anspruchsberechtigten Kinder einen Kindergarten besuchen», sagte der Landesvorsitzende des Kinderschutzbundes, Dieter Greese. Nordrhein-Westfalen bilde beim Ausbau der Kita-Plätze für unter Dreijährige mit Niedersachsen bundesweit das Schlusslicht. Die CDU/FDP-Landesregierung habe kein schlüssiges Gesamtkonzept zur Armutsbekämpfung.

«Die Landesregierung unternimmt nichts, um die Chancengleichheit von Kindern und Jugendlichen in NRW zu verbessern», rügte der Landeschef der Arbeiterwohlfahrt, Gunder Heimlich. Mit ihrem Runden Tisch zur Kinderarmut begnüge sich die Regierung mit der Rolle des Moderators. Die Politik müsse aktiver werden, um die «soziale Isolation» von Kindern zu bekämpfen.

Mehr Ganztagsbetreuung gefordert

In einem Memorandum sprachen sich die Organisationen zudem für eine Anhebung des Wohngelds für Familien mit Kindern aus. Nötig sei auch eine besondere Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien. Das Schulsystem müsse dem Nachwuchs mehr Bildungschancen und mehr Ganztagsbetreuung bieten.

Die Vorschläge etwa für eine Grundsicherung würden nach Angaben der Bündnispartner zunächst mindestens zehn Milliarden Euro kosten. Präventive Ausgaben für mehr Bildung könnten dem Staat aber mittelfristig Kosteneinsparungen bei der Sozial- und Jugendhilfe bringen. Im Jahr 2007 hatte allein das Land NRW rund 1,2 Milliarden Euro für die Krisenintervention bei Kindern ausgegeben. 28 700 Kinder aus verarmten Familien wurden in Heime eingewiesen.

DGB-Chef Schneider: Schulempfehlung für arme Kinder ist "Form des Klassenkampfes"

DGB-Landeschef Guntram Schneider kündigte an, das Bündnis werde die schwarz-gelbe Landesregierung bis zur Landtagswahl am 9. Mai 2010 beim Thema Kinderarmut in die Pflicht nehmen. Er kritisierte die Schulempfehlungen für arme Kinder, die zumeist nach der Grundschule in die Hauptschule geschickt würden, als «Form des Klassenkampfes». Mit dem gegliederten Schulsystem in NRW werde soziale Ungleichheit «zementiert», rügte Schneider.

Die CDU-Familienpolitikerin Marie-Theres Kastner betonte in einer Reaktion, Armut sei ein ernstes Thema. Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU), die Landesregierung und die sie tragenden Parteien ließen «sich nicht überbieten in ihrem Kampf gegen die Kinderarmut», sagte die Landtagsabgeordnete. «Worauf es jetzt ankommt, ist, Arbeitsplätze zu sichern, die Bildungschancen zu verbessern und konkret zu helfen», ergänzte sie. (ddp)