Castrop-Rauxel. Frau S. ist allein erziehend und ernährt ihre Familie mit 600 Euro im Monat. Aber arm sei anders, sagt sie im Interview: "Was wir haben, reicht zum Leben." Ein Gespräch darüber, was Reichtum bedeutet - und was wirkliche Armut.
Jedes vierte Kind in NRW gilt als arm: das ist das Fazit des „Sozialbericht NRW” aus dem Jahr 2007. Inzwischen hat sich die Lage nicht gebessert, die Awo schätzt, dass von landesweit 3,3 Millionen Kindern und Jugendlichen 800 000 in Armut leben.
Soweit die Fakten. Fragen wir einmal bei denen nach, die wir als „arm” bezeichnen würden: Wir trafen Frau S. in der Warteschlange der „Castroper Tafel” in Ickern. Frau S. ist allein erziehend und hat zwei Kinder, fünf und zweieinhalb Jahre alt. Mit der Geburt ihres ersten Kindes hörte sie auf zu arbeiten. Seit der Vater ihrer Kinder seinen Führerschein verlor und infolgedessen arbeitslos wurde, lebt die Familie von Sozialhilfe.
Würden Sie sich als „arm” bezeichnen? Wieviel haben Sie im Monat zur Verfügung?
Lebensmittel für zwei Euro
Seit drei Jahren gibt es eine Zweigstelle der Castroper Tafel auch in Ickern, an der wir Frau S. getroffen haben. Immer mehr junge Familien kommen dorthin, um für zwei Euro pro Erwachsener Lebensmittel kaufen zu können. Die Waren haben vor allem Geschäftsleute und Supermärkte gespendet. „Vor drei Jahren haben wir 23 Familien betreut", sagt Helmut Heider, der die Ausgabe hinter der St. Barbara-Kirche zusammen mit Günter Bojak ehrenamtlich organisiert. Inzwischen haben 57 Familien den rosa Ausweis beantragt, der zum Einkauf in der Ickerner Filiale berechtigt. Es kommen viele allein Lebende, es gibt aber auch eine Familie mit sieben Kindern.
„Viele mussten erst eine Hemmschwelle überwinden, um hierher zu kommen", sagt Heider. „Es heißt schon etwas, wenn man hierher kommt." Zusätzlich lockt die benachbarte Kleiderkammer, die ebenfalls die Caritas organisiert, Leute an.
Arm ist für mich etwas anderes. Ich habe zwei gesunde Kinder, eine Wohnung und ein Haustier. Was wir haben, reicht zum Leben. Schlimmer war es, als ich noch Schulden abzahlen musste. Ich habe 600 Euro im Monat zur Verfügung, ohne Miete und Strom. Davon muss ich auch das Essensgeld für den Kindergarten und Telefon bezahlen.
Arm und reich – was bedeutet das eigentlich für Sie?
Reich hieße für mich, dass ich mir keine Sorgen mehr machen müsste. Arm wäre ich, wenn ich ein krankes Kind hätte.
Wo gehen Sie einkaufen? Wissen Sie, was ein Liter Milch kostet?
Ein Liter Milch kostet 47 Cent. Da gucke ich ganz genau. Ich kaufe bei der Tafel ein, gucke, was ich dort bekomme. Den Rest kaufe ich dazu. Das A und O sind die Reklameheftchen. Ich fahre dann mit dem Roller zum Beispiel zum Lidl, dann kann man 30, 40 Cent sparen. Kleidung kaufe ich gebraucht. Es fehlt uns nicht an alltäglichen Dingen. Aber so kann ich ein bisschen was zur Seite legen, und mal mit den Kindern einen Ausflug machen.
Was machen Sie in ihrer Freizeit?
Ich habe einen Garten, da sind wir oft. Oder wir gehen an der Emscher spazieren. Meine Freundin hat außerdem ein Pony, dorthin gehe ich einmal pro Woche, um zu reiten. Und wir haben auf eine Playstation gespart. Singstar machen wir, wenn es draußen regnet.
Wann waren Sie zuletzt im Urlaub? Und wo?
Ich war zu einer Mutter-Kind-Kur. Die hat meine Familienhelferin bei der Caritas beantragt, das war toll. Wie ein kleiner Urlaub. Unser Ferienhöhepunkt wird eine Fahrt ins Legoland. Mein letzter richtiger Urlaub ist 25 Jahre her.
Wann sind Sie zum letzten Mal Bus gefahren?
Vor kurzem, bei schlechtem Wetter können wir nicht Roller fahren. Aber das ist wirklich sehr teuer.
Was tun Sie für ihre Gesundheit?
Vor der Kur habe ich nichts für mich getan. Inzwischen habe ich meiner Ernährung umgestellt. Ich denke, ich bin auf dem richtigen Weg.
Wann haben Sie sich zuletzt einen Wunsch erfüllt? Welchen?
Oh. Ich wüsste wirklich keinen. Wenn ich eine neue Hose brauche, warte ich bis zum 1. des Monats. Aber das ist ja kein richtiger Wunsch.
Wo stehen Sie in zehn Jahren?
Ich hoffe, dass ich wieder arbeite und meinen Kindern ein bisschen mehr bieten kann. Und ich hoffe, dass wir dann in den Urlaub fahren können, alle Mann, mitsamt Papa.